Dante Alighieri
Die Göttliche Komödie
Dante Alighieri

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Siebzehnter Gesang

  1. Sieh hier das Untier mit dem spitzen Schwanze,
    Der Berge spaltet, Mauer bricht und Tor!
    Sieh, was mit Stank erfüllt das große Ganze!
  2. So hob mein Führer seine Stimm’ empor
    Und rief mit seinem Wink das Tier zum Rande,
    Bis nah zu unserm Marmorpfade vor.
  3. Da kam des Truges Greuelbild zum Lande
    Und schob den Kopf und dann den Rumpf heran,
    Doch zog es nicht den scharfen Schweif zum Strande.
  4. Von Antlitz glich es einem Biedermann
    Und ließ von außen Mild’ und Huld gewahren,
    Doch dann fing die Gestalt des Drachen an.
  5. Mit zweien Tatzen, die bedeckt mit Haaren,
    Und Rücken, Brust und Seiten, die bemalt
    Mit Knoten und mit kleinen Schnörkeln waren;
  6. Vielfarbig, wie kein Werk Arachnes strahlt,
    Wie, was auch Türk und Tatar je gewoben,
    So bunt doch nichts an Grund und Muster prahlt.
  7. Wie man den Kahn, im Wasser halb, halb oben,
    Am Lande sieht an unsrer Flüsse Strand,
    Und wie, zum Kampf den Vorderleib erhoben.
  8. Der Biber in der deutschen Fresser Land;
    So sah ich jetzt das Ungeheuer, ragend
    Und vorgestreckt auf unsers Dammes Rand,
  9. Wild zappelnd, mit dem Schweif durchs Leere schlagend,
    Und, mit der Skorpionen Wehr versehn,
    Die Gabel windend und sie aufwärts tragend.
  10. Mein Führer sprach: Jetzt müssen wir uns dreh’n
    Und auf gewundnem Pfad zum Ungeheuer
    Dorthin, wo’s jetzo liegt, hinuntergehn.
  11. Nun führte rechter Hand mich mein Getreuer
    Nur wenig Schritt’ hinab am Rande fort,
    Den heißen Sand vermeidend und das Feuer.
  12. Und unten angelangt, erkannt’ ich dort
    Noch etwas vorwärts auf dem Sande Leute,
    Nah sitzend an des Abgrunds dunklem Bord,
  13. Mein Meister sprach: "Erkennen sollst du heute
    Den ganzen Binnenkreis mit seiner Pein,
    Drum geh und sieh, was jenes Volk bedeute.
  14. Doch kurz nur dürfen deine Worte sein.
    Ich will indes mich mit dem Tier vernehmen,
    Den starken Rücken uns zur Fahrt zu leih’n."
  15. So mußt’ ich einsam mich zu geh’n bequemen
    Am Rand des siebenten der Kreis’ und nahm
    Den Weg zum Sitze der betrübten Schemen.
  16. Aus jedem Auge starrte Schmerz und Gram,
    Indes die Hand, jetzt vor dem heißen Grunde,
    Jetzt vor dem Dunst dem Leib zu Hilfe kam.
  17. So scharren sich zur Sommerzeit die Hunde,
    Wenn FIoh sie oder FIieg’ und Wespe sticht,
    Jetzt mit dem einen Fuß, jetzt mit dem Munde.
  18. Die Augen wandt’ ich manchem ins Gesicht,
    Der dort im Feuer saß und heißer Asche;
    Und keinen kannt’ ich, doch entging mir nicht,
  19. Vom Halse hänge jedem eine Tasche,
    Bezeichnet und bemalt, und wie voll Gier
    Nach diesem Anblick noch ihr Auge hasche.
  20. Ich sah, wie ich genaht, ein blaues Tier
    Auf gelbem Beutel, wie auf einem Schilde,
    Das schien ein Leu an Kopf und Haltung mir.
  21. Dann blickt’ ich weiter durch dies Qualgefilde,
    Und sieh, ein andrer Beutel, blutigrot,
    Zeigt’ eine butterweiße Gans im Bilde.
  22. Ein blaues Schwein auf weißem Sacke bot
    Sich dann dem Blick, und seine Stimm’ erheben
    Hört’ ich den Träger: "Du hier vor dem Tod?
  23. Fort! Fort! Doch wisse, weil du noch am Leben
    Bald findet mir mein Nachbar Vitalian,
    Zur Linken seinen Sitz, hier gleich daneben.
  24. Oft schrei’n mich diese Florentiner an,
    Mich Paduaner, mir zum größten Schrecken:
    Möcht’ aller Ritter Ausbund endlich nah’n!
  25. Wo mag doch die Dreischnabeltasche stecken?" –
    Hier zerrt’ er’s Maul schief, und die Zunge zog
    Er vor, gleich Ochsen, so die Nase lecken.
  26. Schon fürchtet’ ich, da ich so lang verzog,
    Den Zorn des Meisters, der auf Eil’ gedrungen,
    Daher ich schnell mich wieder rückwärts bog.
  27. Auch fand ich, daß er schon sich aufgeschwungen
    Und auf das Kreuz des Ungetüms gesetzt.
    Er sprach: "Stark sei dein Mut und unbezwungen!
  28. Hinunter geht’s auf solcher Leiter jetzt.
    Steig vorn nur auf, ich will inmitten sitzen.
    Daß dich des Schwanzes Stachel nicht verletzt."
  29. Wie wer mit totenkalten Fingerspitzen
    Das Fieber nahen fühlt und doch nicht wagt,
    Wenn er schon zitternd bebt, sich zu erhitzen,
  30. So wurd’ ich jetzt bei dem, was er gesagt,
    Doch machte mich die Scham, gleich einem Knechte,
    Wenn ihm ein güt’ger Herr droht, unverzagt.
  31. Drum setzt’ ich auf dem Untier mich zurechte.
    Und bitten wollt’ ich (doch erstarb der Ton),
    Daß er mich halten und umfassen möchte.
  32. Doch er, der oft bei der Dämonen Droh’n
    Mich unterstützt und der Gefahr entzogen,
    Umfaßte mich mit seinen Armen schon.
  33. Und sprach: "Geryon, auf! Nun fortgeflogen!
    Allein bedenke, wen dein Rücken trägt,
    Drum steige sanft hinab in weiten Bogen."
  34. Wie rückwärts sich vom Strand der Kahn bewegt,
    Schob sich’s vom Damm, doch, kaum hinabgeklommen,
    Ward dann im freien Spielraum umgelegt.
  35. Als, wo die Brust war, nun der Schweif gekommen,
    Ward dieser, wie ein Aalschweif, ausgestreckt,
    Und mit dem Tatzenpaar die Luft durchschwommen.
  36. So, glaub’ ich, war nicht Phaethon erschreckt,
    Als einst die Zügel seiner Hand entgingen,
    Beim Himmelsbrand, des Spur man noch entdeckt;
  37. Noch Icarus, als von erwärmten Schwingen
    Das Wachs herniedertroff, bei Dädals Schrei’n:
    Dein Weg ist schlecht, dein FIug wird nicht gelingen;
  38. Wie ich, nichts sehend, als das Tier allein,
    Und rings umher von öder Luft umfangen,
    Wo nie entglomm des Lichtes heitrer Schein.
  39. Daß wir uns langsam, langsam niederschwangen,
    Im Bogenflug, bemerkt’ ich nur beim Weh’n
    Der Luft von unten her an Stirn und Wangen.
  40. Rechts hört’ ich schon das Wirbeln und das Dreh’n
    Des Wasserfalls und sein entsetzlich Brausen,
    Und bog mich vorwärts, um hinabzusehn.
  41. Doch schüchtern wieder bei des Abgrunds Sausen,
    Bei Klag’ und Glut, die ich vernahm und sah,
    Duckt’ ich mich hin und zitterte vor Grausen.
  42. Was ich erst nicht gesehn, das sah ich da:
    Wie wir im weiten Kreis hinunterstiegen.
    Und sah mich überall den Qualen nah –
  43. Gleich wie ein Falk, wenn er, nach langem Wiegen
    In hoher Luft, nicht Raub noch Lockbild steht,
    Und ihn der Falkner ruft, herabzufliegen,
  44. So schnell er stieg, so langsam niederzieht
    Und, zürnend, wenn der Herr ihn eingeladen,
    Im Bogenflug zum fernen Sitze flieht;
  45. So setzt’ uns an den steilen Felsgestaden
    Geryon ab und flog in großer Eil’,
    Sobald er nur sich unsrer Last entladen,
  46. Hinweg, gleich einem abgeschnellten Pfeil.

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