- "Wenn ich in Liebesglut dir flammend funkle,
Mehr, als es je ein irdisch Auge sieht,
So, daß ich deines Auges Licht verdunkle,
- Nicht staune drum – es macht, daß dies geschieht,
Vollkommnes Schauen, welches, wie’s ergründet,
In dem Ergründeten uns weiterzieht.
- Schon glänzt, ich seh’s in deinem Blick verkündet.
In deinem Geist ein Schein vom ew’gen Licht,
Das, kaum gesehen, Liebe stets entzündet.
- Und liebt ihr, weil euch andrer Reiz besticht,
So ist’s, weil, unerkannt, vom Licht, dem wahren,
Ein Strahl herein auf das Geliebte bricht.
- Ob andrer Dienst, dies willst du jetzt erfahren,
Gebrochenes Gelübd’ ersetzen kann,
Um vor dem Vorwurf euer Herz zu wahren."
- So fing ihr heil’ges Wort Beatrix an
Und setzte dann, die Rede zu vollenden,
Ununterbrochen fort, was sie begann.
- "Die größte Gab’ aus Gottes Vaterhänden
Und seiner reichen Güte klarste Spur,
Von ihm geschätzt als höchste seiner Spenden,
- Ist Willensfreiheit, so die Kreatur,
Der er Vernunft verlieh, von ihm bekommen,
Von diesen jede, doch auch diese nur.
- Hieraus ersieh den hohen Wert des frommen
Gelübdes, wenn es so beschaffen ist,
Daß Gott, was du geboten, angenommen.
- Denn, wer mit Gott Vertrag schließt, der vermißt
Sich, diesen Schatz zum Opfer darzubringen,
Mit dessen Werte sich kein andrer mißt.
- Wie kann drum je hier ein Ersatz gelingen?
Brauchst du auch wohl, was du geopfert hast,
So ist’s nur Wohltat mit gestohlnen Dingen.
- Du hast das Wichtigste nun aufgefaßt,
Doch weil die Kirche vom Gelübd’ entbindet,
So zweifelst du an meiner Wahrheit fast.
- Drum bleib am Tisch ein wenig noch. Hier findet,
Ob du auch Unverdauliches gespeist,
Das Mittel sich, vor dem der Schmerz verschwindet.
- Dem, was ich sag’, erschließe deinen Geist,
Denn Hören gibt nicht Weisheit, nein, Behalten;
Behalt es drum, damit du weise seist.
- In diesem Opfer sind zwei Ding’ enthalten;
Das erste: des Gelübdes Gegenst and –
Das zweite: der Vertrag, es treu zu halten.
- Der letztere hat ewigen Bestand,
Bis er erfüllt ist, und wie er zu achten,
Dies macht’ ich oben dir genau bekannt.
- Drum mußten die Hebräer Opfer schlachten,
Obwohl für das Gelobte dann und wann
Sie, wie du wissen mußt, ein andres brachten.
- Der Gegenstand kann also sein, daß man,
Auch ohne Reu’ und Vorwurf zu empfinden,
Mit einem andern ihn vertauschen kann.
- Nur mag sich dessen niemand unterwinden
Nach eigner Wahl, wenn ihn der ersten Last
Der gelb’ und weiße Schlüssel nicht entbinden.
- Und jeder Tausch der Bürd’ ist Gott verhaßt,
Wenn, die wir nehmen, die wir von uns legen,
Nicht wie die Sechs die Vier, voll in sich faßt.
- Drum, ziehet das, was man gelobt, beim Wägen
Jedwede Wag’ herab durch sein Gewicht,
So gibt’s auch nirgendwo Ersatz dagegen.
- Scherzt, Sterbliche, mit dem Gelübde nicht.
Seid treu, doch seht euch vor; denn schwer beklagen
Wird’s jeder, der, wie Jephtha, blind verspricht.
- Ihm ziemt’ es besser: Ich tat schlimm! zu sagen,
Als, haltend, schlimmer tun – und gleiche Scham
Sah man davon den Griechenfeldherrn tragen;
- Drob Iphigenia weint’ in bitterm Gram
Und um sich weinen Weis’ und Toren machte,
Ja, jeden, der von solchem Dienst vernahm.
- Sei nicht leichtgläubig, Christenvolk, und trachte,
Nicht wie der Flaum im Windeshauch zu sein;
Daß dich nicht jedes Wasser wäscht, beachtet
- Das Alt’ und Neue Testament ist dein,
Der Kirche Hirt ist Führer ihren Söhnen,
Und dieses g’nügt zu eurem Heil allein.
- Und reizt euch jemand, schlechtem Trieb zu frönen,
Nicht Schafe seid ihr, eurer unbewußt,
Drum laßt vom Nachbar Juden euch nicht höhnen.
- Tut nicht dem Lamm gleich, das der Mutter Brust
Aus Einfalt läßt und, dumm und geil, vergebens
Nur mit sich selber kämpft nach seiner Lust."
- Beatrix sprach’s und wandte, regen Strebens,
Ganz Sehnen, ihren Blick zum hellem Licht,
Empor zur schönen Welt des höhern Lebens.
- Ihr Schweigen, ihr verwandelt Angesicht
Geboten dem begier’gen Geiste Schweigen
Und ließen mich zu neuen Fragen nicht.
- Und schnell, wie sich beschwingte Pfeile zeigen,
Ins Ziel einbohrend, eh’ die Sehne ruht,
So eilten wir, zum zweiten Reich zu steigen.
- Die Herrin sah ich so in frohem Mut,
Da uns der Flug zum neuen Glänze brachte,
Daß heller ward des Sternes Licht und Glut.
- Wenn der Planet nun, sich verwandelnd, lachte,
Wie ward wohl mir, mir, den verwandelbar
Schon die Natur auf alle Weisen machte?
- Gleichwie im Teich, der ruhig ist und klar,
Wenn das, wovon die Fischlein sich ernähren,
Von außen kommt, her eilt die muntre Schar,
- So sah ich hier zu uns sich Strahlen kehren
Wohl Tausende, von welchen jeder sprach:
"Seht, der da kommt, wird unser Lieben mehren!"
- Und wie sie uns sich nahten nach und nach,
Da sah ich süßer Wonne voll die Seelen,
Im Glanz, der hell hervor aus jeder brach.
- Bedenke, Leser, wollt’ ich dir verhehlen,
Was ich noch sah, und schweigend von dir gehn,
Wie würde dich der Durst nach Wissen quälen?
- Du wirst daraus wohl durch dich selbst verstehn,
Wie ich ihr Los mich sehnte zu erfahren,
Sobald mein Aug’ in ihren Glanz geseh’n.
- "Begnadigter, dem hier sich offenbaren
Des ewigen Triumphes Thron’, eh’ dort
Du noch verlassen hast der Krieger Scharen,
- Wir sind entglüht vom Licht, das fort und fort
Den Himmel füllt – drum, wünschest du Erklärung,
So sättige nach Wunsch dich unser Wort."
- Ein frommer Geist verhieß mir so Gewährung,
Beatrix drauf: "Sprich, sprich und glaub’ ihm fest,
So fest, als war’ es göttliche Belehrung."
- "Ich sehe, würd’ger Geist, du hast dein Nest
Im eignen Licht, das, wie du lächelst, immer
Mit hellerm Glanz dein Auge strahlen läßt,
- Doch wer bist du? Was ward der schwache Flimmer
Der niedern Sphäre dir zum Sitz gewährt,
Die uns umschleiert wird durch fremden Schimmer?"
- So sprach ich, jenem Lichte zugekehrt,
Das erst gesprochen hatt’, und sah’s in Wogen
Von Strahlen drum weit mehr als erst verklärt.
- Denn gleichwie Sol, von dichtem, Dunst umzogen,
In zu gewalt’gen Glanz sich selber hüllt,
Wenn Glut der Nebel Schleier weggesogen,
- So barg sich jetzt, von größrer Lust erfüllt,
Die heilige Gestalt im Strahlenringe,
Und sie entgegnete mir, so verhüllt,
- Das, was ich bald im nächsten Sange singe.
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