Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Sonntag, den 21. Februar 1830

Mit Goethe zu Tisch. Er zeigt mir die Luftpflanze, die ich mit großem Interesse betrachte. Ich bemerke darin ein Bestreben, ihre Existenz so lange wie möglich fortzusetzen, ehe sie einem folgenden Individuum erlaubt, sich zu manifestieren.

»Ich habe mir vorgenommen,« sagte Goethe darauf, »in vier Wochen so wenig den ›Temps‹ als ›Globe‹ zu lesen. Die Sachen stehen so, daß sich innerhalb dieser Periode etwas ereignen muß, und so will ich die Zeit erwarten, bis mir von außen eine solche Nachricht kommt. Meine ›Klassische Walpurgisnacht‹ wird dabei gewinnen, und ohnehin sind jenes Interessen, wovon man nichts hat, welches in manchen Fällen nicht genug bedacht wird.«

Er gibt mir sodann einen Brief von Boisserée aus München, der ihm Freude gemacht und den ich gleichfalls mit hohem Vergnügen lese. Boisserée spricht besonders über den ›Zweiten Aufenthalt in Rom‹, sowie über einige Punkte des letzten Heftes von ›Kunst und Altertum‹. Er urteilt über diese Dinge so wohlwollend als gründlich, und wir finden Veranlassung, über die seltene Bildung und Tätigkeit dieses bedeutenden Mannes viel zu reden.

Goethe erzählt mir darauf von einem neuen Bilde von Cornelius als sehr brav durchdacht und ausgeführt, und es kommt zur Sprache, daß die Gelegenheit zur guten Färbung eines Bildes in der Komposition liege.

 

Später, auf einem Spaziergange, kommt mir die Luftpflanze wieder vor die Seele, und ich habe den Gedanken, daß ein Wesen seine Existenz fortsetzt, solange es geht, dann aber sich zusammennimmt, um wieder seinesgleichen hervorzubringen. Es erinnert mich dieses Naturgesetz an jene Legende, wo wir uns die Gottheit im Urbeginn der Dinge alleine denken, sodann aber den Sohn erschaffend, welcher ihr gleich ist. So auch haben gute Meister nichts Angelegentlicheres zu tun, als sich gute Schüler zu bilden, in denen sie ihre Grundsätze und Tätigkeiten fortgesetzt sehen. Nicht weniger ist jedes Werk eines Künstlers oder Dichters als seinesgleichen zu betrachten, und in demselbigen Grade wie ein solches Werk vortrefflich ist, wird der Künstler oder Dichter vortrefflich gewesen sein, da er es machte. Ein treffliches Werk eines andern soll daher niemals Neid in mir erregen, indem es mich auf einen vortrefflichen Menschen zurückschließen läßt, der es zu machen wert war.


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