- Schon hinter uns geblieben war der Engel,
Der unsern Schritt zum sechsten Kreis gekehrt
Und mir getilgt ein Zeichen meiner Mängel.
- Sie, deren Wunsch Gerechtigkeit begehrt,
Sie riefen: "Heil dem Dürstenden!" und schwiegen,
Und ohne weitres war ihr Sinn erklärt.
- Ich, leichter als auf andern Felsenstiegen,
Ging aufwärts, den behenden Geistern nach,
Und sonder Mühe ward der Kreis erstiegen.
- "An Lieb’, entzündet von der Tugend," sprach
Mein Meister nun, "ist andre stets entglommen,
Wenn sichtbar nur hervor die Flamme brach.
- Darum, seit Juvenal hinabgekommen
Zum Höllenvorhof, und mit uns vereint,
Von dem ich, wie du mich geliebt, vernommen,
- War ich in Liebe dir so wohlgemeint,
Wie wir sie selten Niegesehnen weihen,
So, daß nun kurz mir diese Stiege scheint.
- Doch sprich und wolle mir als Freund verzeihen,
Löst mir zu große Sicherheit den Zaum,
Und wolle Kunde mir als Freund verleihen:
- Wie fand der Geiz doch – ich begreif es kaum –
Bei solcher Weisheit, wie dein eifrig Streben
Errungen hat, in deinem Busen Raum?"
- Hier sah ich Lächeln jenes Mund umschweben,
Dann sprach er: "Jedes Wort aus deinem Mund,
Zeugt’s nur von Liebe, muß mir Freude geben.
- Oft werden uns von außen Dinge kund,
Die falsche Zweifel in der Seel’ erregen,
Weil tief verborgen ist ihr wahrer Grund.
- Du scheinst – die Frage zeigt’s – den Wahn zu hegen,
Daß mich der Geiz auf Erden einst geplagt,
Vielleicht weil ich in diesem Kreis gelegen.
- Jetzt wisse, daß ich ihm zu sehr entsagt,
Und dieses Unmaß hab’ ich hier in Schlingen
So viele tausend Monden lang beklagt.
- Dort unten müßt’ ich, Steine wälzend, ringen,
Hätt’ ich dein zürnend Warnen nicht gehört:
Zu was kannst du die Menschenbrust nicht zwingen.
- Verfluchter Durst nach Gold, der uns betört! –
Die ernste Mahnung hört’ ich dich verkünden
Und ward aus eitlen Träumen aufgestört.
- Daß nur zu offen meine Hände stünden,
Dies ward mir nun in meinem Geiste klar,
Mit Reu’ ob dieser und der andern Sünden.
- Wieviel’ erstehn einst mit verschnittnem Haar,
Weil bis zum Tod sie nicht erkannt, daß Sühne
Durch Reu’ auch diesem Fehler nötig war.
- Wisse, die Schuld, die auf des Lebens Bühne
Sich einer andern g’rad’ entgegensetzt,
Verliert zugleich mit ihr hier ihre Grüne.
- Drum sahst du mich bei jenen Scharen jetzt
Der Reuigen, die einst der Geiz bezwungen;
Drum hat das Gegenteil mich herversetzt."
- "Zur Zeit, da du der Waffen Graus gesungen.
Die Jokasten Gram zu Gram gefügt,"
Sprach jener, dem das Hirtenlied gelungen,
- "War, wenn, was Klio aus dir singt, nicht trügt,
Nicht durch den Glauben noch dein Herz gelichtet,
Bei dessen Mangel keine Tugend g’nügt.
- Nun, welche Sonne hat die Nacht vernichtet,
Welch irdisch Licht, daß du an deinem Kahn
Die Segel dann, dem Fischer nach, gerichtet?"
- Und er: "Du zeigtest mir zuerst die Bahn
Zu dem Parnaß und seinen süßen Quellen
Und warst mein erstes Licht, um Gott zu nah’n.
- Dem, der bei Nacht geht, warst du gleichzustellen,
Dem seine Leuchte selbst kein Licht verleiht,
Um hinter ihm die Straße zu erhellen,
- Indem du sprachst: Erneuert wird die Zeit,
Ich seh’ ein neu Geschlecht vom Himmel steigen
Und Ordnung herrschen und Gerechtigkeit.
- Durch dich ward mir der Ruhm des Dichters eigen,
Durch dich ward ich den Christen beigeseIIt;
Wie? Soll sich dir in klarem Bilde zeigen.
- Vom wahren Glauben schwanger war die Welt
Schon überall; es streuten diesen Samen
Die Boten ew’gen Reichs ins weite Feld.
- Mit deinem oft berührten Worte kamen
Die neuen Pred’ger sämtlich überein,
Drum folgt’ ich denen, die ihr Wort vernahmen.
- Sie schienen mir so heilig und so rein –
Und als sie Domitian verfolgte, machten
Mich weinen ihre Klag’ und ihre Pein.
- Und ihnen beizustehn war all mein Trachten,
Da mir so redlich ihre Sitt’ erschien;
All andre Sekten mußt’ ich drum verachten.
- Eh’ dichtend, ich an Thebens Flüsse zieh’n
Die Griechen ließ, hatt’ ich die Tauf empfangen,
Obwohl ich äußerlich als Heid’ erschien,
- Und ein versteckter Christ verblieb aus Bangen;
Und ob der Lauheit hab’ ich mehr als vier
Jahrhunderte den vierten Kreis umgangen.
- Sprich jetzo du, der du den Schleier mit
Gehoben hast vom Heile, das ich preise,
Denn Zeit genug beim Steigen haben wir:
- Wo Freund Terenz, wo Varro ist, der Weise,
Cäcilius, Plautus? – sprich, ich bitte sehr,
Ob sie verdammt sind und in welchem Kreise?"
- "Sie, ich und mancher sonst," erwidert’ er,
"Wir sind beim Griechen, jenem blinden Alten,
Den Musenmilch getränkt, wie keinen mehr,
- Im ersten Kreis der blinden Haft enthalten;
Oft sprachen wir von jenem Berge schon,
Wo unsre süßen Nährerinnen walten.
- Dort ist Euripides, Anakreon
Mit vielen Griechen, die der Lorbeer krönte,
Mit dem Simonides und Agathon.
- Auch sie, von welchen einst dein Lied ertönte,
Antigone, Ismene, so gebeugt,
Wie einst, da sie um den Verlobten stöhnte.
- Auch jene, die das Kind, das sie gesäugt,
Rückkehrend von Langia, tot gefunden,
Und Daphne, von Tiresias erzeugt."
- Die Dichter schwiegen beide jetzt und stunden,
Vom Steigen frei und von der Felsenwand,
Und sah’n umher, das Weitre zu erkunden.
- Die fünfte Dienerin des Tages stand
Am Wagen schon, um seinen Lauf zu leiten,
Der Deichsel FIammenspitz’ emporgewandt.
- "Wir kehren, denk’ ich, unsre rechten Seiten",
Begann mein Herr, "zum freien Rande hin,
Um, wie wir pflegen, um den Berg zu schreiten."
- So ward Gewohnheit unsre Führerin;
Auch Statius winkte Beifall dem Genossen,
Drum gingen wir mit sorgenfreiem Sinn,
- Sie mir voraus, ich einsam, unverdrossen,
Ging hinterdrein, den Reden horchend, fort,
Die meinem Geist der Dichtung Tief’ erschlossen.
- Doch machte bald der Dichter süßes Wort
Ein Baum mit würzig duft’gen Äpfeln schweigen.’
Inmitten unsers Weges stand er dort;
- Und wie die Tann’ aufwärts, von Zweig zu Zweigen
Sich enger abstuft, so von Sproß zu Sproß
Er niederwärts, erschwerend das Ersteigen.
- Auf jener Seite, wo der Weg sich schloß,
Fiel klares Naß vom hohen Felsensaume,
Das auf die Blätter sprühend sich ergoß.
- Da nahte sich das Dichterpaar dem Baume,
Aus dessen Zweigen eine Stimm’ erscholl:
"Die Speise hier wird teuer eurem Gaume."
- "Der Hochzeit nur, um ganz und ehrenvoll
Sie auszurichten, galt Marias Sinnen,
Nicht ihrem Mund, der für euch sprechen soll. ,
- Nur Wasser tranken einst die Römerinnen;
Nicht Königskost hat Daniel gewollt,
Um reichen Schatz der Weisheit zu gewinnen.
- Die Urzeit war so schön wie lautres Gold,
Als Eichen noch dem Hunger leckre Speisen
Und Nektar jeder Bach dem Durst gezollt.
- Heuschrecken hat und Honig einst zu speisen
Der Täufer in der Wüste nicht verschmäht,
Und hoch und herrlich ist er drob zu preisen,
- Wie’s offenbart im Evangelium steht."
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