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Freitag, den 14. November 1823
Gegen Abend sendete Goethe mir eine Einladung, ihn zu besuchen. Humboldt sei an Hof, und ich würde ihm daher um so willkommener sein. Ich fand ihn noch wie vor einigen Tagen in seinem Lehnstuhl sitzend; er reichte mir freundlich die Hand, indem er mit himmlischer Sanftmut einige Worte sprach. Ein großer Ofenschirm stand ihm zur Seite und gab ihm zugleich Schatten vor den Lichtern, die weiterhin auf dem Tisch standen. Auch der Herr Kanzler trat herein und gesellte sich zu uns. Wir setzten uns in Goethes Nähe und führten leichte Gespräche, damit er sich nur zuhörend verhalten könnte. Bald kam auch der Arzt, Hofrat Rehbein. Er fand Goethes Puls, wie er sich ausdrückte, ganz munter und leichtfertig, worüber wir uns freuten und Goethe einige Scherze machte. »Wenn nur der Schmerz von der Seite des Herzens weg wäre!« klagte er dann. Rehbein schlug vor, ihm ein Pflaster dahin zu legen; wir sprachen über die gute Wirkung eines solchen Mittels, und Goethe ließ sich dazu geneigt finden. Rehbein brachte das Gespräch auf Marienbad, wodurch bei Goethe angenehme Erinnerungen erweckt zu werden schienen. Man machte Pläne, nächsten Sommer wieder hinzugehen, und bemerkte, daß auch der Großherzog nicht fehlen würde, durch welche Aussichten Goethe in die heiterste Stimmung versetzt wurde. Auch sprach man über Madame Szymanowska und gedachte der Tage, wo sie hier war und die Männer sich um ihre Gunst bewarben.
Als Rehbein gegangen war, las der Kanzler die indischen Gedichte. Goethe sprach derweile mit mir über seine ›Elegie‹ von Marienbad.
Um acht Uhr ging der Kanzler; ich wollte auch gehen, Goethe bat mich aber, noch ein wenig zu bleiben. Ich setzte mich wieder. Das Gespräch kam auf das Theater, und daß morgen der ›Wallenstein‹ würde gegeben werden. Dies gab Gelegenheit, über Schiller zu reden.
»Es geht mir mit Schiller eigen,« sagte ich; »einige Szenen seiner großen Theaterstücke lese ich mit wahrer Liebe und Bewunderung, dann aber komme ich auf Verstöße gegen die Wahrheit der Natur, und ich kann nicht weiter. Selbst mit dem ›Wallenstein‹ geht es mir nicht anders. Ich kann nicht umhin, zu glauben, daß Schillers philosophische Richtung seiner Poesie geschadet hat; denn durch sie kam er dahin, die Idee höher zu halten als alle Natur, ja die Natur dadurch zu vernichten. Was er sich denken konnte, mußte geschehen, es mochte nun der Natur gemäß oder ihr zuwider sein.«
»Es ist betrübend,« sagte Goethe, »wenn man sieht, wie ein so außerordentlich begabter Mensch sich mit philosophischen Denkweisen herumquälte, die ihm nichts helfen konnten. Humboldt hat mir Briefe mitgebracht, die Schiller in der unseligen Zeit jener Spekulationen an ihn geschrieben. Man sieht daraus, wie er sich damals mit der Intention plagte, die sentimentale Poesie von der naiven ganz frei zu machen. Aber nun konnte er für jene Dichtart keinen Boden finden, und dies brachte ihn in unsägliche Verwirrung. Und als ob«, fügte Goethe lächelnd hinzu, »die sentimentale Poesie ohne einen naiven Grund, aus welchem sie gleichsam hervorwächst, nur irgend bestehen könnte!
Es war nicht Schillers Sache,« fuhr Goethe fort, »mit einer gewissen Bewußtlosigkeit und gleichsam instinktmäßig zu verfahren, vielmehr mußte er über jedes, was er tat, reflektieren; woher es auch kam, daß er über seine poetischen Vorsätze nicht unterlassen konnte, sehr viel hin und her zu reden, so daß er alle seine späteren Stücke Szene für Szene mit mir durchgesprochen hat.
Dagegen war es ganz gegen meine Natur, über das, was ich von poetischen Plänen vorhatte, mit irgend jemanden zu reden, selbst nicht mit Schiller. Ich trug alles still mit mir herum, und niemand erfuhr in der Regel etwas, als bis es vollendet war. Als ich Schillern meinen ›Hermann und Dorothea‹ fertig vorlegte, war er verwundert, denn ich hatte ihm vorher mit keiner Silbe gesagt, daß ich dergleichen vorhatte.
Aber ich bin neugierig, was Sie morgen zum ›Wallenstein‹ sagen werden! Sie werden große Gestalten sehen, und das Stück wird auf Sie einen Eindruck machen, wie Sie es sich wahrscheinlich nicht vermuten.«