Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Mittwoch, den 2. März 1831

Heute bei Goethe zu Tisch kam das Gespräch bald wieder auf das Dämonische, und er fügte zu dessen näheren Bezeichnung noch folgendes hinzu.

»Das Dämonische«, sagte er, »ist dasjenige, was durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen ist. In meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unterworfen.«

»Napoleon«, sagte ich, »scheint dämonischer Art gewesen zu sein.«

»Er war es durchaus«, sagte Goethe, »im höchsten Grade, so daß kaum ein anderer ihm zu vergleichen ist. Auch der verstorbene Großherzog war eine dämonische Natur, voll unbegrenzter Tatkraft und Unruhe, so daß sein eigenes Reich ihm zu klein war, und das größte ihm zu klein gewesen wäre. Dämonische Wesen solcher Art rechneten die Griechen unter die Halbgötter.«

»Erscheint nicht auch«, sagte ich, »das Dämonische in den Begebenheiten?«

»Ganz besonders,« sagte Goethe, »und zwar in allen, die wir durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen vermögen. Überhaupt manifestiert es sich auf die verschiedenste Weise in der ganzen Natur, in der unsichtbaren wie in der sichtbaren. Manche Geschöpfe sind ganz dämonischer Art, in manchen sind Teile von ihm wirksam.«

»Hat nicht auch«, sagte ich, »der Mephistopheles dämonische Züge?«

»Nein,« sagte Goethe, »der Mephistopheles ist ein viel zu negatives Wesen, das Dämonische aber äußert sich in einer durchaus positiven Tatkraft.

»Unter den Künstlern«, fuhr Goethe fort, »findet es sich mehr bei Musikern, weniger bei Malern. Bei Paganini zeigt es sich im hohen Grade, wodurch er denn auch so große Wirkungen hervorbringt.«

Ich war sehr erfreut über alle diese Bezeichnungen, wodurch es mir nun deutlicher wurde, was Goethe sich unter dem Begriff des Dämonischen dachte.

Wir reden sodann viel über den vierten Band, und Goethe bittet mich aufzuzeichnen, was noch daran möchte zu tun sein.


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