Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Sonntag, den 27. März 1825

Bei Goethe zu Tisch in größerer Gesellschaft. Er zeigte uns den Riß des neuen Theaters. Es war so, wie er uns vor einigen Tagen gesagt hatte; der Riß versprach sowohl für das Äußere als das Innere ein sehr schönes Haus.

Es ward bemerkt, daß ein so hübsches Theater auch schöne Dekorationen und bessere Anzüge als bisher verlange. Auch war man der Meinung, daß auch das Personal anfange, nach und nach lückenhaft zu werden, und daß sowohl für das Schauspiel als die Oper einige ausgezeichnete junge Mitglieder müßten engagiert werden. Zugleich aber verhehlte man sich nicht, daß alles dieses mit einem bedeutenden Kostenaufwande verbunden sei, wozu die bisherigen Mittel der Kasse nicht reichen dürften.

»Ich weiß recht gut,« fiel Goethe ein, »man wird, unter dem Vorwand, die Kasse zu schonen, einige Persönchen engagieren, die nicht viel kosten. Aber man denke nur nicht, mit solchen Maßregeln der Kasse zu nützen. Nichts schadet der Kasse mehr, als in solchen wesentlichen Dingen sparen zu wollen. Man muß daran denken, jeden Abend ein volles Haus zu bekommen. Und da tut ein junger Sänger, eine junge Sängerin, ein tüchtiger Held und eine tüchtige junge Heldin von ausgezeichnetem Talent und einiger Schönheit sehr viel. Ja stände ich noch an der Spitze der Leitung, ich würde jetzt zum Besten der Kasse noch einen Schritt weiter gehen, und ihr solltet erfahren, daß mir das nötige Geld nicht ausbliebe.«

Man fragte Goethe, was er zu tun im Sinne habe.

»Ein ganz einfaches Mittel würde ich anwenden«, erwiderte er. »Ich würde auch die Sonntage spielen lassen. Dadurch hätte ich die Einnahme von wenigstens vierzig Theaterabenden mehr, und es müßte schlimm sein, wenn die Kasse dabei nicht jährlich zehn- bis funfzehntausend Taler gewinnen sollte.«

Diesen Ausweg fand man sehr praktisch. Es kam zur Erwähnung, daß die große arbeitende Klasse, die an den Wochentagen gewöhnlich bis spät in die Nacht beschäftiget sei, den Sonntag als einzigen Erholungstag habe, wo sie denn das edlere Vergnügen des Schauspiels dem Tanz und Bier in einer Dorfschenke sicher vorziehen würde. Auch war man der Meinung, daß sämtliche Pächter und Gutsbesitzer, sowie die Beamten und wohlhabenden Einwohner der kleinen Städte in der Umgegend den Sonntag als einen erwünschten Tag ansehen würden, um in das Weimarische Theater zu fahren. Auch sei bisher der Sonntagabend in Weimar für jeden, der nicht an Hof gehe oder nicht Mitglied eines glücklichen Familienkreises oder einer geschlossenen Gesellschaft sei, sehr schlimm und langweilig; denn der einzelne wisse nicht wohin. Und doch mache man Ansprüche, als müsse am Abend eines Sonntags sich irgendein Ort finden lassen, wo es einem wohl sei und man die Plage der Woche vergesse.

Goethes Gedanke, auch die Sonntage spielen zu lassen, wie es in den übrigen deutschen Städten üblich, fand also die vollkommenste Zustimmung und ward als ein sehr glücklicher begrüßt. Nur erhob sich ein leiser Zweifel, ob es auch dem Hofe recht sein würde.

»Der weimarische Hof«, erwiderte Goethe, »ist zu gut und weise, als daß er eine Maßregel hindern sollte, die zum Wohl der Stadt und einer bedeutenden Anstalt gereicht. Der Hof wird gewiß gerne das kleine Opfer bringen und seine Sonntagssoireen auf einen anderen Tag verlegen. Wäre dies aber nicht annehmlich, so gäbe es ja für die Sonntage Stücke genug, die der Hof ohnedies nicht gerne sieht, die aber für das eigentliche Volk durchaus geeignet sind und ganz trefflich die Kasse füllen.«

Das Gespräch wendete sich auf die Schauspieler, und es ward über den Gebrauch und Mißbrauch ihrer Kräfte sehr viel hin und wider geredet.

»Ich habe in meiner langen Praxis«, sagte Goethe, »als Hauptsache gefunden, daß man nie ein Stück oder gar eine Oper einstudieren lassen solle, wovon man nicht einen guten Sukzeß auf Jahre hin mit einiger Bestimmtheit voraussieht. Niemand bedenkt hinreichend das Aufgebot von Kräften, die das Einstudieren eines fünfaktigen Stückes oder gar einer Oper von gleicher Länge in Anspruch nimmt. Ja, ihr Lieben, es gehört viel dazu, ehe ein Sänger eine Partie durch alle Szenen und Akte durchaus inne habe, und sehr viel, ehe die Chöre gehen, wie sie gehen müssen. Es kann mich gelegentlich ein Grauen überfallen, wenn ich höre, wie leichtsinnig man oft den Befehl zum Einstudieren einer Oper gibt, von deren Sukzeß man eigentlich durchaus nichts weiß und wovon man nur durch einige sehr unsichere Zeitungsnachrichten gehört hat. Da wir in Deutschland schon ganz leidliche Posten besitzen, ja sogar anfangen, Schnellposten zu bekommen, so würde ich bei der Nachricht von irgendeiner auswärts gegebenen und gepriesenen neuen Oper den Regisseur oder ein anderes zuverlässiges Mitglied der Bühne an Ort und Stelle schicken, damit er sich durch seine persönliche Gegenwart bei einer wirklichen Aufführung überzeuge, inwiefern die gepriesene neue Oper gut und tüchtig, und inwiefern unsere Kräfte dazu hinreichen oder nicht. Die Kosten einer solchen Reise kommen gar nicht in Betracht in Vergleich der enormen Vorteile, die dadurch erreicht, und der unseligen Mißgriffe, die dadurch verhütet werden.

Und dann, ist einmal ein gutes Stück oder eine gute Oper einstudiert, so soll man sie in kurzen Zwischenpausen so lange hintereinander geben, als sie irgend zieht und irgend das Haus füllet. Dasselbe gilt von einem guten älteren Stück oder einer guten älteren Oper, die vielleicht seit Jahr und Tag geruhet hat und nun gleichfalls eines nicht ganz geringen erneuten Studiums bedurfte, um wieder mit Sukzeß gegeben werden zu können. Eine solche Vorstellung soll man in kurzen Zwischenpausen gleichfalls so oft wiederholen, als das Publikum irgend sein Interesse daran zu erkennen gibt. Die Sucht, immer etwas Neues haben und ein mit unsäglicher Mühe einstudiertes gutes Stück oder Oper nur einmal, höchstens zweimal sehen zu wollen, oder auch zwischen solchen Wiederholungen lange Zeiträume von sechs bis acht Wochen verstreichen zu lassen, wo denn immer wieder ein neues Studium nötig wird, ist ein wahrer Verderb des Theaters und ein Mißbrauch der Kräfte des ausübenden Personals, der gar nicht zu verzeihen ist.«

Goethe schien diese Angelegenheit so wichtig zu halten und sie schien ihm so sehr am Herzen zu liegen, daß er darüber in eine Wärme geriet, wie sie ihn bei seiner großen Ruhe selten anwandelt.

»In Italien«, fuhr Goethe fort, »gibt man eine und dieselbige Oper vier bis sechs Wochen lang jeden Abend, und die italienischen großen Kinder verlangen darin keineswegs eine Änderung. Der gebildete Pariser sieht die klassischen Stücke seiner großen Dichter so oft, daß er sie auswendig weiß und für die Betonung einer jeden Silbe ein geübtes Ohr hat. Hier in Weimar hat man mir wohl die Ehre erzeigt, meine ›Iphigenie‹ und meinen ›Tasso‹ zu geben; allein wie oft ? Kaum alle drei bis vier Jahre einmal. Das Publikum findet sie langweilig. Sehr begreiflich. Die Schauspieler sind nicht geübt, die Stücke zu spielen, und das Publikum ist nicht geübt, sie zu hören. Würden die Schauspieler durch öftere Wiederholung sich in ihre Rolle so hineinspielen, daß die Darstellung ein Leben gewönne, als wäre es nicht eingelernt, sondern als entquölle alles aus ihrem eigenen Herzen, so würde das Publikum sicher auch nicht ohne Interesse und ohne Empfindung bleiben.

Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als sei es möglich, ein deutsches Theater zu bilden. Ja ich hatte den Wahn, als könne ich selber dazu beitragen und als könne ich zu einem solchen Bau einige Grundsteine legen. Ich schrieb meine ›Iphigenie‹ und meinen ›Tasso‹ und dachte in kindischer Hoffnung, so würde es gehen. Allein es regte sich nicht und rührte sich nicht und blieb alles wie zuvor. Hätte ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden, so würde ich euch ein ganzes Dutzend Stücke wie die ›Iphigenie‹ und den ›Tasso‹ geschrieben haben. An Stoff war kein Mangel. Allein, wie gesagt, es fehlten die Schauspieler, um dergleichen mit Geist und Leben darzustellen, und es fehlte das Publikum, dergleichen mit Empfindung zu hören und aufzunehmen.«


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