- "Du, jenseits dort am heil’gen Strom," so kehrte
Sie jetzt der Rede Spitze gegen mich,
Nachdem die Schneide schon mich hart versehrte,
- Fortfahrend ohne Säumen: "Sprich, o sprich,
Ist dieses wahr? Erkennst du deine Fehle?
Auf solche Klage ziemt die Beichte sich."
- Die Stimme regte sich, doch in der Kehle
Erstarb das Wort; denn, statt gehoffter Huld.
Verwirrte finstre Strenge meine Seele.
- Nur wenig hatte sie mit mir Geduld:
"Was sinnst du? Sprich! Noch tilgten nicht die Wogen
Der Lethe die Erinnrung deiner Schuld."
- Furcht und Verwirrung, sich vermischend, zogen
Ein Ja! aus meinem Mund, das zwar erblickt
Vom Auge ward, allein dem Ohr entzogen.
- Gleichwie zu scharf gespannt die Armbrust knickt,
Und, wenn sich Sehn’ und Bogen überschlagen,
Den Pfeil mit mindrer Kraft zum Ziele Schickt,
- So brach, zu schwach, so schwere Last zu tragen,
Ich jetzt in Seufzer aus und Tränenflut
Und ließ den Ton sich nicht ins Freie wagen.
- Drum sie zu mir: "In meiner Wünsche Glut,
Die einst dich jenes Gut zu lieben führte,
Das unserm Wunsch entrückt all andres Gut.
- Welch eine Kette war’s, die dich umschnürte,
Das auf den Fortschritt, mit verzagtem Sinn,
Die Hoffnung abzulegen dir gebührte.
- Und welche Fördrung, welcherlei Gewinn,
Die lockend dir von andrer Stirne lachten?
Was führte dich zu ihrem Wege hin?"
- Nach einem tiefen, bittern Seufzer machten
Sich Töne mühsam frei aus meiner Brust,
Die kaum als Wort’ hervor die Lippen brachten.
- "Die Gegenwart, mit ihrer falschen Lust,"
So weint’ ich, "hat, als eure Blick’ entschwanden,
Rückwärts zu wenden meinen Schritt gewußt."
- "Verschwiegst, vermeintest du, was du gestanden,"
Sprach sie, "nicht minder wär’s dem Richter kund,
Vor dessen Blick die Lüge nie bestanden.
- Doch wenn man sich verklagt mit eignem Mund.
So wird hier abgestumpft das Schwert der Rache,
Und Gnade macht des Sünders Herz gesund.
- Drum, daß dein Wahn dich mehr erröten mache,
Und daß dein Herz zu jeder andern Zeit
Die Lockung der Sirenen kühn verlache,
- Laß ab vom Weinen jetzt und Traurigkeit;
Vernimm vielmehr, welch andern Weg zu wallen
Dir ziemend war, als mich der Tod befreit.
- Nichts ließ Natur und Kunst dir je gefallen,
Wie jenen Leib, in dem ich dort erschien,
Des schöne Glieder jetzt in Staub zerfallen.
- Und sahest du die höchste Wonn’ entflieh’n
Bei meinem Tod, was konnte dich besiegen?
Welch ird’sche Lust dich fürder an sich zieh’n?
- Beim Reiz der Dinge, die das Herz betrügen,
Bei ihrem ersten Pfeil, war’s ziemend, mir,
Die ich mein Sein verwandelt, nachzufliegen.
- Nicht niederzieh’n sollt’ er die Schwingen dir,
Nicht harren solltest du der andern Pfeile,
Des Mägdleins nicht, nach andrer eitlen Zier.
- Der junge Vogel harrt in träger Weile
Des zweiten Pfeils, doch der beschwingte flieht
Und schützt vor Netz und Pfeilen sich durch Eile."
- Gleichwie ein Knabe schweigend niedersieht,
Wenn Vorwurf und Bewußtsein ihn verstören,
Und Reue sein Gesicht zur Erde zieht;
- So stand ich dort: "Betrübt dich schon das Hören,"
Sie sprach’s, "So sei emporgewandt dein Bart;
Das Schauen wird noch deinen Schmerz vermehren."-
- In ihrem Widerstande minder hart,
Läßt ihrem Grund die Eiche sich entreißen,
Wenn sie von Nordsturms Macht durchschüttelt ward,
- Als ich das Kinn erhob, da sie’s geheißen.
Auch fühlt’ ich, da sie Bart für Antlitz sprach,
Des Wortes Gift an meinem Herzen reißen.
- Das Antlitz hob ich zögernd und gemach,
Und sieh, die schönen englischen Gestalten,
Sie ließen jetzt im Blumenstreuen nach.
- Mein Blick, kaum fähig noch, ein Bild zu halten,
Erschaute sie, dem Greifen zugewandt,
In dem, dem einen, zwei Naturen walten.
- Sie schien, verschleiert, jenseits dort am Strand,
Das, was sie einst war, jetzt zu überwinden,
Wie sie vordem die andern überwand.
- Wie mußt’ ich da der Reue Schmerz empfinden!
Wie, was mich von ihr abgewandt, die Lust
Der eiteln Welt jetzt hassenswürdig finden!
- So nagte Selbstbewußtsein meine Brust,
Daß ich hinsank – mit welchem innrem Beben,
Ihr, die es mir erregt, ihr ist’s bewußt.
- Als äußre Kraft das Herz mir neu gegeben,
Sprach über mir sie, die mir erst allein
Erschienen war: "Mich fass, um dich zu heben!"
- Sie zog mich bis zum Hals den Fluß hinein,
Glitt, wie ein Webschiff, ohne sich zu senken,
Auf seiner Fläch’ und zog mich hinterdrein,
- Um mich zum sel’gen Ufer hinzulenken.
Dort klang’s: "Entsünd’ge mich!" so süß – ich kann
Es nicht beschreiben, ja, nicht wieder denken.
- Die schöne Frau erschloß die Arme dann,
UmschIang mein Haupt und taucht’ es in die Wogen,
Drob ich vom Wasser trank, das mich umrann.
- Drauf, als sie mich gebadet vorgezogen,
Bot sie zum Tanze mich den schönen vier,
Die hold um meinen Hals die Arme bogen.
- "Wir sind am Himmel Sterne, Nymphen hier.
Und als zur Welt Beatrix kam, so gingen
Als ihre Dienerinnen wir mit ihr.
- Wir werden dich ihr vor die Augen bringen;
Dir schärfen dann, fürs holde Licht darin
Den Blick die drei, die schauend tiefer dringen."
- Sie sangen diese Worte zum Beginn,
Worauf sie mich zur Brust des Greifen brachten.
Dort wandte sie nach uns das Antlitz hin.
- Sie sprachen dann: "Hier darfst du frei betrachten,
Wir stellten dich vor der Smaragden Licht,
Woraus dich wund der Liebe Pfeile machten."
- Mir weckt’ ein glühend Sehnen ihr Gesicht
Und band an ihrer Augen Glanz die meinen;
Die ihren wichen vor dem Greifen nicht.
- Und drinnen sah ich den zwiefachen Einen,
Gleichwie die Sonn’ im Spiegel, schimmernd klar,
Als diesen bald, als jenen bald erscheinen.
- Nun denke, Leser, selbst, wie wunderbar,
Das Abbild, sich verwandelnd, zu erblicken,
Obwohl das Urbild stets dasselbe war.
- Indes die Seel’ in Staunen und Entzücken
Die Speise kostete, die größern Drang
Nach sich erweckt, je mehr wir uns erquicken,
- Da sah ich jene drei vom höchsten Rang,
Dies zeigte die Gebärd’, uns nahe kommen,
Den Engeltanz begleitend mit Gesang.
- "Beatrix, laß den Blick, den heil’gen, frommen,"
So sangen sie, "auf deinen Treuen sehn,
Der dich zu schau’n so hoch emporgeklommen.
- Enthüll’ aus Gnad’ ihm deinen Mund, wir fleh’nl
Die zweite Schönheit, die du noch verborgen,
O laß sie auf vor seinen Augen gehen!"
- O Glanz lebend’gen Lichts! o ew’ger Morgen!
Wer trank so tief aus des Parnassus Flut,
Wer ward so bleich in seinen Müh’n und Sorgen,
- Daß er vermag, mit freiem, kühnem Mut
Sich deiner Schilderung zu unterfangen,
Wenn du bei Himmelsharmonien in Glut
- Den unbewölkten Lüften aufgegangen?
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