Johann Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Johann Peter Eckermann

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Mittwoch, den 11. Juni 1823

Diesen Morgen erhielt ich abermals eine Einladung zu Goethe, und zwar mittelst einer von ihm beschriebenen Karte. Ich war darauf wieder ein Stündchen bei ihm. Er erschien mir heute ganz ein anderer als gestern, er zeigte sich in allen Dingen rasch und entschieden wie ein Jüngling.

Er brachte zwei dicke Bücher, als er zu mir hereintrat. »Es ist nicht gut,«sagte er, »daß Sie so rasch vorübergehen, vielmehr wird es besser sein, daß wir einander etwas näher kommen. Ich wünsche Sie mehr zu sehen und zu sprechen. Da aber das Allgemeine so groß ist, so habe ich sogleich auf etwas Besonderes gedacht, das als ein Tertium einen Verbindungs- und Besprechungspunkt abgebe. Sie finden in diesen beiden Bänden die ›Frankfurter gelehrten Anzeigen‹ der Jahre 1772 und 1773, und zwar sind auch darin fast alle meine damals geschriebenen kleinen Rezensionen. Diese sind nicht gezeichnet; doch da Sie meine Art und Denkungsweise kennen, so werden Sie sie schon aus den übrigen herausfinden. Ich möchte nun, daß Sie diese Jugendarbeiten etwas näher betrachteten und mir sagten, was Sie davon denken. Ich möchte wissen, ob sie wert sind, in eine künftige Ausgabe meiner Werke aufgenommen zu werden. Mir selber stehen diese Sachen viel zu weit ab, ich habe darüber kein Urteil. Ihr Jüngeren aber müßt wissen, ob sie für euch Wert haben und inwiefern sie bei dem jetzigen Standpunkte der Literatur noch zu gebrauchen. Ich habe bereits Abschriften nehmen lassen, die Sie dann später haben sollen, um sie mit dem Original zu vergleichen. Demnächst, bei einer sorgfältigen Redaktion, würde sich denn auch finden, ob man nicht gut tue, hie und da eine Kleinigkeit auszulassen oder nachzuhelfen, ohne im ganzen dem Charakter zu schaden.«

Ich antwortete ihm, daß ich sehr gerne mich an diesen Gegenständen versuchen wolle, und daß ich dabei weiter nichts wünsche als daß es mir gelingen möge, ganz in seinem Sinne zu handeln.

»Sowie Sie hineinkommen,« erwiderte er, »werden Sie finden, daß Sie der Sache vollkommen gewachsen sind; es wird Ihnen von der Hand gehen.«

Er eröffnete mir darauf, daß er in etwa acht Tagen nach Marienbad abzureisen gedenke, und daß es ihm lieb sein würde, wenn ich bis dahin noch in Weimar bliebe, damit wir uns während der Zeit mitunter sehen und sprechen und persönlich näher kommen möchten.

»Auch wünschte ich,« fügte er hinzu, »daß Sie in Jena nicht bloß wenige Tage oder Wochen verweilten, sondern daß Sie sich für den ganzen Sommer dort häuslich einrichteten, bis ich gegen den Herbst von Marienbad zurückkomme. Ich habe bereits gestern wegen einer Wohnung und dergleichen geschrieben, damit Ihnen alles bequem und angenehm werde.

Sie finden dort die verschiedenartigsten Quellen und Hülfsmittel für weitere Studien, auch einen sehr gebildeten geselligen Umgang; und überdies ist die Gegend so mannigfaltig, daß Sie wohl funfzig verschiedene Spaziergänge machen können, die alle angenehm und fast alle zu ungestörtem Nachdenken geeignet sind. Sie werden Muße und Gelegenheit finden, in der Zeit für sich selbst manches Neue zu schreiben und nebenbei auch meine Zwecke zu fördern.«

Ich fand gegen so gute Vorschläge nichts zu erinnern und willigte in alles mit Freuden. Als ich ging, war er besonders liebevoll; auch bestimmte er auf übermorgen eine abermalige Stunde zu einer ferneren Unterredung.


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