Dante Alighieri
Die Göttliche Komödie
Dante Alighieri

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Neunzehnter Gesang

  1. Vor mir erschien mit offnem Flügelpaar
    Das schöne Bild, wo, selig im Vereine,
    Der Geister lichter Kranz verflochten war.
  2. Jedweder war wie ein Rubin, vom Scheine
    Der Sonne so in Licht und Glut entbrannt,
    Als ob sie selbst mir in die Augen Scheine.
  3. Der Schilderung, zu der ich mich gewandt,
    Wie kann die Sprache sie, die Feder wagen,
    Da Phantasie dergleichen nie erkannt? –
  4. Ich sah den Aar und hört’ ihn Worte sagen,
    Und in der Stimm’ erklangen Ich und Mein,
    Als Wir und Unser ihm im Sinne lagen:
  5. Er sprach: "Für frommes und gerechtes Sein
    Sollt’ ich zu dieser Glorie mich erheben,
    Die jeden Wunsch uns zeigt als arm und klein.
  6. Und solch Gedächtnis ließ ich dort im Leben,
    Daß es für rühmlich selbst den Bösen gilt,
    Die nicht auf meiner Spur zu wandeln streben."
  7. Wie vielen Kohlen eine Glut entquillt,
    So tönte jetzt von vielen Liebesgluten
    Ein einz’ger Ton mir zu aus jenem Bild.
  8. "Ihr ew’ge Blüten des endlosen Guten,"
    Begann ich, "die ihr mir als einen jetzt
    Laßt eure Wohlgerüch’ entgegenfluten,
  9. Ich bitt’ euch nun, mit eurem Hauch ergetzt
    Mich Hungrigen und reicht mir jene Speise,
    Mit welcher mich die Erde nie geletzt.
  10. Wohl weiß ich, spiegelt sich in anderm Kreise
    Des Himmels ab des Herrn Gerechtigkeit,
    Daß sie sich euch nicht unterm Schleier weise.
  11. Ihr wißt, zum Hören bin ich schon bereit,
    Auch wißt ihr, welch ein Zweifel mich befangen,
    Der unbefriedigt ist seit langer Zeit."
  12. Gleichwie ein edler Falk, der Kapp’ entgangen,
    Das Haupt bewegt, sich schön und freudig macht,
    Stolz mit den Flügeln schlägt und zeigt Verlangen,
  13. So machte sich des hohen Zeichens pracht,
    Das Gottes Gnade laut dem All verkündet,
    Mit Sang, wie der nur hört, der dort erwacht.
  14. Und es begann: "Er, der die Welt gerundet
    Und sie begrenzt, hat viel Geheimes drin
    Und Offenbares viel darin begründet;
  15. Doch hat er seine Kraft vom Anbeginn
    Nicht völlig ausgeprägt im Weltenaue,
    Denn endlos überragt’s sein hoher Sinn.
  16. Der erste Stolze, welcher höh’r als alle
    Geschöpfe stand, sank drum im frevlen Zwist,
    Des Lichts nicht harrend, früh in jähem Falle.
  17. Denn jegliches der kleinern Wesen ist
    Zu eng, um jenes Gut darein zu bringen,
    Das, endlos, sich nur mit sich selber mißt,
  18. Drum kann so weit der Menschenblick nicht dringen,
    Er, nur ein Strahl von jenes Geistes Schein,
    Der Urstoff ist und Grund von allen Dingen,
  19. Kann nie durch eigne Kraft so mächtig sein,
    Um Seinen Ursprung deutlich zu ersehen,
    Denn Nebel hüllt für ihn so Tiefes ein;
  20. Drob zu der Urgerechtigkeit das Spähen
    Des Menschenblicks sich nur so weit erstreckt,
    Als in den Grund des Meers die Augen gelten.
  21. Leicht wird der Grund am Strand vom Aug’ entdeckt,
    Doch nie im Meer, wie sehr sich’s müh’ und übe;
    Grund ist dort, doch zu tief und drum versteckt.
  22. Nur aus der Heiterkeit, die nimmer trübe,
    Kommt Licht – all andres ist nur Dunkelheit,
    Ist Schatten oder Gift der Fleischestriebe.
  23. Sieh das Versteck, das die Gerechtigkeit
    Dir lang verhehlt, jetzt offen dem Verstande,
    Und ruh’n wird nun in dir der Zweifel Streit.
  24. Erzeugt wird jemand an des Indus Strande,
    So sprachst du, doch wer spricht von Jesus Christ,
    Wer liest und schreibt von ihm in jenem Lande?
  25. Wenn er, soweit es die Vernunft ermißt,
    In Tat und Willen rein und unverdorben
    Und ohne Sünd’ in Wort und Leben ist
  26. Und er ungläubig, ungetauft gestorben,
    Wo ist dann wohl ein Recht, dem er verfällt?
    Wo Schuld, daß er den Glauben nicht erworben? –
  27. Und wer bist du, der sich so hoch gestellt,
    Um, richtend, tausend Meilen weit zu springen,
    Da eine Spanne kaum dein Blick enthält?
  28. Gewiß, daß die mir nach im Forschen ringen,
    War’ über euch nicht Gottes heil’ges Wort,
    Zum Zweifel und Erstaunen Grund empfingen.
  29. O Tier aus Erd’! Ihrr groben Geister dort!
    Der erste Wille, gut von selber, gehet
    Nie aus sich selbst, dem höchsten Gute, fort.
  30. Gerecht ist, was mit ihm in Einklang stehet.
    Ihn kann nicht anzieh’n ein erschaffnes Gut,
    Das nur aus seiner Strahlenfüll’ entstehet." –
  31. Wie über ihrem Nest die Störchin tut,
    Wenn sie die Brut gespeist, im Kreise schwebend,
    Und wie nach ihr hinschaut die satte Brut;
  32. So tat – und so auch ich, das Aug’ erhebend –
    Das heil’ge Bild, das seine Flügel Schwang,
    Den Willen kund der freud’gen Scharen gebend,
  33. Indem’s, im Kreis sich schwingend, also sang:
    "So wie du nicht verstehst, was ich verkündet,
    So kennt ihr nicht des ew’gen Urteils Gang."
  34. Dann, noch im Zeichen, das den Ruhm begründet
    Der Römer hat, stand still die sel’ge Schar,
    Von lichter Glut des Heil’gen Geists entzündet.
  35. "In dieses Reich", begann aufs neu’ der Aar,
    "Stieg keiner je, der nicht geglaubt an Christus,
    Vor oder nach, als er gekreuzigt war.
  36. Doch siehe, viele rufen: Christus! Christus!
    Und stehn ihm ferner einst beim Weltgericht
    Als jene, welche nichts gewußt von Christus.
  37. Das Strafurteil für solche Christen Spricht
    Der Heid’ einst aus, wenn sich die Scharen trennen,
    Die zu der ew’gen Nacht und die zum Licht.
  38. Wie wird ein Perser eure Fürsten nennen,
    Zeigt ihm sich aufgeschlagen jenes Buch,
    In dem er ihre Schmach wird lesen können?
  39. Die Tat des Albrecht wird mit hartem Spruch
    Er in dem Buch dann eingetragen sehen,
    Ob der ihn trifft, des Böhmerreiches Fluch.
  40. Auch Frankreichs Schmerz wird aufgezeichnet stehen,
    In den es durch den Münzverfälscher fällt,
    Der durch des Ebers Stoß wird untergehen.
  41. Dort steht der Stolz, der Durst nach Land und Geld,
    Drob Schott’ und Engelländer tun gleich Tollen,
    Und keiner sich in seiner Grenze hält.
  42. Dort wird die Üppigkeit sich zeigen sollen
    Des Spaniers und des Böhmen, welcher nie
    Die Trefflichkeit gekannt, noch kennen wollen.
  43. Dort, Lahmer von Jerusalem, dort sieh
    Mit einem M bezeichnet deine Sünden,
    Und deine Tugenden mit einem I.
  44. Dort wird sich auch der niedre Geiz verkünden
    Des, der dort herrschet, wo Anchises ruht
    Nach langer Fahrt, bei Ätnas Feuerschlünden.
  45. Und wie gering er ist an Kraft und Mut,
    Das wird die abgekürzte Schrift bezeugen,
    Die vieles kund auf engem Raums tut.
  46. Auch wird das schmutz’ge Tun des Ohms sich zeigen,
    Und das des Bruders kund sein überall,
    Die mit dem edlen Stamm zwei Kronen beugen.
  47. Auch den von Norweg, den von Portugal
    Und den von Rascia wird man unterscheiden,
    Der Schuld ist an Venedigs Münzverfall.
  48. Mög’ Ungarn fernerhin nicht Unbill leiden!
    Navarra, es verteidige getrost
    Die Bergesreih’n, die es von Frankreich scheiden!
  49. Und Nicosia ist und Famagost,
    Vorläufig und als Angeld, sehr mit Fuge,
    Wie jeder zugibt, auf ihr Vieh erbost,
  50. Das mit dem andern geht in gleichem Zuge."

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