- "Oh Vater unser, in den Himmeln wohnend,
Du, nimmer zwar von ihrer Schrank’ umkreist,
Doch lieber bei den ersten Werken thronend,
- Es preis deinen Namen, deinen Geist,
Was lebt, weil deinem süßen Hauch hienieden
Der Mensch nur würdig dankt, wenn er ihn preist.
- Zu uns, Herr, komme deines Reiches Frieden,
Den keiner je durch eigne Kraft errang,
Und der zu uns nur kommt, von dir beschieden.
- Gleichwie die Engel beim Hosiannasang
Ihr Wollen auf das Deine nur beschränken,
So opfre dir der Mensch des Herzens Hang.
- WoII’ unser täglich Manna heut uns schenken;
Zurückgeh’n ohne dies auf rauher Bahn
Die, so am meisten vorzuschreiten denken.
- Wie wir, was andre Böses uns getan,
Verzeih’n, oh so verzeih uns du in Hulden
Und sieh nicht das, was wir verdienen, an.
- Nicht laß die schwanke Kraft Versuchung dulden
Vom alten Feinde, sondern mache los
Von ihm, des Arglist reizt zu Sünd’ und Schulden.
- Für uns nicht, teurer Herr, für jene bloß
Geschieht, tut not die letzte dieser Bitten,
Die dort noch sind in unentschiednem Los."
- So für sich selbst, für uns auch betend, schritten
Die Schatten langsam unter schwerer Last,
Wie man im Traum oft ihren Druck erlitten,
- Im ersten Kreise, der den Berg umfaßt;
Sie läutern sich vom Erdenqualm und tragen
Ungleiche Bürden, matt, doch ohne Rast.
- Wenn stets für uns dort jene Gutes sagen,
Was kann für sie von solchen hier gescheh’n,
Die Wurzeln schon im bessern Sein geschlagen?
- Sie unterstütze treulich unser Fleh’n,
Daß sie der Erdenschuld sich bald entringen
Und leicht und rein die Sternenkreise sehn.
- "Euch möge Recht und Huld Erleicht’rung bringen,
Um zu dem Ziel, daß euch die Sehnsucht zeigt,
Mit freien Flügeln bald euch aufzuschwingen.
- Ihr aber zeigt uns, wo man aufwärts steigt,
Weist uns den Weg, und gibt es mehr als einen,
So lehrt uns den, der minder steil sich neigt.
- Denn dieser hier, mit Fleisch und mit Gebeinen
Von Adam her bekleidet und beschwert,
Muß wider Willen träg im Steigen scheinen."
- So sprach mein Führer, jenen zugekehrt,
Und diese Rede ward darauf vernommen,
Doch wußt’ ich nicht, von wem ich sie gehört.
- "Ihr könnt mit uns zur rechten Seite kommen,
Dort ist ein Paß, nicht steiler, als der Fuß
Des Lebenden schon anderwärts erklommen.
- Und drückte nicht der Stein nach Gottes Schluß
Den stolzen Nacken jetzt der Erd’ entgegen,
So daß ich stets zu Boden blicken muß,
- So würd’ ich nach ihm hin den Blick bewegen,
Zu sehn, ob ich ihn, der sich nicht genannt,
Erkenn’, und um sein Mitleid zu erregen.
- Wilhelm Aldobrandeschi, der dem Land,
Das ihn geboren, Ruhm und Ehre brachte,
Erzeugte mich, und ist euch wohl bekannt.
- Das alte Blut, der Ruhm der Ahnen machte
So übermütig mich und stolz und roh,
Daß ich nicht mehr der Mutter aller dachte.
- Und ich verachtete die Menschen so,
Daß ich drum starb, wie die Sanesen wissen
Und jedes Kind in Campagnatico.
- Omberto bin ich; nicht nur mein Gewissen
Befleckt der Stolz, er hat auch alle schier
Von meinem Stamm ins Elend fortgerissen.
- Bis ich dem Herrn genugtat, ruht auf mir
Die schwere Last, und was ich dort im Leben
Nicht tat, daß tu’ ich bei den Toten hier."
- Ich horcht’ und ging gesenkten Blicks daneben,
Ein andrer aber, unterm Steine, fing
sich an zu winden, um den Blick zu heben.
- Er sah, erkannt’ und nannte mich und hing,
Kaum fähig, doch den Blick vom Grund zu trennen,
An mir, der ganz gebückt mit ihnen ging,
- "Du Odrisl" rief ich, froh, ihn zu erkennen,
Scheinst Gubbios Ruhm, der Ruhm der Kunst zu sein,
Die Miniaturkunst die Pariser nennen."
- "Ach, Bruder, heitrer sind die Schilderei’n,"
Versetzte jener, "Franks, des Bolognesen,
Sein ist der Ruhm nun ganz, zum Teil nur mein.
- So edel war’ ich, lebend, nicht gewesen,
Dies zu gestehn, denn ach! vor Ruhmgier schwoll
Damals mein stolzes Herz, mein ganzes Wesen.
- Fürs solchen Stolz bezahlt man hier den Zoll.
Wo ich, weil ich bereute, durch Beschwerden
Von seinem finstern Dampf mich läutern soll.
- O eitler Ruhm des Könnens auf der Erden!
Wie wenig dauert deines Gipfels Grün,
Wenn roher nicht darauf die Zeiten werden.
- Als Maler sah man Cimabue blüh’n,
Jetzt sieht man über ihn den Giotto ragen,
Und jenes Glanz in trüber Nacht erglüh’n.
- Den Ruhm der Sprache nahm in diesen Tagen
Ein Guid’ dem andern, und ein andrer lauscht
Vielleicht versteckt, auch ihn vom Nest zu jagen.
- Ein Windstoß nur ist Erdenruhm. Er rauscht
Von hier, von dort, um schleunig zu verhallen,
Indem er Seit’ und Namen nur vertauscht.
- Wird lauter wohl dereinst dein Ruhm erschallen,
Wenn du als Greis vom Leib geschieden bist,
Als wenn du stirbst beim ersten Kinderlallen,
- Eh’ tausend Jahr’ entflieh’n? – wohl kürzre Frist
Zur Ewigkeit, als zu dem trägsten Kreise
Des Himmels deines Auges Blinken ist.
- Ganz Tuscien scholl einst laut von dessen Preise,
Der dort vor mir so träg und langsam schleicht,
Jetzt flüstert’s kaum von ihm in Siena leise.
- Dort herrscht’ er, als, von dem Geschick erreicht,
Fiorenzas Wut erlag, der stolzen, kühnen,
Der Stadt, die jetzt der feilen Hure gleicht.
- Dem Grase gleicht der Menschenruhm, dem Grünen,
Das kommt und geht, und durch die Glut verdorrt,
Die erst es mild hervorrief, zu ergrünen."
- Und ich: "Mir dämpft den Stolz dein wahres Wort
Und weiß mir trefflich Demut einzuprägen;
Doch sprich: Wer geht so schwer belastet dort?"
- Silvani," sprach er, "ist es, hier deswegen,
Weil sich so weit sein toller Stolz vergaß,
Dem freien Siena Ketten anzulegen.
- Drum ging er so und geht ohn’ Unterlaß,
Seitdem er starb – der Zoll wird hier erhoben
Von jedem, der sich dort zu hoch vermaß."
- Und ich: "Weilt jeder, welcher aufgeschoben
Bis zu dem Rand des Lebens Reu’ und Leid.
Dort unten erst und dringet nicht nach oben,
- Wenn ihm nicht Hilfe gläubig Fleh’n verleiht,
Bis so viel Jahr’, als er gelebt, vergangen,
Wie kam denn er herauf in kürzrer Zeit?" –
- Und er: "Er ist auf Sienas Markt gegangen
Zur Zeit, da er den höchsten Ruhm erstrebt,
Hat dort gestanden, nicht von Scham befangen,
- Und, weil sein Freund in Carlos Haft gelebt,
Um Hilf ihm und Befreiung zu gewähren,
Als Bettler dort an jedem Puls gebebt.
- Ich red’ unklar, doch wird’s nicht lange währen,
So handelt also deine Nachbarschaft,
Daß du vermagst, dir alles zu erklären –
- Die Tat hat jene Schrank’ ihm weggeschafft."
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