- Das Schwarz der Höll’ und einer Nacht, durchfunkelt
Nicht von des ärmsten Himmels bleichstem Schein,
Vom dichtesten der Nebel rings umdunkelt,
- Nie schloß es mich in grobem Schleier ein,
Als jener Rauch, der dorten uns umflossen;
Nie schien es mir so schmerzlich rauh zu sein.
- Nicht könnt’ ich steh’n, die Augen unverschlossen,
Drum nahte sich, und seine Schulter bot
Mein Führer mir treu, weis’ und unverdrossen.
- So wie der Blinde gern in seiner Not
Dem Führer nachfolgt, um nicht anzurennen
An was Gefahr bring’ und vielleicht den Tod,
- So folgt’ ich ihm, ohn’ etwas zu erkennen,
Durch widrig bittern Qualm und horcht’ auf ihn,
Der sprach: "Gib Achtung, daß wir uns nicht trennen."
- Ich hörte Stimmen dort, und jede schien
Um Gnad’ und Frieden zu dem Lamm zu stöhnen,
Ob des der Herr die Sünden uns verzieh’n.
- Agnus Dei hört’ ich den Anfang tönen,
Wobei sich aller Wort und Weise glich,
Und voller Einklang herrscht’ in ihren Tönen.
- "Dies sind wohl Geister, Herr!" so wandt’ ich mich
An ihn, und er: "Es ist, wie du entscheidest;
Sie lösen von der Zornwut Schlingen sich."
- "Wer bist du, der du unsern Rauch durchschneidest,
Von dem man, wie du von uns sprichst, vernimmt,
Daß du die Zeit dir noch nach Monden scheidest?"
- Die Rede ward von einem angestimmt,
Drum sprach mein Meister: "Stille sein Begehren
Und frag’ ihn, ob man hier nach oben klimmt."
- "Geschöpf, das, um zum Schöpfer heimzukehren,
Sich reiniget und schön wird wie zuvor,
Begleite mich, dann sollst du Wunder hören!"
- So ich, und er: "Ich schreite mit dir vor,
So weit ich darf, und, um uns nicht zu scheiden,
Führ’ uns im Rauch an Auges Statt das Ohr."
- Drauf ich: "Obschon die Hüllen mich umkleiden,
Die nur der Tod löst, schreit’ ich doch hinauf
Und drang bis hierher durch der Hölle Leiden.
- Und nahm der Herr mich so zu Gnaden auf,
Daß ich vermag zu ihm emporzustreben,
Ganz gegen dieser Zeit gewohnten Lauf,
- So sage mir, wer warst du einst im Leben,
Und ob ich hier die rechte Straße hielt,
Denn unsre Richtung wird dein Wort uns geben." –
- "Mark hieß ich einst, und was die Welt enthielt,
Ich konnt’ es wohl und strebte nach dem Preise,
Nach welchem jetzt auf Erden keiner zielt.
- G’rad’ vor dir ist der Weg zum höhern Kreise."
Er sprach’s: "Noch bitt’ ich dich," So fügt’ er bei,
"Fürbittend denke mein am Ziel der Reise."
- Und ich zu ihm: "Bei meiner Treu, es sei!
Doch wisse, daß ich einen Zweifel finde,
An dem ich berste, sag’ ich ihn nicht frei.
- Er war einst einfach; doppelt jetzt empfinde
Ich ihn in mir, nach dem, was du gesagt,
Sobald ich mit dem Dort das Hier verbinde.
- Wahr ist’s, die Welt, so wie du mir geklagt,
Ist öd an jeder Tugend, jeder Ehre,
Und ganz mit Bosheit schwanger und geplagt.
- Doch daß ich sie erkenn’ und ändern lehre,
So bitt’ ich, deute jetzt die Ursach’ mir.
Der sucht sie dort, der in des Himmels Sphäre."
- Ein bang gepreßtes Ach! entwand sich hier
Laut seiner Brust, und dann begann er: "Wisse,
Die Welt ist blind, und du, Freund, kommst von ihr.
- Ihr, die ihr lebt, sprecht immer nur, es müsse
Der Himmel selber Schuld an allem sein,
Als ob er euch gewaltsam mit sich risse.
- Wär’s also, sprich, wo wäre nur ein Schein
Von freiem Willen? Wie entspräch’s dem Rechte,
Daß Lust der Tugend folgt, dem Laster Pein?
- Die Triebe pflanzen ein des Himmels Mächte,
Nicht sag’ ich all; allein auch dies gesetzt,
Ward euch Erkenntnis auch fürs Gut’ und Schlechte,
- Und freier Will’ – und, wenn er, auch verletzt
Und müde, standhaft mit dem Himmel streitet,
So siegt er, wohlgenährt, doch stets zuletzt.
- Die Urkraft, welche sich durchs All verbreitet,
Beherrscht die Freien und erschafft den Geist,
Den nicht der Himmel mehr als Vormund leitet.
- Drum, wenn die Gegenwart euch mit sich reißt,
In euch nur liegt der Grund, liegt in euch allen,
Wie, was ich sage, deutlich dir beweist.
- Es kommt aus dessen Hand, des Wohlgefallen
Ihr lächelt, eh’ sie ist, gleich einem Kind,
Das lacht und weint in unschuldsvollem Lallen,
- Die junge Seele, die nichts weiß und sinnt,
Als daß, vom heitern Schöpfer ausgegangen,
Sie gern dahin kehrt, wo die Freuden sind.
- Sie schmeckt ein kleines Gut erst, fühlt Verlangen
Und rennt ihm nach, wenn sie kein Führer hält,
Kein Zaum sie hemmt, der Neigung nachzuhangen.
- Gesetz, als Zaum, ist nötig drum der Welt,
Ein Herrscher auch, der von der Stadt, der wahren,
Im Auge mindestens den Turm behält.
- Gesetze sind, doch wer mag sie bewahren?
Kein Mensch! Denn seht, ein Hirt, der wiederkaut,
Doch nicht gespaltne Klau’n hat, führt die Scharen;
- Daher die Herde, die dem Führer traut,
Der das verschlingt, wonach sie selber lüstert,
Nur dies verzehrt und nicht nach Höherm schaut.
- Drum, was man auch von anderm Grunde flüstert,
Nicht die Natur ist ruchlos und verkehrt,
Nur schlechte Führung hat die Welt verdüstert.
- Rom hatte, da’s zum Glück die Welt bekehrt,
Zwei Sonnen, und den Weg der Welt hatt’ eine,
Die andere den Weg zu Gott verklärt.
- Verlöscht ward eine von der andern Scheine,
Und Schwert und Hirtenstab von einer Hand
Gefaßt im übel passenden Vereine.
- Denn nicht mehr fürchten, wenn man sie verband,
Sich Hirtenstab und Schwert – du kannst’s begreifen,
Denn an den Früchten wird der Baum erkannt.
- Man sah im Land, das Etsch und Po durchstreifen
Eh’ man dem Kaiser Widerstand getan,
Stets edle Sitt’ und Kraft und Tugend reifen.
- Jetzt finden, die den Guten sich zu nah’n
Und sie zu sprechen, sich errötend scheuen,
In jenem Land vollkommen sichre Bahn.
- Die alten Zeiten schelten dort die neuen
Noch durch drei Greise von der echten Art,
Die sich des nahen Todes harrend freuen.
- Konrad Pallazzo ist es, und Gherard
Und Guid Castel, der besser heißen würde
Nach fränk’scher Art: der ehrliche Lombard.
- Roms Kirche fällt, weil sie die Doppelwürde,
Die Doppelherrschaft jetzt in sich vermengt,
In Kot, besudelnd sich und ihre Bürde" –
- "Mein Marco," sprach ich, "klares Licht empfängt
Durch deine Rede jetzt mein Geist – ich sehe,
Was aus der Erbschaft Levis Stamm verdrängt.
- Doch sage, welcher Gherard, meinst du, stehe
Als Trümmer noch versunkner guter Zeit,
So, daß er dieser Zeit Verderbnis schmähe? –
- "Betrügst, versuchst du mich in meinem Leid?"
So er: "Du, Tuscisch sprechend, tust dergleichen,
Als kenntest du nicht Gherards Trefflichkeit?
- Den Namen kenn’ ich, sonst kein andres Zeichen,
Wenn man’s von seiner Gaja nicht entnimmt,
Gott sei mit dir, hier muß ich von euch weichen.
- Sieh, wie in weißem Glanz der Rauch entglimmt.
Fort muß ich, denn schon ist der Engel dorten;
Ich scheid’, eh’ er mich wahr hier sprechend nimmt."
- Er sprach’s und horchte nicht mehr meinen Worten.
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