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Mittwoch, den 27. April 1825
Gegen Abend zu Goethe, der mich zu einer Spazierfahrt in den untern Garten hatte einladen lassen. »Ehe wir fahren,« sagte er, »will ich Ihnen doch einen Brief von Zelter geben, den ich gestern erhalten und worin er auch unsere Theaterangelegenheit berührt.«
»Daß Du der Mann nicht bist,« schreibt Zelter unter andern, »dem Volk in Weimar ein Theater zu bauen, hätte ich Dir schon eher angesehen. Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen. Das möchten nur auch andere Hoheiten bedenken, die den Wein in der Gohre pfropfen wollen. ›Freunde, wir habens erlebt‹, ja erleben es.«
Goethe sah mich an, und wir lachten. »Zelter ist brav und tüchtig,« sagte er, »aber er kommt mitunter in den Fall, mich nicht ganz zu verstehen und meinen Worten eine falsche Auslegung zu geben.
Ich habe dem Volk und dessen Bildung mein ganzes Leben gewidmet, warum sollte ich ihm nicht auch ein Theater bauen! Allein hier in Weimar, in dieser kleinen Residenz, die, wie man scherzhafterweise sagt, zehntausend Poeten und einige Einwohner hat, wie kann da viel von Volk die Rede sein – und nun gar von einem Volkstheater! Weimar wird ohne Zweifel einmal eine recht große Stadt werden, allein wir können immer noch einige Jahrhunderte warten, bis das weimarische Volk eine hinlängliche Masse bildet, um ein Theater füllen und ein Theater bauen und erhalten zu können.«
Es war indessen angespannt, und wir fuhren in den untern Garten. Der Abend war still und milde, fast etwas schwül, und es zeigten sich große Wolken, die sich gewitterhaft zu Massen zusammenzogen. Wir gingen in dem trockenen Sandwege auf und ab, Goethe still neben mir, scheinbar von allerlei Gedanken bewegt. Ich horchte indes auf die Töne der Amsel und Drossel, die auf den Spitzen der noch unbelaubten Eschen jenseit der Ilm dem sich bildenden Gewitter entgegensangen.
Goethe ließ seine Blicke umherschweifen, bald an den Wolken, bald über das Grün hin, das überall an den Seiten des Wegs und auf der Wiese wie an Büschen und Hecken mächtig hervorquoll. »Ein warmer Gewitterregen, wie der Abend es verspricht,« sagte er, »und der Frühling wird in der ganzen Pracht und Fülle abermals wieder da sein.«
Indessen ward das Gewölk drohender, man hörte ein dumpfes Donnern, auch einige Tropfen fielen, und Goethe fand es geraten, wieder in die Stadt zurückzufahren. »Wenn Sie nichts vorhaben,« sagte er, als wir an seiner Wohnung abstiegen, »so gehen Sie wohl mit hinauf und bleiben noch ein Stündchen bei mir.« Welches denn mit großer Freude von mir geschah.
Zelters Brief lag noch auf dem Tische. »Es ist wunderlich, gar wunderlich,« sagte Goethe, »wie leicht man zu der öffentlichen Meinung in eine falsche Stellung gerät! Ich wüßte nicht, daß ich je etwas gegen das Volk gesündigt, aber ich soll nun ein für allemal kein Freund des Volkes sein. Freilich bin ich kein Freund des revolutionären Pöbels, der auf Raub, Mord und Brand ausgeht und hinter dem falschen Schilde des öffentlichen Wohles nur die gemeinsten egoistischen Zwecke im Auge hat. Ich bin kein Freund solcher Leute, ebensowenig als ich ein Freund eines Ludwigs des Funfzehnten bin. Ich hasse jeden gewaltsamen Umsturz, weil dabei ebensoviel Gutes vernichtet als gewonnen wird. Ich hasse die, welche ihn ausführen, wie die, welche dazu Ursache geben. Aber bin ich darum kein Freund des Volkes? Denkt denn jeder rechtlich gesinnte Mann etwa anders?
Sie wissen, wie sehr ich mich über jede Verbesserung freue, welche die Zukunft uns etwa in Aussicht stellt. Aber, wie gesagt, jedes Gewaltsame, Sprunghafte ist mir in der Seele zuwider, denn es ist nicht naturgemäß.
Ich bin ein Freund der Pflanze, ich liebe die Rose als das Vollkommenste, was unsere deutsche Natur als Blume gewähren kann; aber ich bin nicht Tor genug, um zu verlangen, daß mein Garten sie mir schon jetzt, Ende April, gewähren soll. Ich bin zufrieden, wenn ich jetzt die ersten grünen Blätter finde, zufrieden, wenn ich sehe, wie ein Blatt nach dem andern den Stengel von Woche zu Woche weiter bildet; ich freue mich, wenn ich im Mai die Knospe sehe, und bin glücklich, wenn endlich der Juni mir die Rose selbst in aller Pracht und in allem Duft entgegenreicht. Kann aber jemand die Zeit nicht erwarten, der wende sich an die Treibhäuser.
Nun heißt es wieder, ich sei ein Fürstendiener, ich sei ein Fürstenknecht. Als ob damit etwas gesagt wäre! – Diene ich denn etwa einem Tyrannen? einem Despoten? – Diene ich denn etwa einem solchen, der auf Kosten des Volkes nur seinen eigenen Lüsten lebt? – Solche Fürsten und solche Zeiten liegen gottlob längst hinter uns. Ich bin dem Großherzog seit einem halben Jahrhundert auf das innigste verbunden und habe ein halbes Jahrhundert mit ihm gestrebt und gearbeitet; aber lügen müßte ich, wenn ich sagen wollte, ich wüßte einen einzigen Tag, wo der Großherzog nicht daran gedacht hätte, etwas zu tun und auszuführen, das dem Lande zum Wohl gereichte und das geeignet wäre, den Zustand des einzelnen zu verbessern. – Für sich persönlich, was hatte er denn von seinem Fürstenstande als Last und Mühe! – Ist seine Wohnung, seine Kleidung und seine Tafel etwa besser bestellt als die eines wohlhabenden Privatmannes? – Man gehe nur in unsere Seestädte und man wird Küche und Keller eines angesehenen Kaufmannes besser bestellt finden als die seinigen.
Wir werden«, fuhr Goethe fort, »diesen Herbst den Tag feiern, an welchem der Großherzog seit funfzig Jahren regiert und geherrscht hat. Allein, wenn ich es recht bedenke, dieses sein Herrschen, was war es weiter als ein beständiges Dienen? Was war es als ein Dienen in Erreichung großer Zwecke, ein Dienen zum Wohl seines Volkes! – Soll ich denn also mit Gewalt ein Fürstenknecht sein, so ist es wenigstens mein Trost, daß ich doch nur der Knecht eines solchen bin, der selber ein Knecht des allgemeinen Besten ist.«