- Durch mich geht’s ein zur Stadt der Qualerkornen,
Durch mich geht’s ein zum ew’gen Weheschlund,
Durch mich geht’s ein zum Volke der Verlornen.
- Das Recht war meines hohen Schöpfers Grund;
Die Allmacht wollt’ in mir sich offenbaren;
Allweisheit ward und erste Liebe kund.
- Die schon vor mir erschaffnen Dinge waren
Nur ewige; und ewig daur’ auch ich.
Laßt, die ihr eingeht jede Hoffnung fahren.
- Die Inschrift zeigt’ in dunkler Farbe sich
Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte,
Drum ich: Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.
- Er, als Erfahrner, sprach dann diese Worte:
"Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
Und jede Feigheit sterb’ an diesem Orte.
- Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt,
Hier wirst du jene JammervoIIen schauen,
Für die das Heil des wahren Lichtes schwand."
- Er faßte meine Hand, daher Vertrauen
Durch sein Gesicht voll Mut auch ich gewann.
Drauf führt’ er mich in das geheime Grauen.
- Dort hob Geächz, Geschrei und Klagen an,
Laut durch die sternenlose Luft ertönend,
So daß ich selber weinte, da’s begann.
- Verschiedne Sprachen, Worte, gräßlich dröhnend,
Handschläge, Klänge heiseren Geschreis,
Die Wut, aufkreischend, und der Schmerz, erstöhnend –
- Dies alles wogte tosend stets, als sei’s
Im Wirbel Sand, durch Lüfte, die zu schwärzen
Es keiner Nacht bedarf, im ew’gen Kreis.
- Und, ich vom Wahn umstrickt und bang im Herzen,
Sprach: Meister, welch Geschrei, das sich erhebt?
Wer ist doch hier so ganz besiegt von Schmerzen?
- Und er: "Der Klang, der durch die Lüfte bebt,
Kommt von den JammerseeIen jener Wesen,
Die ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.
- Gemischt find die Nicht-Guten und Nicht-Bösen
Den Engeln, die nicht Gott getreu im Strauß,
Auch Meutrer nicht und nur für sich gewesen.
- Die Himmel trieben sie als Mißzier aus,
Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde,
Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus."
- Ich drauf: Was füllt ihr Wehlaut diese Gründe?
Was ist das Leiden, das so hart sie drückt?
Und er: "Vernimm, was ich dir kurz verkünde.
- Des Todes Hoffnung ist dem Volk entrückt.
Im blinden Leben, trüb und immer trüber,
Scheint ihrem Neid jed’ andres Los beglückt.
- Sie kamen lautlos aus der Welt herüber,
Von Recht und Gnade werden sie verschmäht.
Doch still von ihnen – Schau’ und geh vorüber."
- Ich schaute hin und sah im Kreis geweht,
Ein Fähnlein zieh’n, so eilig umgeschwungen,
Daß sich’s zum Ruh’n, so schien mir’s, nie versteht.
- In langer Reihe folgten ihm, gezwungen,
So viele Leute, daß ich kaum geglaubt,
Daß je der Tod so vieles Volk verschlungen.
- Und hier erblickt’ ich manch bekanntes Haupt,
Auch jenes Schatten, der aus Angst und Zagen
Sich den Verzicht, den großen, feig erlaubt.
- Ich war sogleich gewiß, auch hört’ ich sagen,
Dies sei der Schlechten jämmerliche Schar,
Die Gott und seinen Feinden mißbehagen.
- Dies Jammervolk, das niemals lebend war,
War nackend und von Flieg’ und Wesp’ umflogen,
Und ward gestachelt viel und immerdar.
- Tränen und Blut aus ihren Wunden zogen
In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund,
Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen.
- Drauf, als ich weiter blickt’ im düstern Schlund,
Erblickt’ ich Leut’ an einem Stromgestade
Und sprach: "Jetzt tu, ich bitte, Herr, mir kund,
- Von welcher Art sind die, die so gerade,
Wie ich beim düstern Dämmerlicht ersehn,
So eilig weiterzieh’n auf ihrem Pfade?"
- Und er darauf: "Dir wird genug gescheh’n
Am Acheron – dort wird sich alles zeigen,
Wenn wir am traur’gen Ufer stillestehn."
- Da zwang mich Scham, die Augen tief zu neigen,
Aus Furcht, daß ihm mein Fragen lästig sei,
Und ich gebot mir bis zum Strome Schweigen.
- Und sieh, es kam ein Mann zu Schiff herbei,
Ein Greis, bedeckt mit schneeig weißen Haaren.
"Weh euch, Verworfne!" tönte sein Geschrei.
- "Nicht hofft, den Himmel jemals zu gewahren.
Ich komm’, euch jenseits hin an das Gestad’
In ew’ge Nacht, in Hitz’ und Frost zu fahren.
- Und du, lebend’ge Seele, die genaht,
Mußt dich von diesen, die gestorben, trennen!" –
Dann, da er sah, daß ich nicht rückwärts trat:
- "Hier kann ich dir den Übergang nicht gönnen,
Für dich geziemen andre Wege sich,
Ein leichtrer Kahn nur wird dich tragen können."
- Virgil drauf: "Charon, nicht erbose dich.
Dort, wo der Wille Macht ist, ward’s verhangen;
Dies sei genug, nicht weiter frage mich."
- Hierauf ließ ruhen die bewollten Wangen
Des fahlen Sumpfs erzürnter Steuermann,
Des Augen Flammenräder rings umschlangen.
- Da hob grau’nvolles Zähneklappen an,
Und es entfärbten sich die Tiefgebeugten,
Seit Charon jenen grausen Spruch begann.
- Sie fluchten Gott und denen, die sie zeugten,
Dem menschlichen Geschlecht, dem Vaterland,
Dem ersten Licht, den Brüsten, die sie säugten.
- Dann drängten sie zusammen sich am Strand,
Dem Schrecklichen, zu welchem alle kommen,
Die Gott nicht scheu’n, und laut Geheul entstand.
- Charon, mit Augen, die wie Kohlen glommen,
Winkt’ ihnen und schlug mit dem Ruder los,
Wenn einer sich zum Warten Zeit genommen.
- Gleich wie im Herbste bei des Nordwinds Stoß
Ein Blatt zum ändern fällt, bis daß sie alle
Der Baum erstattet hat dem Erdenschoß;
- So stürzen, hergewinkt, in jähem Falle
Sich Adams schlechte Sprossen in den Kahn,
Wie angelockte Vögel in die Falle.
- Durch schwarze Fluten geht des Nachens Bahn,
Und eh’ sie noch das Ufer dort erreichen,
Drängt hier schon eine neue Schar heran.
- "Mein Sohn," sprach mild der Meister, "die erbleichen
In Gottes Zorne, werden alle hier
Am Strand vereint aus allen Erdenreichen.
- Man scheint zur Überfahrt sehr eilig dir,
Doch die Gerechtigkeit treibt diese Leute
Und wandelt ihre bange Furcht in Gier.
- Kein guter Geist macht diese Fahrt; und dräute
Dir Charon, weil du hier dich eingestellt,
So kannst du wissen, was sein Wort bedeute" –
- Hier wankte so mit Macht das dunkle Feld,
Daß mich noch jetzt Schweißtropfen übertauen,
Sooft dies Schreckensbild mich überfällt.
- Ein Windstoß fuhr aus den betränten Auen,
Und blitzt’ ein rotes Licht, das jeden Sinn
Bewältigte mit ungeheurem Grauen,
- Und, wie vom Schlaf befallen, stürzt’ ich hin –
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