- In jenem Teil vom jugendlichen Jahre,
Wo Nacht den halben Tag nur deckt, und mild
Im Wassermann erglänzen Phöbus’ Haare,
- Malt oft der Reif, wenn Nebel das Gefild
Am Abend deckt, bei scharfen Morgenlüften
Vom Bruder Schnee ein schnellverwischtes Bild.
- Wenn dann der Hirt, der Futter von den Triften
Gar nötig braucht, aufsteht und jeden Ort
Schneeweiß erblickt, dann schlägt er sich die Hüften
- Und kehrt zum Haus, beklagt sich hier und dort
Und weiß nicht, was zu tun vor großem Leide –
Doch frische Hoffnung faßt er dann sofort.
- Denn schon erscheint die Welt in anderm Kleide;
Schnell kommt er nun mit seinem Stab herbei
Und treibt die muntern Schäflein auf die Weide.
- So staunt’ ich, daß mein Meister zornig sei,
Daß ungewohnter Mißmut ihn bedrücke;
So schnell auch kam zum Schmerz die Arzenei.
- Denn kaum gelangt zu der verfallnen Brücke,
Kehrt’ ihm die Huld, mit der er zu mir trat
Am Fuß des Bergs, aufs Angesicht zurücke.
- Die Arme breitet’ er, nachdem er Rat
Mit sich gepflogen, wohl den Schutt betrachtend,
Und dann erfaßt’ er mich mit rascher Tat.
- Und wie ein Mann, der wohl auf alles achtend.
Im voraus scharf erwägt, was er vermag,
Hob er mich auf ein Felsenstück, beachtend,
- Daß nahe dort ein andrer Zacken lag,
Und sprach: "Anklammre dich, doch wahrgenommen
Sei durch Versuch erst, ob’s dich tragen mag.
- Kein Kuttenträger war’ hinaufgekommen.
Da wir, ich fortgeschoben, er so Ieicht,
Mit Mühe nur von Block zu Blocke klommen.
- Auch hätt’ ich nimmermehr, und er vielleicht,
Wenn niedrer nicht, als jenseits diesem Grunde
Das Ufer war, des Dammes Höh’ erreicht.
- Doch weil sich Übelsäcken nach dem Munde
Des tiefen Brunnens hin allmählich neigt,
So liegt’s von selbst im Bau von jedem Runde,
- Daß hier der Damm sich senkt, dort höher steigt.
Am Ende kamen wir bis zu der Spitze,
Wo sich der Felsentrümmer letzte zeigt-
- Mir glühte Wang’ und Blut in solcher Hitze,
Daß ich. sobald ich mich hinaufgerafft,
Mich keuchend niederließ auf einem Sitze.
- Mein Meister sprach: "Jetzt ziemt dir frische Kraft;
Denn nimmer kommt der Ruhm dem zugeflogen,
Der unter Flaum auf weichem Pfühl erschlafft.
- Und wer durchs Leben ruhmlos hingezogen,
Der läßt nur so viel Spur in dieser Welt,
Wie in den Lüften Rauch, Schaum in den Wogen.
- Drum auf! wenn Mattigkeit dich niederhält,
Wird sie der Geist, wird jeden Feind besiegen,
Wenn er nicht wie der schwere Leib verfällt.
- Erklimmen mußt du noch weit längre Stiegen;
Nicht g’nügt’s, von hier gerettet fortzuzieh’n,
Verstehe mich, so wirst du nie erliegen!" –
- Da stand ich auf; mehr, als ich’s fühlte, schien
Mein Odem frei, die Brust der Bürd’ enthoben,
Auch rief ich: Fort, denn ich bin stark und kühn!
- Wir gingen fort – der Fels war rauh, verschoben,
Von Höckern voll und schwierig zu begehn,
Bei weitem steiler auch, als weiter oben.
- Um frisch zu scheinen, sprach ich laut im Gehn,
Bis eine Stimm’ aus jenem Grund erschollen,
Verworren, wild und schwierig zu verstehn.
- Nicht weiß ich, was die Stimme sagen wollen,
Obwohl ich auf des Bogens Höhe stand,
Doch schien, der sprach, zu zürnen und zu grollen.
- Ich stand, das Angesicht zum Grund gewandt,
Doch drang kein Menschenblick in seine Schauer,
Drum sprach ich: "Meister, komm zum nächsten Strand
- Und führe mich hinab von dieser Mauer.
Hier hör’ ich zwar, doch ich verstehe nicht,
Und, sehend, unterscheid’ ich nichts genauer."
- "Die Tat", sprach er mit freundlichem Gesicht,
"Sei Antwort dir, weil sich’s geziemt, mit Schweigen
Zu tun, was der verständ gen Bitt’ entspricht."
- Wir eilten, bei der Brück’ hinabzusteigen,
Da, wo sie auf dem achten Damme ruht,
Und hier begann die Tiefe sich zu zeigen.
- Ich sah in Knäueln grause Schlangenbrut, -
Und denk’ ich heut der ekeln, mannigfachen
Scheusale noch, so starrt vor Grau’n mein Blut.
- Nicht mag sich’s Libyen mehr zum Ruhme machen,
Daß es Blindschleichen, Nattern, Ottern hegt
Und Vipernbrut und gift’ge Wasserdrachen.
- Wie solche Pest nicht Äthiopien trägt,
So tönt am ganzen Strand kein solch Gezische,
An den die Flut des Roten Meeres schlägt.
- Und unter diesem greulichen Gemische
Lief eine nackte, schreckensvolle Schar,
Nicht hoffend, daß sie je von dort entwische.
- Am Rücken band die Hand’ ein Schlangenpaar,
Das Schwanz und Haupt durch Kreuz und Nieren steckte
Und vorn zu einem Knäu’I verschlungen war.
- Da stürzt’ auf einen, den ich dort entdeckte,
Ein Ungeheu’r, das ihm den Hals durchstach
Und aus dem Nacken vor die Zunge streckte.
- Und eh’ man Amen sagt und Oh und Ach,
Sah ich, wie er, entzündet und in Flammen,
Auch schon als Staub in sich zusammenbrach.
- Und wie die Glieder kaum in nichts verschwammen,
So fügte sich, gesammelt, alsobald
Der Staub zur vorigen Gestalt zusammen.
- So stirbt der Phönix, fünf Jahrhundert’ alt,
(Die großen Weisen sagen’s) sich bekleidend
Mit neuerzeugter Jugend und Gestalt,
- Sich nicht von Kräutern noch von Körnern weidend,
Von Weihrauchtränen und Amomen nur,
In einer Hüll’ aus Nard’ und Myrrhe scheidend.
- Und gleich wie der, der ohne Lebensspur
Zu Boden sank, vielleicht vom Krampf gebunden,
Vielleicht auch, weil in ihn ein Dämon fuhr.
- Sich umschaut, wenn er sich emporgewunden,
Und um sich schauend stöhnt, verwirrt,
Von großer Todesangst, die er empfunden;
- So war der aufgestandne Sünder jetzt. –
Oh möge keiner Gottes Rach’ entzünden,
Der solche Streich’ in deinem Zorn versetzt!
- Gebeten, seinen Namen zu verkünden,
Entgegnet’ er: "Ich bin seit kurzem hier,
Von Tuscien hergestürzt nach diesen Schlünden.
- Ich lebte nicht als Mensch, ich lebt’ als Tier,
Ich, Bastard Fucci, den man Vieh benannte.
Und würd’ge Höhle war Pistoja mir."
- Ich sprach, indem ich mich zum Meister wandte:
"Er weicht uns aus – doch frag’ ihn: weshalb kam
Er hierher, da er stets von Blutdurst brannte?"
- Aufrichtig ward er, als er dies vernahm,
Und Geist und Angesicht mir zugewendet,
Begann er nun, gedrückt von trüber Scham:
- "Mehr schmerzt mich’s, daß dein Schicksal dich gesendet,
Um mich in diesem Jammerstand zu schau’n,
Als daß ich oben meinen Lauf geendet.
- Doch was du fragtest, muß ich dir vertrau’n:
Daß ich im Heiligtum zu stehlen wagte,
Hat mich herabgestürzt in tiefres Grau’n.
- Drob litten manche fälschlich Angeklagte. –
Daß du mich sahst, soll wenig dich erfreu’n,
Kommst du je fort von hier, wo’s nimmer tagte.
- Drum hör’, um jetzt dein Hierein zu bereu’n:
Pistoja wird die Schwarzen erst verjagen,
Und dann Florenz so Volk als Sitt’ erneu’n.
- Aus Nebeln, die auf Magras Tale lagen,
Zieht Mars den schweren Wetterdunst heraus,
Und Sturme tosen dann und Blitze schlagen
- Auf dem Picener Feld im wilden Strauß,
Daß sich zerstreut die Nebel plötzlich senken,
Und alle Weißen flieh’n in Angst und Graus.
- Dies aber sagt’ ich dir, um dich zu kränken."
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