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Donnerstag, den 14. April 1825
Abends bei Goethe. Da unsere Gespräche über Theater und Theaterleitung einmal an der Zeit waren, so fragte ich ihn, nach welchen Maximen er bei der Wahl eines neuen Mitgliedes verfahren.
»Ich könnte es kaum sagen«, erwiderte Goethe. »Ich verfuhr sehr verschieden. Ging dem neuen Schauspieler ein bedeutender Ruf voran, so ließ ich ihn spielen und sah, wie er sich zu den andern passe, ob seine Art und Weise unser Ensemble nicht störe, und ob durch ihn überhaupt bei uns eine Lücke ausgefüllt werde. War es aber ein junger Mensch, der zuvor noch keine Bühne betreten, so sah ich zunächst auf seine Persönlichkeit, ob ihm etwas für sich Einnehmendes, Anziehendes inwohne, und vor allen Dingen, ob er sich in der Gewalt habe. Denn ein Schauspieler, der keine Selbstbeherrschung besitzt und sich einem Fremden gegenüber nicht so zeigen kann, wie er es für sich am günstigsten hält, hat überhaupt wenig Talent. Sein ganzes Metier verlangt ja ein fortwährendes Verleugnen seiner selbst und ein fortwährendes Eingehen und Leben in einer fremden Maske! –
Wenn mir nun sein Äußeres und sein Benehmen gefiel, so ließ ich ihn lesen, um sowohl die Kraft und den Umfang seines Organs als auch die Fähigkeiten seiner Seele zu erfahren. Ich gab ihm etwas Erhabenes eines großen Dichters, um zu sehen, ob er das wirklich Große zu empfinden und auszudrücken fähig; dann etwas Leidenschaftliches, Wildes, um seine Kraft zu prüfen. Dann ging ich wohl zu etwas klar Verständigem, Geistreichen, Ironischen, Witzigen über, um zu sehen, wie er sich bei solchen Dingen benehme, und ob er hinlängliche Freiheit des Geistes besitze. Dann gab ich ihm etwas, worin der Schmerz eines verwundeten Herzens, das Leiden einer großen Seele dargestellt war, damit ich erführe, ob er auch den Ausdruck des Rührenden in seiner Gewalt habe.
Genügte er mir nun in allen diesen mannigfaltigen Richtungen, so hatte ich gegründete Hoffnung, aus ihm einen sehr bedeutenden Schauspieler zu machen. War er in einigen Richtungen entschieden besser als in andern, so merkte ich mir das Fach, für welches er sich vorzugsweise eigne. Auch kannte ich jetzt seine schwachen Seiten und suchte bei ihm vor allen dahin zu wirken, daß er diese stärke und ausbilde. Bemerkte ich Fehler des Dialekts und sogenannte Provinzialismen, so drang ich darauf, daß er sie ablege, und empfahl ihm zu geselligem Umgange und freundlicher Übung ein Mitglied der Bühne, das davon durchaus frei war. Dann fragte ich ihn, ob er tanzen und fechten könne, und wenn dieses nicht der Fall, so übergab ich ihn auf einige Zeit dem Tanz- und Fechtmeister.
War er nun so weit, um auftreten zu können, so gab ich ihm zunächst solche Rollen, die seiner Individualität gemäß waren, und ich verlangte vorläufig nichts weiter, als daß er sich selber spiele. Erschien er mir nun etwas zu feuriger Natur, so gab ich ihm phlegmatische, erschien er mir aber zu ruhig und langsam, so gab ich ihm feurige, rasche Charaktere, damit er lernte, sich selber abzulegen und in eine fremde Persönlichkeit einzugehen.«
Die Unterhaltung wendete sich auf die Besetzung von Stücken, wobei Goethe unter andern folgendes aussprach, welches mir merkwürdig erschien.
»Es ist ein großer Irrtum,« sagte er, »wenn man denkt, ein mittelmäßiges Stück auch mit mittelmäßigen Schauspielern besetzen zu können. Ein Stück zweiten, dritten Ranges kann durch Besetzung mit Kräften ersten Ranges unglaublich gehoben und wirklich zu etwas Gutem werden. Wenn ich aber ein Stück zweiten, dritten Ranges auch mit Schauspielern zweiten, dritten Ranges besetze, so wundere man sich nicht, wenn die Wirkung vollkommen null ist.
Schauspieler sekondärer Art sind ganz vortrefflich in großen Stücken. Sie wirken dann wie in einem Gemälde, wo die Figuren im Halbschatten ganz herrliche Dienste tun, um diejenigen, welche das volle Licht haben, noch mächtiger erscheinen zu lassen.«