- Die Stund’ erheischte rasches Steigen schon,
Nachdem die Sonne hier den Mittagsbogen
Dem Stier geräumt, dort Nacht dem Skorpion.
- Drum, wie ein Mann, der, von nichts angezogen,
Was sich auch zeige, seines Weges zieht
Vom Drang der Not zu größter Eil’ bewogen,
- So drangen wir ins höhere Gebiet
Durch eine Stiege, die uns so beschränkte,
Daß uns die Enge voneinander schied.
- Und wie ein Störchlein, das die Flügel schwenkte,
Aus Luft zum Flug, dann aber, sonder Mut,
Vom Neste fortzuzieh’n, sie wieder senkte,
- So ich, bald lodernd, bald verlöscht die Glut
Der Fragelust, das Antlitz aIso zeigend,
Wie der, der sich zum Sprechen anschickt, tut.
- Da sprach mein Herr, obwohl voll Eifer steigend:
"Laß nicht der Rede Pfeil unabgeschnellt,
Die Sehne nur bis hin zum Drücker beugend."
- Worauf ich, sicher durch dies Wort gestellt,
Den Mund erschloß: "Wie wird man hier so mager,
Hier, wo kein Leib ist, welchen Speis erhält?"
- Drauf er: "Gedächtest du an Meleager,
Der eben, wie verzehrt ein Holzbrand ward,
Sich abgezehrt, du wärst kein solcher Frager.
- Und dächtest du, wie gleich an Mien’ und Art
Sich euer Antlitz regt in Spiegelbildern,
Dann schiene lind und weich dir, was jetzt hart.
- Allein um alles dir nach Wunsch zu schildern,
Sieh hier den Statius, welcher dir verspricht,
Weil ich ihn bitte, deinen Durst zu mildern."
- "Entwickl’ ich ihm das göttliche Gericht,"
Sprach Statius drauf, "hier, wo du gegenwärtig,
So sei’s verzieh’n – du willst, drum weigr’ ich nicht."
- Und dann: "Jetzt sei dein Geist bereit und fertig
Für meine Rede, Sohn – dann sei des Wie?
Das du erfragst, in vollem Licht gewärtig.
- Das reinste Blut, das von den Adern nie
Getrunken wird, vergleichbar einer Speise,
Die über den Bedarf Natur verlieh,
- Empfängt im Herzen wunderbarerweise ,
Die Bildungskraft für menschliche Gestalt,
Geht dann mit dieser durch der Adern Kreise,
- Noch mehr verkocht, zu einem Aufenthalt,
Den man nicht nennt, von wo’s zu anderm Blute
In ein natürlich Becken überwallt.
- Daß beides zum Gebild zusammenflute,
Ist leidend dies, und tätig das, vom Ort,
In dem die hohe Bildungskraft beruhte.
- Drin angelangt, beginnt’s sein Wirken dort;
Geronnen erst, erzeugt es junges Leben
Und schreitet in des Stoffs Verdichtung fort.
- Die Seel entsteht aus tät’ger Kräfte Streben,
Wie die der Pflanze, die schon stillesteht,
Wenn jene kaum beginnt, sich zu erheben.
- Bewegung zeigt sich dann, Gefühl entsteht,
Wie in dem Schwamm des Meers, und zu entfalten
Beginnt die tät’ge Kraft, was sie gesät.
- Nun beugt, nun dehnt die Frucht sich aus, beim Walten
Der Kraft des Zeugenden, die, nie verwirrt
Von fremdem Trieb, nur ist, um zu gestalten.
- Doch, Sohn, wie nun das Tier zum Menschen wird,
Noch siehst du’s nicht, und dies ist eine Lehre,
Worin ein Weiserer als du geirrt.
- Er war der Meinung, von der Seele wäre
Gesondert die Vernunft, weil kein Organ
Die Äußerung der letztern uns erkläre.
- Jetzt sei dein Herz der Wahrheit aufgetan,
Damit dein Geist, was folgen wird, bemerke!
Wenn Bildung das Gehirn der Frucht empfah’n,
- Kehrt, froh ob der Natur kunstvollem Werke,
Zu ihr der Schöpfer sich und haucht den Geist,
Den neuen Geist ihr ein, von solcher Stärke,
- Daß er, was tätig dort ist, an sich reißt,
Und mit ihm sich vereint zu einer Seele,
Die lebt und fühlt und in sich wogt und kreist.
- Und, daß dir’s nicht an hellerm Lichte fehle,
So denke nur, wie sich zum edlen Wein
Die Sonnenglut dem Rebensaft vermalte.
- Gebricht es dann der Lachesis an Lein,
Dann trägt sie mit sich aus des Leibes Hülle
Des Menschlichen und Göttlichen Verein;
- Die andern Kräfte sämtlich stumm und stille,
Doch schärfer als vorher in Macht und Tat,
Erinnerung, Verstandeskraft und Wille.
- Und ohne Säumen fällt sie am Gestad,
An dem, an jenem, wunderbarlich nieder,
Und hier erkennt sie erst den weitern Pfad.
- Kaum ist sie nun auf sicherm Orte wieder,
Da strahlt die Bildungskraft rings um sie her,
So hell wie einst beim Leben ihrer Glieder.
- Und wie die Luft, vom Regen feucht und Schwer.
Sich glänzend schmückt mit buntem Farbenbogen
Im Widerglanz vom Sonnenfeuermeer;
- So jetzt die Lüfte, so die Seel’ umwogen,
Worein die Bildungskraft ein Bildnis prägt,
Sobald die Seel’ an jenen Strand gezogen.
- Und gleich der Flamme, die sich nachbewegt,
Wo irgendhin des Feuers Pfade gehen,
So folgt die Form, wohin der Geist sie trägt.
- Sieh daher die Erscheinung dann entstehen,
Die Schatten heißt; so bildet sich in ihr
Jedwed Gefühl, das Hören und das Sehen.
- Und daher sprechen, daher lachen wir,
Und daher weinen wir die bittern Zähren
Und seufzen laut auf unserm Berge hier.
- Der Schatten bildet sich, je wie Begehren
Und Leidenschaft uns reizt und Lust und Gram.
Dies mag dir, was du angestaunt, erklären."
- Und schon als ich zur letzten Marter kam,
Indem wir, rechts gewandt, die Schlucht verließen,
Ward ich auf das, was dort war, aufmerksam.
- Den Felsen sah ich Flammen vorwärts schießen,
Der Vorsprung aber haucht’ empor zur Wand
Windstöße, die zurück die Flammen stießen.
- Wir mußten einzeln gehn am freien Rand,
Und ängstlich hört’ ich hier die Flamme schwirren,
Indes sich dort ein tiefer Abgrund fand.
- Mein Führer sprach: "Hier laß dich nichts verwirren
Und halte straff der schnellen Augen Zaum,
Denn leicht ist’s hier, mit einem Tritt zu irren."
- Gott höchster Gnade! hört’ ich’s aus dem Raum,
Den jene große Glut erfüllte, singen
Und hielt den Blick an meinem Wege kaum.
- Ich sah dort Geister, die durchs Feuer gingen,
Und sah auf meinen bald, bald ihren Gang
Und ließ den Blick von hier nach dorten springen.
- Ich weiß von keinem Mann – dies Wort erklang
Mit lautem Ruf, als jenes Lied verklungen,
Und neu begannen sie’s mit leisem Sang,
- Und riefen wieder, als sie’s ausgesungen:
"Diana blieb im Hain und jagt’ ergrimmt
Kalisto fort, die Venus’ Gift durchdrungen."
- Dann ward die Hymne wieder angestimmt,
Dann riefen sie von keuschen Frau’n und Gatten,
Die lebten, wie’s zu Eh’ und Tugend stimmt.
- Und dies nur tun sie, ohne zu ermatten,
Wie’s scheint, solang die Flamme sie umfließt,
Bis solche Pfleg’ und Arzenei den Schatten
- Zuletzt die Wund’ auf ewig wieder schließt.
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