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VIII.

Die dunkle Nacht hellte sich auf. Man wollte schon die Kamele besteigen, als plötzlich ein Wüstenwolf erschien, der mit eingeklemmtem Schwanze die ungefähr hundert Schritt von der Karawane entfernte Schlucht übersprang und dann, auf der gegenüberliegenden Höhe angelangt, mit allen Zeichen der Furcht vor einem Feinde weiterrannte.

In der ägyptischen Wüste gibt es keine wilden Tiere, vor denen ein Wolf sich fürchten müßte, daher beunruhigte dieser Anblick die Sudanesen stark. Was konnte das sein? Waren das schon die Verfolger?

Einer der Beduinen erkletterte schnell einen Felsen, sprang aber nach einem kurzen Blick noch schneller wieder hinunter.

»Beim Propheten!« rief er verstört und erschrocken, »ein Löwe läuft auf uns zu und ist schon ganz nahe!«

Und plötzlich erscholl hinter dem Felsen im tiefen Baß ein »Wauwau«, worauf Staß und Nel zugleich riefen:

»Sabà, Sabà!«

Da Sabà auf arabisch Löwe heißt, ängstigten die Beduinen sich noch mehr; aber Chamis brach in Lachen aus und sagte:

»Ich kenne diesen Löwen.«

Dann stieß er einen langen Pfiff aus, und im gleichen Augenblick stürzte eine ungeheure Dogge hinter den Kamelen hervor. Als sie die Kinder erblickte, sprang sie auf sie zu, warf Nel, die ihr die Hände entgegenstreckte, vor Freude um, stürzte sich dann auf Staß, lief bellend und winselnd um die Kinder herum, um von neuem Nel umzurennen und auf Staß mit den Vorderfüßen zu klettern. Schließlich legte der Hund sich zu den Füßen der beiden und begann zu gähnen.

Mit eingefallenen Flanken und heraushängender Zunge, die von Schaum troff, wedelte er mit dem Schwanze, hob seine Blicke voll Liebe auf Nel, als wenn er ihr sagen wollte: »Dein Vater befahl mir, dich zu behüten, und da bin ich nun.«

Die Kinder setzten sich zu beiden Seiten Sabàs und begannen ihn zu liebkosen. Die beiden Beduinen, die ein solches Tier noch nie gesehen hatten, blickten mit Erstaunen darauf und riefen wiederholt: »Allah! ist das ein großer Hund!«

Sabà lag geraume Zeit hindurch ganz ruhig, zog die Luft mit seiner schwarzen, einer großen Trüffel ähnelnden Nase ein, witterte etwas und sprang an das erloschene Feuer zu den Resten des Essens.

Im gleichen Augenblick begannen unter seinen mächtigen Zähnen die Hammel- und Ziegenknochen zu krachen und zu zersplittern wie Streichhölzer. Nachdem acht Menschen, Dinah und Nel eingerechnet, sich gesättigt, reichte der Rest noch aus für einen so großen Hund.

Die Sudanesen jedoch fühlten sich durch die Ankunft des Hundes beunruhigt. Die beiden Kameltreiber riefen Chamis beiseite und begannen mit ihm eindringlich und sehr aufgeregt zu reden:

»Iblis hat diesen Hund hergebracht!« rief Gebhr. »Auf welche Weise kann er nur den Weg zu den Kindern gefunden haben, da sie doch bis Gharak mit der Eisenbahn gefahren sind?«

»Gewiß auf der Spur der Kamele«, entgegnete Chamis.

»Das ist eine schlimme Sache. Jeder, der ihn bei uns sieht, wird sich unsere Karawane merken und wird den Weg zeigen, den wir genommen haben. Wir müssen ihn selbstverständlich los werden!«

»Aber wie?« fragte Chamis.

»Eine Büchse haben wir, nimm sie und schieß ihn durch den Kopf.«

»Eine Büchse haben wir, aber ich kann nicht schießen mit ihr. Wenn ihr es könnt?«

Zur Not hätte Chamis wohl schießen können, denn Staß hatte sie mehrmals in seiner Gegenwart geladen und entladen; aber es tat ihm um den Hund leid. Er hatte das Tier liebgewonnen, als er es in Medinet vor der Ankunft der Kinder pflegte. Er wußte auch genau, daß die Sudanesen keinen Schimmer davon hatten, mit einer Flinte neuesten Systems umzugehen, und daß sie sich nicht würden zu helfen wissen.

»Wenn ihr es nicht könnt,« sagte er mit schlauem Lächeln, »so könnte nur dieser kleine ›Nouzrani‹ (Christ) diesen Hund töten. Aber die Büchse ist imstande, mehrmals nacheinander zu schießen, und ich würde nicht raten, sie ihm in die Hand zu geben.«

»Gott behüte!« rief Idrys. »Er würde uns wie Wachteln niederknallen.«

»Wir haben ja Messer«, warf Gebhr ein.

»Versuch es nur, aber vergiß nicht, daß du auch eine Gurgel hast, die der Hund durchbeißen wird, ehe du ihn niedergestochen hast.«

»Was wollen wir also tun?«

Chamis zuckte die Achseln.

»Warum wollt ihr den Hund denn umbringen? Wenn ihr ihn auch nachher in den Sand verscharrt, die Hyänen werden ihn doch herausgraben, und die Verfolger werden seine Knochen finden. Und sie werden erkennen, daß wir nicht über den Nil übergesetzt, sondern auf dieser Seite geflohen sind. Mag er doch hinter uns herlaufen. Ihr könnt sicher sein, daß er immer bei den Kindern bleiben wird, wenn die Beduinen nach Wasser reiten und wir uns in einer Schlucht versteckt haben. Bei Gott! Es ist besser, daß er jetzt gekommen ist, sonst würde er unsere Verfolger auf unserer Spur bis nach Berber geführt haben. Zu füttern braucht ihr ihn nicht, wenn die Speisereste nicht reichen, so wird er sich schon eine Hyäne oder einen Schakal zu verschaffen wissen. Laßt ihn in Ruhe, rate ich euch, und laßt uns lieber keine Zeit mit diesem unnützen Gerede verlieren.«

»Vielleicht hast du recht«, meinte Idrys.

»Wenn ich recht habe, so werde ich ihm Wasser geben, damit er nicht von selbst nach dem Nil rennt und sich dabei in den Dörfern zeigt.«

Auf diese Weise wurde Sabàs Geschick entschieden, der, nachdem er sich gehörig ausgeruht und gestärkt hatte, in einem Augenblick eine Schüssel voll Wasser leer schlürfte und dann mit neuen Kräften hinter der Karawane herrannte.

Sie durchritten jetzt eine Hochebene, deren Sand vom Winde gekräuselt war und die von beiden Seiten einen Ausblick gewährte über die gewaltige Wüste. Wie eine Perlmuttermuschel wölbte sich der Himmel über ihnen. Leichte Wolken, die sich im Osten angesammelt, schillerten wie Opale und verfärbten sich plötzlich goldig. Ein Strahl, dann noch einer – und wie es in den südlichen Ländern geschieht, wo es keine Morgen- und Abenddämmerung gibt, die Sonne »ging nicht auf«, sondern sie brach aus den Wolken hervor wie eine Feuersäule und überflutete mit hellem Licht den Horizont. Heiterkeit strahlte der Himmel aus, und Heiterkeit strahlte die Erde wider. Und vor den menschlichen Augen eröffneten sich in unendlicher Weite Sandflächen.

»Wir müssen eilen,« sagte Idrys, »denn hier sieht man uns aus weiter Ferne.«

Die ausgeruhten und getränkten Kamele rannten mit der Geschwindigkeit von Gazellen. Sabà blieb zurück; aber man brauchte nicht zu fürchten, daß er sich verirren und sich nicht bei der ersten Rast wieder einfinden würde. Das Dromedar, auf dem Idrys und Staß saßen, blieb dicht an der Seite von Nels Tier, so daß die Kinder sich ungehindert unterhalten konnten. Der Sitz, den die Sudanesen für Nel bereitet hatten, erwies sich als vorzüglich, und das kleine Mädchen sah in ihm wirklich wie ein Vögelchen im Nestchen aus. Sie konnte nicht herabstürzen, auch nicht im Schlaf, und der Ritt strengte sie weit weniger an als in der Nacht. Das helle Tageslicht erfüllte die beiden Kinderherzen mit Mut. Staß hoffte in seinem Herzen, daß, wenn es Sabà gelungen war, sie einzuholen, die Verfolger auch ein gleiches tun könnten. Diese Hoffnung teilte er Nel mit, die ihm zum ersten Male seit ihrer Entführung zulächelte.

»Und wann, meinst du, wird man uns einholen?« fragte sie auf Französisch, damit Idrys sie nicht verstehe.

»Das weiß ich nicht, heute, morgen, oder in zwei oder drei Tagen.«

»Zurück werden wir aber nicht mehr auf Kamelen reisen?«

»Nein, wir werden nur bis zum Nil reiten und den Nil hinunter bis El-Wasta fahren.«

»Oh, das ist schön – das ist schön!«

Die arme Nel, die das Kamelreiten früher so sehr liebte, hatte es jetzt sichtlich über.

»Den Nil entlang – bis El-Wasta und zum Väterchen!« wiederholte sie mit schläfriger Stimme.

Und weil sie sich auf der vorherigen Rast nicht ausgeschlafen hatte, verfiel sie wieder in einen tiefen Schlaf, in einen Schlaf, wie man ihn nach großer Anstrengung gegen Morgen zu tun pflegt.

Indessen trieben die Beduinen die Kamele unaufhörlich an, und Staß bemerkte, daß sie in das Innere der Wüste eindrangen.

Jedoch, um in Idrys die Überzeugung zu erschüttern, daß es ihnen gelingen werde, ihren Verfolgern zu entgehen, und zugleich, um ihm zu zeigen, daß er keinen Zweifel an ihrer Ergreifung hege, sagte er:

»Ihr entfernt euch vom Nil und Bahr-Jussef, aber das wird euch gar nichts helfen, denn man wird euch gar nicht an den Ufern suchen, wo ein Dorf neben dem andern liegt, sondern mehr in der Tiefe der Wüste.«

»Woher weißt du, daß wir uns vom Nil entfernen, da du doch von hier aus die Ufer nicht sehen kannst?« fragte Idrys.

»Weil die Sonne, die im Osten steht, uns auf dem Rücken brennt; das bedeutet, daß wir uns nach Westen gewandt haben.«

»Du bist ein kluger Junge«, sagte Idrys mit Anerkennung. Nach kurzer Zeit fügte er hinzu:

»Aber die Verfolger werden uns nicht einholen, und auch du wirst uns nicht entfliehen können.«

»Nein,« entgegnete Staß, »ich werde nicht entfliehen, es sei denn mit ihr.« Und er zeigte auf Nel.

Bis zum Mittag jagten sie ohne Unterbrechung dahin. Als aber die Sonne hoch am Himmel emporgestiegen war und herabzusengen begann, waren die Kamele, die von Natur wenig schwitzen, in Schweiß gebadet, und ihre Gangart verlangsamte sich bedeutend. Wieder umgaben Felsen und Anhöhen die Karawane. Immer häufiger traf man auf Schluchten, die sich zur Regenzeit zu Strombetten, sogenannten »Khors«, verwandelten. In einer von ihnen, die ganz von Felsen versteckt lag, hielten die Beduinen endlich an.

Aber kaum waren sie von den Kamelen gestiegen, so erhoben sie ein Geschrei, und indem sie sich fortwährend bückten und Steine vor sich hinwarfen, liefen sie vorwärts.

Staß, der noch im Sattel war, hatte einen seltsamen Anblick. Aus trockenen Sträuchern, die den Boden eines Khors bedeckten, kroch eine große Schlange hervor, die sich mit Blitzesschnelligkeit zwischen den Felsstücken nach einem ihr bekannten Schlupfwinkel hindurchschlängelte. Die Beduinen verfolgten sie wütend, Gebhr, mit einem Messer in der Hand, sprang ihnen zu Hilfe. Doch der Unebenheit des Bodens wegen war es ebenso schwer, die Schlange mit einem Stein zu treffen, wie sie mit dem Messer festzunageln – und bald kehrten alle drei mit dem unverkennbaren Ausdruck der Furcht auf ihren Gesichtern zurück. Und man hörte sie die üblichen arabischen Rufe ausstoßen:

»Allah! Bismillah! Maszallah!«

Dann betrachteten beide Sudanesen mit sonderbaren, zugleich durchdringenden und fragenden Blicken Staß, der nicht begriff, was das bedeuten sollte.

Inzwischen war auch Nel vom Kamel abgestiegen, und obwohl sie weniger ermüdet war als in der Nacht, breitete Staß im Schatten auf einer ebenen Stelle eine Filzdecke aus und riet ihr, sich darauf hinzulegen, damit sie, wie er sagte, die Beine ausstrecken konnte. Die Araber nahmen ihre Mahlzeit ein, die nur aus Zwieback, Datteln und einem Schluck Wasser bestand. Die Kamele wurden nicht getränkt, da sie in der Nacht genügend getrunken hatten. Auf den Gesichtern von Idrys, Gebhr und den der Beduinen lag noch immer der Ausdruck von Besorgnis, und schweigend wurde die Rast gehalten.

Endlich nahm Idrys Staß beiseite und begann, ihn auszuforschen, mit geheimnisvollem und zugleich beunruhigtem Gesicht.

»Hast du die Schlange gesehen?«

»Die hab' ich gesehen.«

»Hast du nicht ihr Erscheinen heraufbeschworen?«

»Nein.«

»Uns erwartet irgendein Unglück, denn es ist den Dummköpfen nicht gelungen, die Schlange zu töten.«

»Euch erwartet der Galgen!«

»Schweig! Ist dein Vater etwa ein Zauberer?«

»Das ist er«, antwortete Staß, ohne zu zaudern, da er im gleichen Augenblick begriffen, daß diese wilden und abergläubischen Leute das Erscheinen des Reptils für einen bösen Zauber und ein Zeichen hielten, daß ihnen ihre Flucht nicht gelingen würde.

»Dann hat dein Vater sie uns hergeschickt«, antwortete Idrys. »Aber er sollte verstehen, daß wir uns für seinen Zauber an dir rächen können.«

»Ihr werdet mir nichts antun, denn für meine Leiden werden die Söhne Fatimas büßen müssen.«

»Das hast du auch schon verstanden? – Aber bedenke, wenn ich nicht gewesen wäre, so wärest du unter den Peitschenhieben Gebhrs verblutet, – du und das kleine Mädchen auch.«

»Deshalb werde ich mich auch für dich verwenden. Gebhr aber wird an den Galgen kommen.«

Darauf sah Idrys ihn eine Zeit wie erstaunt an und sagte dann: »Noch ist unser Leben nicht in deiner Hand, du aber redest mit uns, als wärest du unser Herr.«

Nach einer Weile fügte er hinzu: »Ein wunderlicher ›Uled‹ (Knabe) bist du. Einen solchen habe ich noch nicht gesehen. Bisher war ich gut zu euch, merke dir das und drohe nicht.«

»Gott straft den Verrat«, antwortete Staß.

Es war augenscheinlich, daß die Sicherheit, mit der Staß sprach, in Verbindung mit dem bösen Zauber in Gestalt der Schlange, der es gelungen war, zu entkommen, Idrys in hohem Maße beunruhigte. Noch als er das Kamel wieder bestieg, wiederholte er mehrmals: »Ja, ich war gut zu euch«, als wenn er dies Staß für alle Fälle ins Gedächtnis einprägen wollte. Dann begann er betend an den Gliedern seines Rosenkranzes zu schieben, der aus Nußschalen gemacht war.

Gegen zwei Uhr nachmittags wurde es, trotzdem es Winter war, ungewöhnlich heiß. Am Himmel war kein einziges Wölkchen zu sehen, aber die Ränder des Horizontes färbten sich tief grau. Über die Karawane flogen einige Geier, deren weitausgebreitete Flügel huschende schwarze Schatten auf den Sand warfen. In der durchglühten Luft spürte man Brandgeruch. Die Kamele rannten weiter, aber sie fingen an, sonderbare Töne, eine Art Räuspern, von sich zu geben. Einer der Beduinen näherte sich Idrys.

»Es scheint etwas Schlimmes im Anzuge zu sein«, sagte er.

»Was meinst du?« fragte der Sudanese.

»Böse Geister haben den im Westen der Wüste schlafenden Wind geweckt, und er hat sich aus dem Sande erhoben und eilt auf uns zu.«

Idrys richtete sich ein wenig im Sattel hoch, blickte eine Zeitlang in die Ferne und antwortete:

»So ist es. Er kommt vom Südwesten; aber er pflegt nicht so arg zu sein wie der Chamsin.« Ein ebenfalls südwestlicher Wind, der aber nur im Frühling weht.

»Vor drei Jahren verschüttete er aber bei Abu Hamed eine ganze Karawane, und erst im verflossenen Winter hat er wieder ihre Gebeine bloßgelegt. Yalla! Er kann Kraft genug besitzen, um die Nüstern der Kamele zu verstopfen, und das Wasser in den Säcken auszutrocknen.«

»Wir müssen eilen, damit er uns nur mit einem Flügel streift.«

»Wir rennen ihm gerade entgegen und werden ihm nicht ausweichen können.«

»Je schneller er kommt, je schneller ist er vorübergezogen!«

Als er das gesagt hatte, schlug Idrys sein Kamel mit der Peitsche, und die anderen folgten seinem Beispiele. Einige Zeit hindurch hörte man nur das klatschende Aufschlagen der dicken Peitschen und die Rufe: »Yalla! Yalla!«

Im Südwesten verdunkelte sich der bisher weiße Horizont. Die Hitze hielt noch immer an, und die Sonne versengte mit ihren glühenden Strahlen die Köpfe der Reiter. Die Geier flogen höher und höher; denn der Schatten ihrer Flügel wurde immer kleiner und verschwand schließlich völlig.

Die Luft wurde zunehmend schwüler.

Die Araber schrien auf ihre Kamele ein, bis ihnen die Kehle ausgedörrt war, dann wurden sie ruhig, und es trat Grabesstille ein, die nur durch das Gestöhne der Tiere unterbrochen wurde. Zwei kleine Sandfüchse Die Tiere sind kleiner als unsere Füchse und werden Fennek genannt. mit riesigen Ohren rannten, in entgegengesetzter Richtung fliehend, an der Karawane vorbei.

Derselbe Beduine, der vorher mit Idrys gesprochen hatte, rief ihn abermals an, mit einer sonderbaren, ganz fremd klingenden Stimme.

»Das wird kein gewöhnlicher Wind. Uns verfolgen böse Zauberer. Die Schlange ist an allem schuld.«

»Ich weiß«, antwortete Idrys.

»Sieh, die Luft zittert. Im Winter pflegt sie es nicht zu tun.«

In der Tat, die durchglühte Luft begann zu zittern, und durch eine optische Täuschung schien es den Reitern, als wenn der Sand ebenfalls zitterte. Der Beduine nahm seine schweißgetränkte Mütze vom Kopfe und sagte: »Das Herz der Wüste zittert vor Erregung.«

Darauf wandte sich der zweite Beduine, der an der Spitze der Karawane als Kamelführer ritt, um und begann zu rufen:

»Er kommt schon! Er kommt!« –

Und in der Tat, der Wind kam. In der Ferne erschien eine dunkle Wolke, die vor den Augen der Reisenden höher und höher stieg und sich ihnen näherte. Die Luft rings um sie herum kam in Wellenbewegung, und plötzlich begannen Windstöße den Sand aufzuwirbeln. Hier und da öffneten sich trichterförmige Löcher, als wenn jemand mit einem Stock in dem Sand der Wüste herumbohrte. Stellenweise entstanden sich flink drehende Sandwirbel, die unten dünnen Säulen ähnelten und sich nach oben fächerförmig auseinanderbreiteten. Alles das währte nur einen Augenblick. Mit unbegreiflicher Geschwindigkeit näherte sich die Wolke, die der Kameltreiber zuerst gesehen hatte. Die Menschen und die Tiere wurden wie von dem Flügel eines Riesenvogels gepeitscht. In einem Augenblick waren ihre Augen und ihr Mund von Staub erfüllt. Staubwolken verdeckten den Himmel und die Sonne und hüllten die Welt in Finsternis ein. Die Reiter konnten sich gegenseitig nicht mehr erkennen, und wie durch einen Nebelschleier sah man die Beine der zunächst gehenden Kamele sich bewegen. Kein Rauschen – in der Wüste gibt es ja keine Bäume –, aber das Heulen des Sturmwindes übertönte die Rufe des Führers und das Gebrüll der Tiere. Die Luft roch nach Kohlendunst. Die Kamele blieben stehen, sie wandten sich vom Winde ab, streckten ihre langen Hälse nach unten, so daß sie mit den Nüstern den Sand berührten.

Die Sudanesen aber gestatteten den Tieren nicht, stehenzubleiben, weil Karawanen, die während eines Orkans Rast machen, leicht verschüttet werden. Am ratsamsten ist es, mit dem Sturmwind zu jagen, aber Idrys und Gebhr durften das nicht, da sie auf diese Weise wieder nach Fayum zurückgekehrt wären, wo sie ihre Verfolger vermuteten. Daher trieben sie ihre Kamele, als die ersten Windstöße vorüber waren, weiter.

Einige Minuten hindurch wurde es ruhig; aber die rostbraune Finsternis zerstreute sich nur sehr langsam, weil die Sonne die Sandwolken, die in der Luft schwebten, nicht durchdringen konnte. Allmählich fielen die gröberen und schweren Sandkörner wieder zur Erde. In sämtliche Spalten und Ritzen der Sättel, in allen Kleiderfalten setzte sich der Sand fest. Menschen und Tiere zogen mit jedem Atemzuge Staub ein, der die Lunge reizte und unter den Zähnen knirschte.

Dabei mußte man damit rechnen, daß der Sturmwind sich jeden Augenblick von neuem erheben und alles in Finsternis einhüllen konnte.

Staß kam der Gedanke, daß, wenn er mit Nel auf einem Kamel säße, es ihm gelingen könnte, bei der Finsternis in der Richtung des Windes nach Norden zu fliehen. Wer weiß, ob man es in der Dunkelheit und in dem Aufruhr der Elemente bemerken würde. Und wenn es ihnen gelänge, das erste beste Dorf am Bahr-Jussef oder am Nil zu erreichen, so waren sie gerettet. Idrys und Gebhr würden nicht wagen, sie zu verfolgen, da sie dann sofort in die Hände der Zabdjes fallen würden.

Nachdem Staß dies alles bei sich erwogen hatte, stieß er Idrys an die Schultern und sagte: »Gib mir Wasser.«

Idrys schlug ihm seine Bitte nicht ab, wiewohl sie am Morgen sehr in das Innere der Wüste vorgedrungen und ziemlich weit vom Fluß entfernt waren, denn sie hatten genügend Wasser bei sich, und die Kamele hatten sich in der Nacht satt getrunken. Außerdem wußte er, als ein mit der Wüste vertrauter Mann, daß auf einen Orkan gewöhnlich Regen zu folgen pflegt, der die ausgetrockneten Khore in strömende Bäche verwandelt.

Staß hatte wirklich Durst, daher tat er einen guten Zug. Dann stieß er Idrys wieder an, ohne ihm jedoch das Gefäß zurückzugeben.

»Laß die Karawane anhalten!«

»Weshalb?« fragte der Sudanese.

»Weil ich mich auf das Kamel zu dem kleinen Mädchen hinübersetzen will, um ihm Wasser zu geben.«

»Dinah hat ein größeres Gefäß als ich!«

»Aber sie ist gierig und hat das Wasser sicherlich schon ausgetrunken. Auch wird der Sattelsitz, den ihr korbartig eingerichtet habt, reichlich voll Sand sein. Dinah wird sich nicht zu helfen wissen.«

»Der Wind wird sich bald von neuem erheben und doch wieder alles vollschütten.«

»Um so mehr wird das kleine Mädchen meine Hilfe nötig haben.«

Idrys schlug mit der Peitsche auf das Kamel ein, und ritt schweigend weiter.

»Warum antwortest du nicht?« fragte Staß.

»Weil ich darüber nachdenke, ob es besser wäre, dich am Sattel festzubinden, oder deine Hände auf dem Rücken zu fesseln.«

»Du bist von Sinnen!«

»Nein, aber ich erriet, was du vorhattest.«

»Die Verfolger werden uns sowieso einholen, ich habe das also nicht nötig.«

»Die Wüste steht in Gottes Hand.«

Wieder trat Stillschweigen ein. Der schwerere Sand war indessen wieder völlig zur Erde gefallen. Die Luft war nur noch mit einem feinen roten Staub wie mit Roggenmehl getränkt, durch den die Sonne wie eine Scheibe aus Messingblech hindurchleuchtete. Aber man konnte schon weiter Umschau halten. Vor der Karawane zog sich jetzt eine flache Ebene hin, an deren Rand die scharfen Augen der Araber wieder eine Wolke entdeckten. Sie stand höher als die erste, und außerdem ragten aus ihr sich nach oben erweiternde riesige, schornsteinartige Pfähle hervor. Bei diesem Anblick erzitterten die Herzen der Araber und Beduinen; denn sie erkannten, daß dies große vom Sturm getriebene Sandwirbel waren. Idrys hob die Arme empor, und indem er seine Handflächen auf die Ohren legte, fing er an, sich vor dem heranfliegenden Sturm zu verneigen. Sein Glaube an einen Gott hinderte ihn anscheinend nicht, auch noch andere zu verehren und zu fürchten, denn Staß hörte ihn deutlich sagen:

»Herr, wir sind deine Kinder, darum friß uns nicht auf!«

Der Herr aber brauste schon heran und stürmte mit solcher Kraft auf die Kamele ein, daß sie fast zu Boden stürzten. Die Tiere scharten sich zusammen, die Köpfe alle zur Mitte gewendet. Ganze Sandmassen stürzten herunter. Die Karawane war in noch tiefere Finsternis eingehüllt als zuvor, und in dieser kaum zu durchdringenden Nacht flogen noch dunklere, nicht zu erkennende Gegenstände an den Reitern vorbei, gewaltigen Vögeln oder mit dem Orkan laufenden Kamelen gleich. Grauen erfaßte die Araber, denn sie glaubten, daß es die Geister der im Wüstensand umgekommenen Menschen und Tiere wären. Seltsame Laute übertönten das Heulen und Brausen des Sturmes, bald Schluchzen, bald Lachen, und bald schienen es Hilferufe zu sein. Allein das alles waren nur Sinnestäuschungen. Die Wirklichkeit drohte mit hundertmal schrecklicheren Gefahren. Die Sudanesen wußten sehr wohl, daß, wenn einer dieser Wirbelwinde aus dem Schoße des Orkans sie erfaßte, er die Reiter herabreißen und die Kamele auseinandertreiben würde. Und wenn dann die Gewalt des Orkans hereinbrach, so würde er in einem Augenblick einen Grabhügel über sie aufschütten, unter dem sie warten mußten, bis ein späterer Orkan ihre Skelette wieder freilegte.

Staß wurde es schwindlig im Kopfe. Es fehlte ihm an Luft, und der Sand blendete ihn fast völlig. Zuweilen schien es ihm, als höre er Nel weinen und rufen, und daher dachte er nur an sie. Da die Kamele in einem zusammengedrängten Haufen standen und Idrys nicht auf ihn achten konnte, beschloß er, die Gelegenheit zu benutzen, um auf Nels Kamel hinüberzuklettern, jetzt nicht mehr, um mit ihr zu fliehen, nur um sie zu trösten und ihr Mut zuzusprechen. Aber kaum hatte er die Beine hochgezogen und die Hand ausgestreckt, um Nels Sattel zu fassen, da ergriff ihn Idrys' mächtige Faust. Der Sudanese hob ihn wie eine Feder, legte ihn vor sich und begann ihn mit einem Palmenstrick zu fesseln. Nachdem er ihm die Hände gebunden hatte, legte er ihn quer über den Sattel. Staß biß die Zähne zusammen und widersetzte sich nach besten Kräften, aber umsonst. Mit ausgetrockneter Kehle und den Mund ganz voll Sand gelang es ihm nicht, Idrys zu überzeugen, daß er nur dem Mädchen zu Hilfe kommen, aber nicht mit ihr fliehen wollte.

Nach einiger Zeit, als er fühlte, daß er ersticken müsse, begann er mit gepreßter Stimme zu rufen:

»Rettet die kleine Bint! Rettet die kleine Bint!«

Die Reiter zogen es jedoch vor, an ihr eigenes Leben zu denken. Der Sturm wurde so gewaltig, daß weder sie sich auf ihren Kamelen halten, noch die Kamele auf einer Stelle stehen bleiben konnten. Die Beduinen und auch Chamis und Gebhr sprangen auf den Boden, um die Tiere an den Strängen zu halten, die an ihrem Unterkiefer an Mundstücken befestigt waren. Nachdem Idrys Staß auf den hinteren Teil des Sattels geschoben hatte, tat er dasselbe. Die Tiere spreizten ihre Beine möglichst weit auseinander, um dem Sturm Widerstand zu leisten, aber es mangelte ihnen an Kräften. Und die Karawane, wie mit Hunderten von Peitschen vom Kies gepeitscht und vom Sand wie mit stechenden Nadeln überschüttet, begann sich unter dem Druck des Sturmes bald langsam, bald schnell zu drehen und dem Ansturm zu weichen. Zuweilen öffnete der Sturm tiefe Gruben vor ihnen, dann wieder bildeten der Sand und Kies, der von den Seiten der Kamele abprallte, große Hügel um sie herum, die ihnen bis zu den Knien und höher reichten. So verfloß eine Stunde nach der andern. Die Gefahr wurde immer drohender. Idrys sah schließlich ein, daß die einzige Rettung darin bestand, die Kamele zu besteigen und mit dem Wind zu entfliehen. Aber das hieße, in der Richtung nach Fayum reiten, wo die ägyptischen Gerichte und der Galgen ihrer wartete.

»Ha, wenn es auch schwer ist, was hilft's«, dachte Idrys. »Der Orkan wird auch unsere Verfolger aufgehalten haben, und sobald er aufhört, werden wir uns wieder nach Süden wenden.« Und er begann zu befehlen, auf die Kamele zu steigen.

In diesem Augenblick aber ereignete sich etwas, das die ganze Sachlage änderte.

Plötzlich wurden die dunklen, fast schwarzen Sandwolken von einem bläulichen Licht durchleuchtet. Dann wurde es noch finsterer als zuvor. Zugleich aber erwachte, vom Sturme geweckt, ein in den Höhen schlafender Donner, er begann zwischen der arabischen und Libyschen Wüste dahinzurollen, mächtig, drohend, wie in tiefem Grimme. Berge und Felsen schienen sich vom Himmel herabzuwälzen. Des Gewitters Macht schwoll zu fürchterlichem Gekrache an, die Erde erbebte unter diesem Getöse, den ganzen Horizont entlang zog sich das Gewitter, stellenweise mit so ungeheurer Kraft, als ob das geborstene Himmelsgewölbe auf die Erde herniederstürzte. Dann wieder ertönte mit dumpfem, ununterbrochenem Getöse ein Donner. Ein nicht enden wollendes Gewitter brach aus. Grelle Blitze blendeten die Augen, denen endloses Donnern mit grollendem Dröhnen und furchtbarem Gepolter folgte.

Der Wind hatte sich, wie bestürzt von diesen Donnerschlägen, gelegt. Und als nach langer Zeit irgendwo in der Ferne sich die Himmelstore schlossen, folgte dem Donner Todesstille.

Nach einer Weile brach die Stimme des Führers dieses tiefe Schweigen.

»Es lebt ein Gott, ein Herrscher über Sturm und Gewitter! Wir sind gerettet!«

Sie ritten nun wieder weiter; aber eine so undurchdringliche Finsternis umgab sie, daß die Menschen, obwohl die Kamele dicht beieinander liefen, sich nicht erkennen konnten. Sie mußten sich fortwährend durch Rufe vernehmlich machen, um nicht einander zu verlieren.

Von Zeit zu Zeit erleuchteten helle, graublaue oder rote Blitze die Sandfläche, aber die Nacht, die ihnen folgte, war von einer dichten, fast greifbaren Finsternis. Trotzdem die Stimme des Führers die Herzen der Sudanesen ermutigte, verließ sie eine bange Unruhe doch nicht, wohl weil sie sich blindlings vorwärts bewegten, ohne die Richtung zu kennen, ohne zu wissen, ob sie sich nicht im Kreise drehten oder gar nach Norden zurückkehrten. Die Kamele stolperten fortwährend und konnten nicht mehr laufen; dabei atmeten sie seltsam und so laut, daß es den Reitenden schien, als ob die ganze Wüste in banger Unruhe mitatmete.

Endlich fielen die ersten großen Regentropfen, die einem Orkan fast immer unmittelbar zu folgen pflegen. Zugleich hörte man in der Dunkelheit die Stimme des Führers: »Ein Khor!«

Sie befanden sich vor einer Schlucht. Die Kamele blieben einige Augenblicke am Rande stehen, dann begannen sie, vorsichtig hinabzusteigen.


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