- Sieh hier das Untier mit dem spitzen Schwanze,
Der Berge spaltet, Mauer bricht und Tor!
Sieh, was mit Stank erfüllt das große Ganze!
- So hob mein Führer seine Stimm’ empor
Und rief mit seinem Wink das Tier zum Rande,
Bis nah zu unserm Marmorpfade vor.
- Da kam des Truges Greuelbild zum Lande
Und schob den Kopf und dann den Rumpf heran,
Doch zog es nicht den scharfen Schweif zum Strande.
- Von Antlitz glich es einem Biedermann
Und ließ von außen Mild’ und Huld gewahren,
Doch dann fing die Gestalt des Drachen an.
- Mit zweien Tatzen, die bedeckt mit Haaren,
Und Rücken, Brust und Seiten, die bemalt
Mit Knoten und mit kleinen Schnörkeln waren;
- Vielfarbig, wie kein Werk Arachnes strahlt,
Wie, was auch Türk und Tatar je gewoben,
So bunt doch nichts an Grund und Muster prahlt.
- Wie man den Kahn, im Wasser halb, halb oben,
Am Lande sieht an unsrer Flüsse Strand,
Und wie, zum Kampf den Vorderleib erhoben.
- Der Biber in der deutschen Fresser Land;
So sah ich jetzt das Ungeheuer, ragend
Und vorgestreckt auf unsers Dammes Rand,
- Wild zappelnd, mit dem Schweif durchs Leere schlagend,
Und, mit der Skorpionen Wehr versehn,
Die Gabel windend und sie aufwärts tragend.
- Mein Führer sprach: Jetzt müssen wir uns dreh’n
Und auf gewundnem Pfad zum Ungeheuer
Dorthin, wo’s jetzo liegt, hinuntergehn.
- Nun führte rechter Hand mich mein Getreuer
Nur wenig Schritt’ hinab am Rande fort,
Den heißen Sand vermeidend und das Feuer.
- Und unten angelangt, erkannt’ ich dort
Noch etwas vorwärts auf dem Sande Leute,
Nah sitzend an des Abgrunds dunklem Bord,
- Mein Meister sprach: "Erkennen sollst du heute
Den ganzen Binnenkreis mit seiner Pein,
Drum geh und sieh, was jenes Volk bedeute.
- Doch kurz nur dürfen deine Worte sein.
Ich will indes mich mit dem Tier vernehmen,
Den starken Rücken uns zur Fahrt zu leih’n."
- So mußt’ ich einsam mich zu geh’n bequemen
Am Rand des siebenten der Kreis’ und nahm
Den Weg zum Sitze der betrübten Schemen.
- Aus jedem Auge starrte Schmerz und Gram,
Indes die Hand, jetzt vor dem heißen Grunde,
Jetzt vor dem Dunst dem Leib zu Hilfe kam.
- So scharren sich zur Sommerzeit die Hunde,
Wenn FIoh sie oder FIieg’ und Wespe sticht,
Jetzt mit dem einen Fuß, jetzt mit dem Munde.
- Die Augen wandt’ ich manchem ins Gesicht,
Der dort im Feuer saß und heißer Asche;
Und keinen kannt’ ich, doch entging mir nicht,
- Vom Halse hänge jedem eine Tasche,
Bezeichnet und bemalt, und wie voll Gier
Nach diesem Anblick noch ihr Auge hasche.
- Ich sah, wie ich genaht, ein blaues Tier
Auf gelbem Beutel, wie auf einem Schilde,
Das schien ein Leu an Kopf und Haltung mir.
- Dann blickt’ ich weiter durch dies Qualgefilde,
Und sieh, ein andrer Beutel, blutigrot,
Zeigt’ eine butterweiße Gans im Bilde.
- Ein blaues Schwein auf weißem Sacke bot
Sich dann dem Blick, und seine Stimm’ erheben
Hört’ ich den Träger: "Du hier vor dem Tod?
- Fort! Fort! Doch wisse, weil du noch am Leben
Bald findet mir mein Nachbar Vitalian,
Zur Linken seinen Sitz, hier gleich daneben.
- Oft schrei’n mich diese Florentiner an,
Mich Paduaner, mir zum größten Schrecken:
Möcht’ aller Ritter Ausbund endlich nah’n!
- Wo mag doch die Dreischnabeltasche stecken?" –
Hier zerrt’ er’s Maul schief, und die Zunge zog
Er vor, gleich Ochsen, so die Nase lecken.
- Schon fürchtet’ ich, da ich so lang verzog,
Den Zorn des Meisters, der auf Eil’ gedrungen,
Daher ich schnell mich wieder rückwärts bog.
- Auch fand ich, daß er schon sich aufgeschwungen
Und auf das Kreuz des Ungetüms gesetzt.
Er sprach: "Stark sei dein Mut und unbezwungen!
- Hinunter geht’s auf solcher Leiter jetzt.
Steig vorn nur auf, ich will inmitten sitzen.
Daß dich des Schwanzes Stachel nicht verletzt."
- Wie wer mit totenkalten Fingerspitzen
Das Fieber nahen fühlt und doch nicht wagt,
Wenn er schon zitternd bebt, sich zu erhitzen,
- So wurd’ ich jetzt bei dem, was er gesagt,
Doch machte mich die Scham, gleich einem Knechte,
Wenn ihm ein güt’ger Herr droht, unverzagt.
- Drum setzt’ ich auf dem Untier mich zurechte.
Und bitten wollt’ ich (doch erstarb der Ton),
Daß er mich halten und umfassen möchte.
- Doch er, der oft bei der Dämonen Droh’n
Mich unterstützt und der Gefahr entzogen,
Umfaßte mich mit seinen Armen schon.
- Und sprach: "Geryon, auf! Nun fortgeflogen!
Allein bedenke, wen dein Rücken trägt,
Drum steige sanft hinab in weiten Bogen."
- Wie rückwärts sich vom Strand der Kahn bewegt,
Schob sich’s vom Damm, doch, kaum hinabgeklommen,
Ward dann im freien Spielraum umgelegt.
- Als, wo die Brust war, nun der Schweif gekommen,
Ward dieser, wie ein Aalschweif, ausgestreckt,
Und mit dem Tatzenpaar die Luft durchschwommen.
- So, glaub’ ich, war nicht Phaethon erschreckt,
Als einst die Zügel seiner Hand entgingen,
Beim Himmelsbrand, des Spur man noch entdeckt;
- Noch Icarus, als von erwärmten Schwingen
Das Wachs herniedertroff, bei Dädals Schrei’n:
Dein Weg ist schlecht, dein FIug wird nicht gelingen;
- Wie ich, nichts sehend, als das Tier allein,
Und rings umher von öder Luft umfangen,
Wo nie entglomm des Lichtes heitrer Schein.
- Daß wir uns langsam, langsam niederschwangen,
Im Bogenflug, bemerkt’ ich nur beim Weh’n
Der Luft von unten her an Stirn und Wangen.
- Rechts hört’ ich schon das Wirbeln und das Dreh’n
Des Wasserfalls und sein entsetzlich Brausen,
Und bog mich vorwärts, um hinabzusehn.
- Doch schüchtern wieder bei des Abgrunds Sausen,
Bei Klag’ und Glut, die ich vernahm und sah,
Duckt’ ich mich hin und zitterte vor Grausen.
- Was ich erst nicht gesehn, das sah ich da:
Wie wir im weiten Kreis hinunterstiegen.
Und sah mich überall den Qualen nah –
- Gleich wie ein Falk, wenn er, nach langem Wiegen
In hoher Luft, nicht Raub noch Lockbild steht,
Und ihn der Falkner ruft, herabzufliegen,
- So schnell er stieg, so langsam niederzieht
Und, zürnend, wenn der Herr ihn eingeladen,
Im Bogenflug zum fernen Sitze flieht;
- So setzt’ uns an den steilen Felsgestaden
Geryon ab und flog in großer Eil’,
Sobald er nur sich unsrer Last entladen,
- Hinweg, gleich einem abgeschnellten Pfeil.
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