- Die Stunde war es, die zu stillem Weinen
Vor Heimweh den gerührten Schiffer zwingt,
Am Tag, da er verließ die teuren Seinen,
- Die Liebesleid dem neuen Pilgram bringt,
Wenn fernher, klagend ob des Tags Erbleichen,
Der Abendglocken Trauerlied erklingt.
- Jedweder Laut schien mit dem Licht zu weichen,
Und eine von den Seelen trat hervor
Und heischt’ Aufmerksamkeit mit einem Zeichen
- Und naht’ und hob die beiden Händ’ empor,
Als sagte sie: Du, Gott, nur bist mein Trachten!
Indem ihr Blick im Osten sich verlor.
- Te Lucis Ante– diese Worte brachten
Dann ihre Lippen vor. So fromm, so schön,
Daß sie mich meiner Selbst vergessen machten.
- Mit andachtsvollem lieblichem Getön
Stimmt’ ein der Chor zu reicher Wohllauts Fülle,
Den Blick emporgewandt zu Himmelshöh’n.
- Die Wahrheit liegt hier unter leichter Hülle;
Ist, Leser, jetzt dein Blick nur scharf und klar,
So wirst du leicht erspäh’n, was sie verhülle.
- Demütig, bleich, sah ich die edle Schar
Nach oben schau’n, erwartungsvoll und schweigend,
Und sah aus himmlischem Gewölb’ ein Paar
- Von Engeln durch die Luft herniedersteigend,
Zwei Flammenschwerter zwar in ihrer Hand,
Allein mit abgebrochnen Spitzen zeigend;
- Grün wie das Laub, das eben erst entstand,
Und, von der grünen Flügel Weh’n getrieben,
Nach hinten zu leicht flatternd das Gewand.
- Der eine blieb nah über uns, und drüben,
Jenseit des Tales, blieb der andre stehn,
So, daß die Schatten in der Mitte blieben.
- Ich konnte wohl die blonden Häupter sehn,
Doch am Gesicht verging mein Blick, geblendet,
Wie oft die Sinn’ am Übermaß vergehn.
- "Dies Paar ist aus Marias Schoß gesendet,
Zur Hut des Tales, weil die Schlange naht."
So sprach Sordell, uns beiden zugewendet.
- Und ich, der ich nicht wußt’, auf welchem Pfad,
Ich schaut’ umher, indem ich starr vor Grauen
Fest an des treuen Führers Rücken trat.
- Sordell begann aufs neu: "Geht mit Vertrauen
Jetzt zu den Großen hin und sprecht sie an,
Denn lieb wird’s ihnen sein, euch hier zu schauen.
- Ich war im Grund, wie ich drei Schritt’ getan,
Und nach mir forschend späh’n sah ich den einen,
Als sah’ er ein bekanntes Antlitz nah’n.
- Schon schwärzte sich die Luft, doch zwischen seinen
Und meinen Blicken ließ sie, nah, was sich
Vorher durch sie verschlossen, klar erscheinen.
- Nun ging ich auf ihn zu und er auf mich.
"Mein edler Richter Nin, o welch Vergnügen!
Hier – nicht bei den Verdammten – find’ ich dich!"
- Kein schöner Gruß ward zwischen uns verschwiegen.
Und er: "Wann bist du aus dem weiten Meer
Am Fuße dieses Berges ausgestiegen?"
- "Heut morgen kam ich aus der Hölle her",
Entgegnet’ ich, "und bin im ersten Leben,
Doch suche hier des künftigen Gewähr."
- Und wie ich ihnen den Bescheid gegeben,
Da fuhr Sordell und er zurück, verstört,
Als halt’ ein Wunder plötzlich sich begeben,
- Der dem Virgil, der einem zugekehrt,
Der dorten saß, am grünen Talgestade:
"Auf, Konrad, sieh, was uns der Herr beschert."
- Und drauf zu mir: "Erwies besondre Gnade
Dir der, des erster Grund verborgen ruht,
Wohin kein Geist je findet Furt und Pfade,
- So sag’ einst jenseits dieser weiten Flut
Meiner Johanna, daß sie für mich flehe,
Zu ihm, der nach dem Fleh’n der Unschuld tut.
- Nicht liebt die Mutter wohl mich noch wie ehe,
Da sie den Witwenschleier abgelegt,
Nach dem sie bald sich sehnt in ihrem Wehe.
- An ihr sieh, wie ein Weib zu lieben pflegt,
Wenn ihre Liebesglut nicht um die Wette
Jetzt Anschau’n, jetzt Betastung, neu erregt.
- Gewiß wird einstens ihre Grabesstätte
Von Mailands Schlange nicht so schön geschmückt,
Als sie geschmückt der Hahn Galluras hätte."
- Er sprach’s, und ihm im Antlitz ausgedrückt
War ein gerechter Eifer, der dem Weisen
Wohl durch das Herz, doch nur gemäßigt, zückt.
- Ich blickte sehnlich nach des Himmels Kreisen
Dorthin, wo träger ist der Sterne Lauf,
So wie, der Achse nah, des Rades Kreisen.
- Mein Führer sprach: "Was blickst du dort hinauf?"
Und ich: "Nach den drei Lichtern, denn mit ihnen
Geht ja am ganzen Pol ein Feuer auf."
- Und er: "Die vier, die dir heut morgen schienen,
Sind tief jetzt unterm Horizont versteckt,
Und diese sind an ihrer Stell’ erschienen."
- Hier ward ich durch den Ruf Sordells erschreckt:
"Den Widersacher seht!" Er sprach’s und zeigte
Zur Gegend hin, den Finger ausgestreckt,
- Wo sich das kleine Tal geöffnet neigte;
Dort war die Schlange, die wohl jener glich,
Die Even einst die bittre Speise reichte.
- Wie sie daher durch Gras und Blumen strich,
Hob sie von Zeit zu Zeit den Kopf zum Rücken
Verdreht empor und leckt’ und putzte sich.
- Nicht sah ich und vermag’s nicht auszudrücken,
Wie die zwei Engel sich bewegt zum Flug,
Doch deutlich sah ich sie herniederzücken.
- Und wie ihr Flügelpaar die Lüfte schlug,
Entfloh die Schlang’, und jene beiden flogen
Zu ihrem Platz zurück in gleichem Zug.
- Der Schatten, der von Ninos Ruf bewogen
Sich uns genähert, hatte bei dem Strauß
Die Blicke nimmer von mir abgezogen.
- "Die Leuchte, die dich führt zu Gottes Haus,
Sie find’ in deinem Willen und Verstande
Ihr Öl und gehe bis zum Ziel nicht aus."
- So sprach er, "doch wenn von der Magra Strande
Du wahre Kunde hast, so gib sie mir,
Denn wiss’, ich war einst groß in seinem Lande.
- Corrado Malaspina spricht mit dir,
Der Alte bin ich nicht, doch ihm entsprungen;
Die Meinen liebt’ ich stets, doch reiner hier."
- "Oh," sprach ich, "nimmer noch ist mir’s gelungen,
Dies Land zu sehn, allein sein Nam’ und Wert
Ist, wo man in Europa sei, erklungen.
- Der Ruf, der euer Haus erhebt und ehrt,
Schallt zu der Herrn, schallt zu des Landes Preise,
So daß, wer dort nicht war, davon erfährt.
- Ich schwör’ es dir beim Ziele meiner Reise,
Daß dein Geschlecht in voller Blüte steht,
Des Muts, der Gastlichkeit, der edlen Weise.
- Und wenn die Tollheit alle Welt verdreht,
Sitt’ und Natur wird ihm den Vorzug schenken,
Daß es allein den schlechten Weg verschmäht."
- Und er: "Jetzt geh, nicht siebenmal versenken
Wird sich die Sonn’ im Bett an jenem Ort,
Den ringsumher des Widders Füß’ umschränken,
- So wird dir diese gute Meinung dort
In deinem Kopfe festgenagelt werden,
Mit bessern Nägeln als mit andrer Wort,
- Wird nicht des Schicksals Lauf gehemmt auf Erden."
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