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Montag, den 27. Oktober 1823
Heute früh wurde ich bei Goethe auf diesen Abend zum Tee und Konzert eingeladen. Der Bediente zeigte mir die Liste der zu invitierenden Personen, woraus ich sah, daß die Gesellschaft sehr zahlreich und glänzend sein würde. Er sagte, es sei eine junge Polin angekommen, die etwas auf dem Flügel spielen werde. Ich nahm die Einladung mit Freuden an.
Nachher wurde der Theaterzettel gebracht: ›Die Schachmaschine‹ sollte gegeben werden. Das Stück war mir unbekannt, meine Wirtin aber ergoß sich darüber in ein solches Lob, daß ein großes Verlangen sich meiner bemächtigte, es zu sehen. Überdies befand ich mich den Tag über nicht zum besten, und es ward mir immer mehr, als passe ich besser in eine lustige Komödie als in eine so gute Gesellschaft.
Gegen Abend, eine Stunde vor dem Theater, ging ich zu Goethe. Es war im Hause schon alles lebendig; ich hörte im Vorbeigehen in dem größeren Zimmer den Flügel stimmen, als Vorbereitung zu der musikalischen Unterhaltung.
Ich traf Goethe in seinem Zimmer allein; er war bereits festlich angezogen, ich schien ihm gelegen. »Nun bleiben Sie gleich hier,« sagte er, »wir wollen uns so lange unterhalten, bis die übrigen auch kommen.« Ich dachte, da kommst du doch nicht los, da wirst du doch bleiben müssen; es ist dir zwar jetzt mit Goethen allein sehr angenehm, doch wenn erst die vielen fremden Herren und Damen erscheinen, da wirst du dich nicht in deinem Elemente fühlen.
Ich ging mit Goethe im Zimmer auf und ab. Es dauerte nicht lange, so war das Theater der Gegenstand unseres Gesprächs, und ich hatte Gelegenheit zu wiederholen, daß es mir die Quelle eines immer neuen Vergnügens sei, zumal da ich in früherer Zeit so gut wie gar nichts gesehen und jetzt fast alle Stücke auf mich eine ganz frische Wirkung ausübten. »Ja,« fügte ich hinzu, »es ist mit mir so arg, daß es mich heute sogar in Unruhe und Zwiespalt gebracht hat, obgleich mir bei Ihnen eine so bedeutende Abendunterhaltung bevorsteht.«
»Wissen Sie was?« sagte Goethe darauf, indem er stille stand und mich groß und freundlich ansah, »gehen Sie hin! Genieren Sie sich nicht! Ist Ihnen das heitere Stück diesen Abend vielleicht bequemer, Ihren Zuständen angemessener, so gehen Sie hin. Bei mir haben Sie Musik, das werden Sie noch öfter haben.« – »Ja,« sagte ich, »so will ich hingehen; es wird mir überdies vielleicht besser sein, daß ich lache.« – »Nun«, sagte Goethe, »so bleiben Sie bis gegen sechs Uhr bei mir, da können wir noch ein Wörtchen reden.«
Stadelmann brachte zwei Wachslichter, die er auf Goethes Arbeitstisch stellte. Goethe ersuchte mich, vor den Lichtern Platz zu nehmen, er wolle mir etwas zu lesen geben. Und was legte er mir vor? Sein neuestes, liebstes Gedicht, seine ›Elegie‹ von Marienbad.
Ich muß hier in bezug auf den Inhalt dieses Gedichts einiges nachholen. Gleich nach Goethes diesmaliger Zurückkunft aus genanntem Badeort verbreitete sich hier die Sage, er habe dort die Bekanntschaft einer an Körper und Geist gleich liebenswürdigen jungen Dame gemacht und zu ihr eine leidenschaftliche Neigung gefaßt. Wenn er in der Brunnenallee ihre Stimme gehört, habe er immer rasch seinen Hut genommen und sei zu ihr hinuntergeeilt. Er habe keine Stunde versäumt, bei ihr zu sein, er habe glückliche Tage gelebt; sodann, die Trennung sei ihm sehr schwer geworden und er habe in solchem leidenschaftlichen Zustande ein überaus schönes Gedicht gemacht, das er jedoch wie eine Art Heiligtum ansehe und geheimhalte.
Ich glaubte dieser Sage, weil sie nicht allein seiner körperlichen Rüstigkeit, sondern auch der produktiven Kraft seines Geistes und der gesunden Frische seines Herzens vollkommen entsprach. Nach dem Gedicht selbst hatte ich längst ein großes Verlangen getragen, doch mit Recht Anstand genommen, Goethe darum zu bitten. Ich hatte daher die Gunst des Augenblicks zu preisen, wodurch es mir nun vor Augen lag.
Er hatte die Verse eigenhändig mit lateinischen Lettern auf starkes Velinpapier geschrieben und mit einer seidenen Schnur in einer Decke von rotem Maroquin befestigt, und es trug also schon im Äußern, daß er dieses Manuskript vor allen seinen übrigen besonders wert halte.
Ich las den Inhalt mit hoher Freude und fand in jeder Zeile die Bestätigung der allgemeinen Sage. Doch deuteten gleich die ersten Verse darauf, daß die Bekanntschaft nicht dieses Mal erst gemacht, sondern erneuert worden. Das Gedicht wälzte sich stets um seine eigene Achse und schien immer dahin zurückzukehren, woher es ausgegangen. Der Schluß, wunderbar abgerissen, wirkte durchaus ungewohnt und tief ergreifend.
Als ich ausgelesen, trat Goethe wieder zu mir heran. »Gelt,« sagte er, »da habe ich Euch etwas Gutes gezeigt. In einigen Tagen sollen Sie mir darüber weissagen.« Es war mir sehr lieb, daß Goethe durch diese Worte ein augenblickliches Urteil meinerseits ablehnte, denn ohnehin war der Eindruck zu neu und zu schnell vorübergehend, als daß ich etwas Gehöriges darüber hätte sagen können.
Goethe versprach, bei ruhiger Stunde es mir abermals vorzulegen. Es war indes die Zeit des Theaters herangekommen, und ich schied unter herzlichen Händedrücken.
Die › Schachmaschine‹ mochte ein sehr gutes Stück sein und auch ebenso gut gespielt werden; allein ich war nicht dabei, meine Gedanken waren bei Goethe.
Nach dem Theater ging ich an seinem Hause vorüber; es glänzte alles von Lichtern, ich hörte, daß gespielt wurde, und bereute, daß ich nicht dort geblieben.
Am andern Tag erzählte man mir, daß die junge polnische Dame, Madame Szymanowska, der zu Ehren der festliche Abend veranstaltet worden, den Flügel ganz meisterhaft gespielt habe, zum Entzücken der ganzen Gesellschaft. Ich erfuhr auch, daß Goethe sie diesen Sommer in Marienbad kennen gelernt, und daß sie nun gekommen, ihn zu besuchen.
Mittaus kommunizierte mir Goethe ein kleines Manuskript: ›Studien‹ von Zauper, worin ich sehr treffende Bemerkungen fand. Ich sendete ihm dagegen einige Gedichte, die ich diesen Sommer in Jena gemacht und wovon ich ihm gesagt hatte.