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XXVIII.

Der neue Wohnsitz, von Staß »Krakau« benannt, wurde in drei Tagen eingerichtet. Aber vorher wurde im »Herrenzimmer« das Hauptgepäck niedergelegt, und bei starkem Tropenregen fand das junge Quartett schon vor der Beendigung der Einrichtung guten Schutz in dem Riesenstamme.

Die Regenzeit setzte mit voller Kraft ein. Sie glich nicht unseren Regenperioden im Frühling, wo der Himmel sich völlig in dunkle Wolken hüllt und das langweilige, lästige Regenwetter ganze Wochen anhält; hier trieb der Wind mehrmals am Tage schwere Wolkenmassen am Himmel zusammen, die die Erde reichlich mit Regen besprengten. Gleich darauf aber strahlte die Sonne wieder im hellsten Glanze, wie frisch gewaschen, und übergoß die Felsen, den Fluß, die Bäume und das ganze Dschungel mit goldigem Lichte. Die Gräser wuchsen fast zusehends. Die Bäume bedeckten sich immer üppiger mit Laub, und noch ehe die reifen Früchte heruntergefallen waren, zeigten sich schon die Triebe für die neuen. Die Luft war durch die in ihr hängenden Wassernadeln so durchsichtig, daß man selbst entfernte Gegenstände ganz deutlich sehen und der Blick in unermeßliche Fernen schweifen konnte. Am Himmel standen wunderbare, siebenfarbige Regenbogen, die den Wasserfall fast ständig schmückten. Die nur kurze Morgen- und Abendröte spielte in Tausenden von Farben; selbst in der Lybischen Wüste hatten die Kinder kein so wechselndes, prächtiges Farbenspiel gesehen. Die am tiefsten stehenden Wolken, die dicht über dem Erdboden lagen, leuchteten kirschrot; die höheren, die mehr von der Sonne durchleuchtet wurden, erglänzten purpurnen und goldigen Seen gleich, während die kleinen Lämmerwölkchen in den verschiedensten Farben spielten, wie Rubinen, Amethyste und Opale. In den Nächten zwischen den Regengüssen verwandelte der Mond die Tautropfen in Diamanten, die an den Blättern der Mimosen und Akazien hingen, und das Zodiakallicht leuchtete in der erfrischten Luft klarer als während der anderen Jahreszeiten.

Von den unterhalb des Wasserfalles ausgetretenen Flußufern her tönte das unruhige Quaken der Frösche und das melancholische Geunke der Kröten, und Leuchtkäfer flogen, Sternschnuppen gleich, von Ufer zu Ufer, zwischen den Bambus- und Arumsträuchern hin und her.

Nur wenn für Minuten die Wolken den ausgestirnten Himmel bedeckten, wurde es sehr dunkel und im Innern des Baobab so finster wie in einem Keller. Um dem abzuhelfen, befahl Staß Mea, das Fett von den erlegten Tieren auszulassen, und er verfertigte aus einer Blechbüchse eine Lampe, die er unterhalb der oberen Öffnung aufhing, die von den Kindern das Fenster genannt wurde. Das Licht, das von diesem Fenster aus in der Dunkelheit bis weit in die Ferne drang, schreckte zwar die wilden Tiere ab, aber es zog Fledermäuse und selbst Vögel an, so daß Kali schließlich die Öffnung mit einer Art Dornenvorhang versehen mußte, in ähnlicher Weise, wie er zur Nacht die untere Öffnung verschloß.

Am Tage, wenn das Wetter gut war, verließen die Kinder »Krakau« und wanderten auf der Landzunge umher. Staß machte Jagd auf Antilopen-Arielen und auf Strauße, die sich in größeren Herden am Unterlaufe des Flusses zeigten. Nel aber ging zu ihrem Elefanten, der zuerst nur trompetete, wenn er Hunger hatte, jetzt aber auch dann seine Stimme ertönen ließ, wenn er sich ohne seine kleine Freundin langweilte. Er begrüßte sie immer mit sichtlicher Freude und spitzte seine Riesenohren, sobald er ihre Stimme oder ihre Schritte aus der Ferne vernahm.

Eines Tages, als Staß auf der Jagd war, und Kali hinter dem Wasserfall angelte, beschloß Nel, zu dem Felsen zu gehen, der die Schlucht abschloß, um zu sehen, wie Staß sich bei der Befreiung des Elefanten zu helfen gedachte, und ob er schon irgend etwas unternommen hatte. Die mit dem Mittagsmahl beschäftigte Mea achtete nicht darauf, daß Nel sich entfernte. Indem das kleine Mädchen unterwegs die Blumen einer besonderen Begonienart Begonia Jonsthoni. sammelte, die an den ausgezähnten Felsrändern prächtig wuchsen, näherte es sich der allmählich abfallenden Stelle, durch die sie damals aus der Schlucht heraufgekommen waren, und als es dort hinabgestiegen war, befand sie sich bald vor dem Felsen. Der große Stein, der sich vom Mutterfelsen losgelöst hatte, verschloß noch wie vordem den Schlund der Schlucht. Nel aber entdeckte zwischen ihm und der Wand einen Durchgang, der so breit war, daß sich selbst ein Erwachsener hindurchzwängen konnte. Einige Augenblicke zauderte sie, dann aber ging sie hindurch und befand sich auf der anderen Seite. Nun mußte man erst eine Wegbiegung machen, um zu der breiten, vom Wasserfall abgeschlossenen Mündung zu gelangen.

Nel begann zu überlegen: »Ich werde nur ein bißchen weitergehen, hinter den Felsen gucken, mir den Elefanten, der mich gar nicht bemerken wird, einmal ansehen und dann wieder umkehren.« Und sie ging Schritt für Schritt weiter, bis sie schließlich an die Stelle kam, wo sich die Schlucht zu einem kleinen Tälchen erweiterte. Jetzt sah sie den Elefanten. Er kehrte ihr den Rücken zu, hatte den Rüssel in den Wasserfall gesteckt und trank. Das machte ihr Mut, sie schmiegte sich dicht an die Felswand und ging einige Schritte weiter. Da aber, als sich das Riesentier seine Seiten begießen wollte, wandte es den Kopf um, erblickte das kleine Mädchen und schritt sofort darauf zu.

Nel erschrak sehr, aber da ihr keine Zeit mehr zum Rückzug blieb, drückte sie die Knie zusammen und machte dem Elefanten einen schönen Knicks, dann streckte sie ihm ihre mit Begonien gefüllten Händchen entgegen und sagte mit zitternder Stimme:

»Guten Tag, lieber Elefant. Ich weiß, du wirst mir nichts Böses tun, daher kam ich dir guten Tag zu sagen, und ich habe nur diese Blümchen – –«

Der Koloß näherte sich ihr, streckte den Rüssel aus und nahm aus Nels Fingern das Bündel Begonien. Nachdem er sie aber in sein Maul gesteckt hatte, ließ er sie sofort wieder zur Erde fallen, denn augenscheinlich mundeten ihm weder die Blumen noch die rauhen Blätter. Dann sah Nel den Rüssel des Elefanten über sich, der sich wie eine Riesenschlange bald ausstreckte und bald zusammenzog. Darauf berührte er Nels Händchen, eins nach dem andern, und ihre beiden Schultern, schließlich ließ er den Rüssel herab und begann ihn langsam nach beiden Seiten zu schaukeln.

»Ich wußte, daß du mir nichts zuleide tun wirst«, wiederholte die kleine Nel, obwohl der Schrecken ihr noch in den Gliedern saß.

Der Elefant aber zog seine fabelhaften Ohren hoch, rollte seinen Rüssel abwechselnd auf und wieder auseinander und gluckste, wie er immer gegluckst, wenn die Kleine sich am Rande der Schlucht gezeigt hatte.

Und wie einstmals sich Staß mit dem Löwen gegenübergestanden hatte, so standen sich jetzt diese beiden gegenüber, er, ein Riese, einem Hause oder einem Felsen ähnlich, und sie – ein winziges Krümchen, das er mit einer einzigen, nicht einmal böswilligen, sondern nur unachtsamen Bewegung vernichten konnte.

Aber das gute und kluge Tier machte keinerlei, weder zornige noch unvorsichtige Bewegungen. Es war sichtlich froh und zufrieden über den Besuch des kleinen Gastes.

Nel wurde allmählich mutiger; schließlich hob sie die Augen ganz hoch, als wenn sie die Ziegel eines Daches sehen wollte, streckte ihr Händchen schüchtern aus und fragte:

»Darf man deinen Rüssel streicheln?«

Der Elefant verstand zwar nicht englisch, aber aus ihrer Handbewegung begriff er sogleich, um was es sich handelte. Und er schob das Ende seiner zwei Meter langen Nase unter ihre flache Hand.

Nel begann, den Rüssel zu streicheln. Zuerst mit einer Hand und sehr vorsichtig, dann mit beiden, und schließlich umfaßte sie ihn mit ihren beiden Ärmchen und schmiegte sich voller kindlichen Vertrauens an ihn an. Der Elefant trat von einem Bein auf das andere und gluckste ununterbrochen vor Freude.

Nach einiger Zeit legte er den Rüssel um den winzigen Körper des kleinen Mädchens, hob es nach oben und begann, es von rechts nach links zu schaukeln.

»Mehr, mehr!« rief die mittlerweile ganz lustig gewordene kleine Nel.

Dieses Spiel dauerte ziemlich lange, dann dachte sich Nel etwas anderes aus. Sie ließ sich vom Rüssel auf die Erde gleiten und versuchte dann, am Vorderbein des Elefanten hinaufzuklettern wie auf einen Baum. Oder sie versteckte sich unter ihm und fragte, ob er sie finden könnte. Bei diesen Späßen bemerkte sie dann, daß in den vorderen und besonders in den hinteren Füßen des Elefanten viele Dornen steckten, von denen das mächtige Tier sich nicht zu befreien vermochte, weil es einerseits mit seinem Rüssel nicht bis zu den Hinterfüßen reichen konnte und andererseits wohl fürchtete, sich den Finger zu verletzen, in dem sein Rüssel endigte, und ohne den es seine ganze Geschicklichkeit und Gewandtheit verloren hätte.

Nel wußte ganz und gar nicht, daß diese in den Füßen steckenbleibenden Dornen sowohl für die Elefanten in Indien und noch mehr für die afrikanischen, wo das ganze Dschungel hauptsächlich aus Dornengewächsen besteht, eine wahre Plage sind; aber da der gutherzige Riese ihr leid tat, begann sie, ohne viel zu überlegen, sich an seinem Fuße niederzukauern und ihm vorsichtig, zuerst die großen, dann die kleineren Stacheln herauszuziehen. Und sie hörte nicht auf, dem Elefanten dabei zu versichern, daß sie nicht einen einzigen vergessen würde.

Das Tier verstand ausgezeichnet, was vorging; es bog die Knie und hob die Füße, um zu zeigen, daß auch in den Sohlen zwischen den Hufen, die die Zehen bedeckten, Dornen steckten, die ihm noch mehr Beschwerden als die anderen machten.

Inzwischen war Staß von der Jagd zurückgekommen, und er begann sofort, Mea auszufragen, wo das Fräulein wäre. Da er zur Antwort bekam, daß sie sich im Baum befände, wollte er schon in das Innere des Baobab hineinsehen, als es ihm schien, als wenn ihre Stimme aus der Tiefe der Schlucht zu ihm heraufklänge. Er traute seinen Ohren nicht und eilte sogleich zum Abhang. Er blickte nach unten und wurde ganz starr vor Schrecken. Das kleine Mädchen saß am Fuße des Kolosses, der so ruhig stand, daß man ihn für ein Steinbild hätte halten können, wenn er nicht die Ohren und den Rüssel bewegt hätte.

»Nel!« rief Staß.

Und sie, ganz mit ihrer Arbeit beschäftigt, antwortete ihm heiter:

»Gleich, gleich!«

Darauf hob der Knabe, der nicht gewohnt war, angesichts einer Gefahr zu schwanken, die Flinte mit der einen Hand in die Höhe, mit der anderen ergriff er einen von der Rinde befreiten Lianenstengel, umklammerte ihn mit den Beinen und ließ sich im Umsehen auf den Boden der Schlucht hinab.

Der Elefant bewegte unruhig die Ohren, aber in dem Augenblick stand Nel auf, umarmte seinen Rüssel und rief eilig:

»Fürchte dich nicht, Elefantchen, das ist Staß!«

Staß begriff sogleich, daß ihr keinerlei Gefahr drohte, dennoch zitterten ihm die Beine noch, und sein Herz klopfte gewaltig. Bevor er sich noch von dem Schreck erholt hatte, begann er gepreßt, im schmerzlichen und zornigen Tone zu sprechen:

»Nel, Nel, wie konntest du das tun?«

Sie begann sich zu entschuldigen, daß sie doch nichts Schlechtes getan hätte, weil der Elefant gut und schon ganz an sie gewöhnt wäre. Sie hätte ihn ja auch nur einmal sehen und dann gleich umkehren wollen. Aber er hätte sie festgehalten, mit ihr zu spielen begonnen und sie ganz vorsichtig geschaukelt. Und Staß würde er gewiß auch schaukeln, wenn er nur wollte.

Bei diesen Worten faßte sie mit der einen Hand das Ende des Rüssels und näherte sich Staß, mit der anderen Hand führte sie von rechts nach links Bewegungen aus und sagte dabei zum Elefanten:

»Schaukle auch Staß, liebes Elefantchen!«

Das kluge Tier erriet wieder aus den Bewegungen, was man von ihm verlangte, und Staß befand sich im nächsten Augenblick hoch in der Luft. Seine noch zornige Miene und dieses Schweben in der Luft standen in einem so eigentümlichen, amüsanten Gegensatz zueinander, daß die kleine »Mzimu« Tränen lachte, in die Hände klatschte und wie zuvor »mehr, mehr!« rief.

Und da es wirklich nicht angeht, die gebührende Autorität zu wahren und Moral zu predigen in einem Augenblicke, wo man an einem Elefantenrüssel hängt und gegen seinen Willen Pendelschwingungen ausführt, so fing Staß zu guter Letzt auch an zu lachen. Aber nach einiger Zeit, als er bemerkte, daß die Bewegungen des Elefantenrüssels sich verlangsamten, und daß das Tier ihn abzusetzen beabsichtigte, kam er plötzlich auf einen neuen Gedanken. Er benutzte den Augenblick, als er sich in der Nähe des Riesenohres befand, ergriff es mir beiden Händen und kletterte so auf den Kopf und dann auf den Nacken des Elefanten.

»Oho!« rief er von oben zu Nel. »Mag er begreifen, daß er mir gehorchen muß.«

Und er begann, ihn mit dem Gebahren eines Herrschers und Herrn mit der Hand auf den Kopf zu klatschen.

»Gut!« rief Nel von unten, »aber wie kommst du nun herunter?«

»Das ist eine Kleinigkeit«, antwortete Staß.

Er ließ die Beine an der Stirn des Elefanten herabhängen, umfaßte damit den Rüssel und rutschte so wie an einem Baumstamm herab.

»So komme ich herunter!«

Dann begannen beide Kinder, dem Elefanten die letzten Reste der Dornen herauszuziehen, was das Tier sich mit großer Geduld gefallen ließ.

Inzwischen fielen die ersten Regentropfen. Staß beschloß, Nel sofort nach »Krakau« zu führen; aber nun entstand eine unerwartete Schwierigkeit. Der Elefant wollte sich auf keinen Fall von Nel trennen, und jedesmal, wenn sie sich zu entfernen versuchte, schlang er seinen Rüssel um sie und zog sie zu sich. Die Lage wurde bedenklich, und das fröhliche Spiel konnte dank der Hartnäckigkeit des Tieres schlecht enden. Staß wußte nicht, was er beginnen sollte, denn es regnete immer stärker, und ein heftiger Platzregen drohte. Beide Kinder zogen sich ein wenig nach dem Ausgange zurück, aber der Elefant folgte ihnen. Endlich stellte sich Staß zwischen ihm und Nel, und indem er seine Augen mit scharfem Blick fest auf den Elefanten richtete, sagte er leise zu der Kleinen:

»Renne nicht fort, sondern ziehe dich allmählich bis zu der engen Öffnung zurück.«

»Und du, Staßchen?« fragte das kleine Mädchen.

»Ziehe dich zurück!« wiederholte er mit Nachdruck, »denn sonst muß ich den Elefanten erschießen!«

Unter dem Einfluß dieser Drohung gehorchte Nel sogleich, um so mehr, da sie ein unbegrenztes Vertrauen zu dem Elefanten hegte und fest davon überzeugt war, daß er auf keinen Fall Staß etwas zuleide tun würde.

Staß stand vier Schritte von dem Riesen entfernt, ohne einen Augenblick seinen Blick von ihm abzuwenden.

So verflossen einige Minuten. Ein bedenklicher Augenblick trat ein. Die Ohren des Elefanten bewegten sich mehrere Male unwillig; die kleinen Äuglein blitzten sonderbar, und der Rüssel hob sich plötzlich in die Höhe.

Staß fühlte, daß er erbleichte.

»Der Tod!« dachte er.

Da aber wandte sich der Koloß plötzlich ganz unerwartet dem Schluchtabhang zu, auf dessen Rande er für gewöhnlich Nel stehen sah, und er begann so wehklagend zu trompeten, wie nie zuvor.

Staß ging ruhig zum Durchgang und fand hinter dem Felsen Nel, die nicht ohne ihn zum Baume zurückkehren wollte.

Der Knabe hatte die unbezwingbare Lust, ihr zu sagen: »Sieh, was du angerichtet hast, es fehlte nur eine Kleinigkeit, und ich wäre deinetwegen umgekommen!« Aber es war keine Zeit zu irgendwelcher Aussprache, denn es regnete in Strömen, und man mußte möglichst schnell zum Baume zurückkehren. Nel war bis auf den letzten Faden durchnäßt, obwohl Staß sie noch mit seiner eigenen Kleidung umhüllt hatte.

Als sie im Innern des Baumes angekommen waren, befahl Staß der Negerin, Nel sofort auszukleiden. Er selbst band zuerst Sabà los, den er zuvor im »Herrenzimmer« angebunden hatte, aus Furcht, daß die Dogge seinen Spuren folgen und ihm das Wild verscheuchen würde. Dann begann er, sämtliche Kleider und Gepäckstücke zu durchsuchen, in der Hoffnung, vielleicht noch irgendwo ein wenig Chinin zu finden.

Aber er fand nichts; nur auf dem Boden eines Gläschens, das ihm der Missionar in Chartum gegeben hatte, entdeckte er noch in einer Ritze eine Kleinigkeit weißes Pulver, so wenig, daß man sich kaum die Fingerspitze damit weiß machen konnte. Er beschloß daher, ein Glas heißes Wasser darauf zu gießen und Nel diese Lösung zum Trinken zu geben.

Nachdem der Regenguß vorüber war und die Sonne wieder schien, ging Staß aus dem Baume heraus, um die Fische anzusehen, die Kali gebracht hatte. Der Neger hatte eine ganze Menge mit einer aus feinem Draht verfertigten Angel gefangen. Zumeist waren es kleine Tierchen, aber drei waren ungefähr einen Fuß lang, silbergefleckt und dabei zum Erstaunen leicht. Mea, die am Ufer des Blauen Nils aufgewachsen war, verstand sich auf Fische und erklärte, daß sie gut zum Essen wären und die Gepflogenheit hätten, gegen Abend sich hoch aus dem Wasser emporzuschnellen. Beim Zurechtmachen stellte sich heraus, daß sie so leicht waren, weil sie im Innern sehr große Luftblasen hatten. Staß nahm eine solche Blase, die ungefähr den Umfang eines großen Apfels hatte, und brachte sie zu Nel.

»Sieh mal,« sagte er zu ihr, »das sitzt in den Fischen. Aus mehreren solcher Blasen konnte man für unser Fenster eine Scheibe machen.«

Und er zeigte dabei auf die obere Baumöffnung. Nach einiger Zeit fügte er hinzu:

»Und noch einiges mehr.«

»Was denn?« fragte neugierig Nel.

»Auch Drachen.«

»Solche, wie du in Port Said steigen ließest? O schön! Mache welche! Mache nur!«

»Ich werde welche machen. Aus abgeschnittenen, ganz dünnen Bambusstäben werde ich den Rahmen herstellen, und diese dünnen Häutchen werden wir anstatt Papier verwenden. Sie werden sogar besser als Papier sein, denn sie sind leichter, und der Regen kann sie nicht aufweichen. So ein Drachen kann sehr hoch steigen und bei starkem Wind wer weiß wohin fliegen.«

Hier schlug er sich plötzlich vor die Stirn.

»Oh, ich habe eine Idee!«

»Welche denn?«

»Du wirst schon sehen. Wenn ich sie mir gut ausgedacht habe, werde ich sie dir auch sagen. Jetzt brüllt dieser Elefant so, daß man sich nicht einmal unterhalten kann.«

In der Tat trompetete das Tier aus Sehnsucht nach Nel oder nach beiden Kindern so stark, daß die ganze Schlucht samt den nahestehenden Bäumen erzitterte.

»Wir müssen zu ihm hingehen,« sagte Nel, »so wird er sich beruhigen.«

Und sie gingen zur Schlucht. Staß aber, ganz in seine Gedanken vertieft, begann halblaut vor sich hin zu sprechen:

»Nelly Rawlison und Stanislaus Tarkowski aus Port Said, den Derwischen aus Faschoda entflohen, befinden sich –«

Er blieb sinnend stehen und fragte:

»Wie bezeichnen wir denn die Stelle, wo –«

»Was, Staßchen?«

»Nichts, nichts! Ich weiß schon: befinden sich eine Monatsreise weit entfernt in westlicher Richtung vom Weißen Nil – und bitten um schnelle Hilfe!« – – –

Wenn Nordwind oder Ostwind weht, werde ich fünfzehn, zwanzig solcher Drachen steigen lassen, und du, Nel, wirst sie mir verfertigen helfen.«

»Die Drachen?«

»Ja, und ich sage dir, daß sie uns einen größeren Dienst erweisen können als zehn Elefanten.«

Indessen waren sie an den Rand der Schlucht gekommen. Und nun begann der Elefant sich von einem Fuß auf den anderen zu wiegen, die Ohren zu bewegen und zu glucksen. Sobald Nel sich wieder auf einen Augenblick entfernen wollte, begann er wieder sein wehmütiges Trompeten. Zuletzt begann das kleine Mädchen, sich mit »dem lieben Elefanten« auseinanderzusetzen. Es erklärte ihm, daß es nicht immer bei ihm weilen könnte, da sie doch schlafen, essen, arbeiten und wirtschaften müßte. Aber er beruhigte sich erst dann, als Nel ihm mit der Gabel die von Kali bereitete Nahrung hinunterstieß – und trotzdem begann er späterhin am Abend von neuem zu trompeten.

Die Kinder tauften ihn noch am gleichen Abend » The king«, denn Nel versicherte, daß er zweifellos, bevor er in die Schlucht kam, der König aller Elefanten in Afrika gewesen sei. –


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