Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Sonntag, den 7. März 1830

Um zwölf Uhr zu Goethe, den ich heute besonders frisch und kräftig fand. Er eröffnete mir, daß er seine ›Klassische Walpurgisnacht‹ habe zurücklegen müssen, um die letzte Lieferung fertig zu machen. »Hiebei aber«, sagte er, »bin ich klug gewesen, daß ich aufgehört habe, wo ich noch in gutem Zuge war und noch viel bereits Erfundenes zu sagen hatte. Auf diese Weise läßt sich viel leichter wieder anknüpfen, als wenn ich so lange fortgeschrieben hätte, bis es stockte.« Ich merkte mir dieses als eine gute Lehre.

Es war die Absicht gewesen, vor Tisch eine Spazierfahrt zu machen; allein wir fanden es beiderseits so angenehm im Zimmer, daß die Pferde abbestellt wurden.

Unterdessen hatte der Bediente Friedrich eine große von Paris angekommene Kiste ausgepackt. Es war eine Sendung vom Bildhauer David, in Gips abgegossene Porträts, Basreliefs, von siebenundfunfzig berühmten Personen. Friedrich trug die Abgüsse in verschiedenen Schiebläden herein, und es gab große Unterhaltung, alle die interessanten Persönlichkeiten zu betrachten. Besonders erwartungsvoll war ich auf Mérimée; der Kopf erschien so kräftig und verwegen wie sein Talent, und Goethe bemerkte, daß er etwas Humoristisches habe. Victor Hugo, Alfred de Vigny, Emile Deschamps zeigten sich als reine, freie, heitere Köpfe. Auch erfreuten uns die Porträts der Demoiselle Gay, der Madame Tastu und anderer junger Schriftstellerinnen. Das kräftige Bild von Fabvier erinnerte an Menschen früherer Jahrhunderte, und wir hatten Genuß, es wiederholt zu betrachten. So gingen wir von einer bedeutenden Person zur andern, und Goethe konnte nicht umhin, wiederholt zu äußern, daß er durch diese Sendung von David einen Schatz besitze, wofür er dem trefflichen Künstler nicht genug danken könne. Er werde nicht unterlassen, diese Sammlung Durchreisenden vorzuzeigen und sich mündlich über einzelne ihm noch unbekannte Personen unterrichten zu lassen.

Auch Bücher waren in der Kiste verpackt gewesen, die er in die vorderen Zimmer tragen ließ, wohin wir folgten und uns zu Tisch setzten. Wir waren heiter und sprachen von Arbeiten und Vorsätzen hin und her. »Es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei,« sagte Goethe, »und besonders nicht, daß er alleine arbeite; vielmehr bedarf er der Teilnahme und Anregung, wenn etwas gelingen soll. Ich verdanke Schillern die ›Achilleïs‹ und viele meiner Balladen, wozu er mich getrieben, und Sie können es sich zurechnen, wenn ich den zweiten Teil des ›Faust‹ zustande bringe. Ich habe es Ihnen schon oft gesagt, aber ich muß es wiederholen, damit Sie es wissen.« Ich freute mich dieser Worte, im Gefühl, daß daran viel Wahres sein möge.

Beim Nachtisch öffnete Goethe eins der Pakete. Es waren die Gedichte von Emile Deschamps, begleitet von einem Brief, den Goethe mir zu lesen gab. Hier sah ich nun zu meiner Freude, welcher Einfluß Goethen auf das neue Leben der französischen Literatur zugestanden wird, und wie die jungen Dichter ihn als ihr geistiges überhaupt verehren und lieben. So hatte in Goethes Jugend Shakespeare gewirkt. Von Voltaire läßt sich nicht sagen, daß er auf junge Poeten des Auslandes einen Einfluß der Art gehabt, daß sie sich in seinem Geist versammelten und ihn als ihren Herrn und Meister erkannten. Überall war der Brief von Emile Deschamps mit sehr liebenswürdiger herzlicher Freiheit geschrieben. »Man blickt in den Frühling eines schönen Gemüts«, sagte Goethe.

Ferner befand sich unter der Sendung von David ein Blatt mit dem Hute Napoleons in den verschiedensten Stellungen. »Das ist etwas für meinen Sohn«, sagte Goethe, und sendete das Blatt schnell hinauf. Es verfehlte auch seine Wirkung nicht, indem der junge Goethe sehr bald herunterkam und voller Freude diese Hüte seines Helden für das Nonplusultra seiner Sammlung erklärte. Ehe fünf Minuten vergingen, befand sich das Bild unter Glas und Rahmen und an seinem Ort, unter den übrigen Attributen und Denkmälern des Helden.


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