Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Mittwoch, den 5. [?] Mai 1824

Die Papiere, welche die Studien enthalten, die Goethe mit den Schauspielern Wolff und Grüner gemacht, haben mich diese Tage lebhaft beschäftigt, und es ist mir gelungen, diese höchst zerstückelten Notizen in eine Art Form zu bringen, so daß daraus etwas entstanden ist, das wohl für den Anfang eines Katechismus für Schauspieler gelten könnte.

Ich sprach heute mit Goethe über diese Arbeit, und wir gingen die einzelnen Gegenstände durch. Besonders wichtig wollte uns erscheinen, was über die Aussprache und Ablegung von Provinzialismen angedeutet worden.

»Ich habe in meiner langen Praxis«, sagte Goethe, »Anfänger aus allen Gegenden Deutschlands kennen gelernt. Die Aussprache der Norddeutschen ließ im ganzen wenig zu wünschen übrig; sie ist rein und kann in mancher Hinsieht als musterhaft gelten. Dagegen habe ich mit geborenen Schwaben, Östreichern und Sachsen oft meine Not gehabt. Auch Eingeborne unserer lieben Stadt Weimar haben mir viel zu schaffen gemacht. Bei diesen entstehen die lächerlichsten Mißgriffe daraus, daß sie in den hiesigen Schulen nicht angehalten werden, das B von P und das D von T durch eine markierte Aussprache stark zu unterscheiden. Man sollte kaum glauben, daß sie B, P, D und T überhaupt für vier verschiedene Buchstaben halten, denn sie sprechen nur immer von einem weichen und einem harten B und von einem weichen und einem harten D und scheinen dadurch stillschweigend anzudeuten, daß P und T gar nicht existieren. Aus einem solchen Munde klingt denn Pein wie Bein, Paß wie Baß, und Teckel wie Deckel.«

»Ein hiesiger Schauspieler,« versetzte ich, »der das T und D gleichfalls nicht gehörig unterschied, machte in diesen Tagen einen Fehler ähnlicher Art, der sehr auffallend erschien. Er spielte einen Liebhaber, der sich eine kleine Untreue hatte zuschulden kommen lassen, worüber ihm das erzürnte junge Frauenzimmer allerlei heftige Vorwürfe macht. Ungeduldig, hatte er zuletzt auszurufen: ›O ende!‹ Er konnte aber das T von D nicht unterscheiden und rief: ›O ente!‹ (O Ente!), welches denn ein allgemeines Lachen erregte.«

»Der Fall ist sehr artig«, erwiderte Goethe, »und verdiente wohl, in unserm Theaterkatechismus mit aufgenommen zu werden.«

»Eine hiesige junge Sängerin,« fuhr ich fort, »die das T und D gleichfalls nicht unterscheiden konnte, hatte neulich zu sagen: ›Ich will dich den Eingeweihten übergeben.‹ Da sie aber das T wie D sprach, so klang es, als sagte sie: ›Ich will dich den Eingeweiden übergeben.‹

So hatte neulich«, fuhr ich fort, »ein hiesiger Schauspieler, der eine Bedientenrolle spielte, einem Fremden zu sagen: ›Mein Herr ist nicht zu Haus, er sitzt im Rate.‹ Da er aber das T von D nicht unterschied, so klang es, als sagte er: ›Mein Herr ist nicht zu Haus, er sitzt im Rade.«

»Auch diese Fälle«, sagte Goethe, »sind nicht schlecht, und wir wollen sie uns merken. So wenn einer das P und B nicht unterscheidet und ausrufen soll: ›Packe ihn an!‹ aber statt dessen ruft: ›Backe ihn an!‹ so ist es abermals lächerlich.

Gleicherweise«, fuhr Goethe fort, »wird hier das ü häufig wie i ausgesprochen, wodurch nicht weniger die schändlichsten Mißverständnisse veranlaßt werden. So habe ich nicht selten statt Küstenbewohner – Kistenbewohner, statt Türstück – Tierstück, statt gründlich – grindlich, statt Trübe – Triebe, und statt Ihr müßt – Ihr mißt vernehmen müssen, nicht ohne Anwandlung von einigem Lachen.«

»Dieser Art«, versetzte ich, »ist mir neulich im Theater ein sehr spaßhafter Fall vorgekommen, wo eine Dame in einer mißlichen Lage einem Manne folgen soll, den sie vorher nie gesehen. Sie hatte zu sagen: ›Ich kenne dich zwar nicht, aber ich setze mein ganzes Vertrauen in den Edelmut deiner Züge.‹ Da sie aber das ü wie i sprach, so sagte sie: ›Ich kenne dich zwar nicht, aber ich setze mein ganzes Vertrauen in den Edelmut deiner Ziege.‹ Es entstand ein großes Gelächter.«

»Dieser Fall ist abermals gar nicht schlecht,« erwiderte Goethe, »und wir wollen ihn uns gleichfalls merken. So auch«, fuhr er fort, »wird hier das G und K häufig miteinander verwechselt und statt G – K und statt K – G gesprochen, wahrscheinlich abermals aus der Ungewißheit, ob ein Buchstabe weich oder hart sei, eine Folge der hier so beliebten Lehre. Sie werden im hiesigen Theater wahrscheinlich sehr oft Kartenhaus für Gartenhaus, Kasse für Gasse, klauben für glauben, bekränzen für begrenzen, und Kunst für Gunst bereits gehört haben oder noch künftig hören.«

»Etwas Ähnliches«, erwiderte ich, »ist mir allerdings vorgekommen. Ein hiesiger Schauspieler hatte zu sagen: ›Dein Gram geht mir zu Herzen.‹ Er sprach aber das G wie K und sagte sehr deutlich: ›Dein Kram geht mir zu Herzen.‹«

»Dergleichen Verwechselungen von G und K«, versetzte Goethe, »hören wir übrigens nicht bloß von Schauspielern, sondern auch wohl von sehr gelehrten Theologen. Mir passierte einst persönlich ein Fall der Art, den ich Ihnen doch erzählen will.

Als ich nämlich vor einigen Jahren mich einige Zeit in Jena aufhielt und im Gasthof ›Zur Tanne‹ logierte, ließ sich eines Morgens ein Studiosus der Theologie bei mir melden. Nachdem er sich eine Weile mit mir ganz hübsch unterhalten, rückte er beim Abschiede gegen mich mit einem Anliegen ganz eigener Art hervor. Er bat mich nämlich, ihm doch am nächsten Sonntage zu erlauben, statt meiner predigen zu dürfen. Ich merkte sogleich, woher der Wind wehte, und daß der hoffnungsvolle Jüngling einer von denen sei, die das G und K verwechseln. Ich erwiderte ihm also mit aller Freundlichkeit, daß ich ihm in dieser Angelegenheit zwar persönlich nicht helfen könne, daß er aber sicher seinen Zweck erreichen würde, wenn er die Güte haben wolle, sich an den Herrn Archidiakonus Koethe zu wenden.«


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