- Wir gingen einsam, schweigend, unbegleitet.
Ich hinterdrein, der Meister mir voraus,
Wie auf dem Weg ein Franziskaner schreitet.
- Mir mußte wohl der Teufel wilder Strauß
Äsopens Fabel ins Gedächtnis bringen,
Worin er spricht vom Frosch und von der Maus.
- Denn wer Beginn und Schluß von beiden Dingen
Mit reiflicher Erwägung wohl verglich,
Dem konnte Jetzt und Itzt nicht gleicher klingen.
- Und wie aus einem der Gedanken sich
Der zweit’ entspinnt, so mußt’ ich weiterdenken,
Und doppelt faßte Furcht und Schrecken mich.
- Ich dachte so: Die sind in ihren Ränken
Durch uns gestört, beschädigt und geneckt
Und müssen drob sich ärgern und sich kränken.
- Wenn dies zur Bosheit noch den Zorn erweckt,
So werden sie uns nach im Fluge brausen,
Wie wild ein Hund sich nach dem Hafen streckt.
- Schon fühlt’ ich mir das Haar gesträubt vor Grausen,
Und rückwärts lauschend, rief ich: "Meister, flieh!
Verbirg uns wo in diesen FeIsenklausen.
- Die Grimmetatzen kommen schon. O sieh,
Sie kommen schon mit einem ganzen Heere!
So, wie ich sie mir denke, fühl’ ich sie!"
- Und er zu mir: "Wenn ich ein Spiegel wäre,
Kaum faßt’ ich doch dein äußres Bild so klar.
Als ich dein inneres mir leicht erkläre.
- Jetzt aber nimmst auch du mein Innres wahr
Und kommst mir selber schon mit dem entgegen,
Was für uns beid’ in mir beschlossen war.
- Und ist der Abhang rechts nur so gelegen,
Daß man zum nächsten Schlund hinunter kann,
So sollen sie umsonst die Flügel regen."
- Kaum sprach er’s, als die Teufelsjagd begann,
Und mit gespreizter Schwing’, um uns zu fangen.
Kam, nicht gar fern, der wilde Zug heran.
- Mein Führer eilte nun, mich zu umfangen,
Der Mutter gleich, die aufwacht beim Getos
Und nahe sieht die Flammen aufgegangen,
- Ihr Kind erfaßt und, nur um dessen Los
Bekümmert, nicht um ihr’s, enteilt ins Weite
Entkleidet noch und bis aufs Hemde bloß.
- Daß er herab am harten Felsen gleite,
Streckt er sich rücklings an den steilen Hang,
Der jenen Sack verstopft von einer Seite.
- Nie hat ein Mühlbach sich mit schnellerm Drang
Aufs Mühlenrad durch seine Rinn’ ergossen,
Als jetzt mein Meister, vor Verfolgung bang,
- Von jenem Felsenhang herabgeschossen,
Mich mit sich nehmend, an die Brust gepreßt
Und fest umstrickt, als Kind, nicht als Genossen.
- Kaum stand sein Fuß am Rand der Tiefe fest,
So hörten wir sie über jenem Grunde,
Doch er blieb ohne Furcht; denn nimmer läßt
- Die ew’ge Vorsicht, die im fünften Runde
Als Diener ihrer Macht sie eingesetzt,
Sie wieder vor aus diesem schmalen Schlunde.
- Getünchte Leute sahn wir unten jetzt
Im Kreise zieh’n mit langsam-schweren Tritten,
Matt und erschöpft, von Tränen ganz benetzt.
- Verhüllt die Augen von Kapuzen, schritten
Sie träg dahin in Kutten, gleich der Tracht
Der Mönch’ in Köln am Rheine zugeschnitten;
- Gold außen, blendend durch des Glanzes Pracht,
Von innen Blei, schwer, daß von Stroh erscheinen,
Die Friedrich für den Hochverrat erdacht.
- O Mantel, lastend unter ew’gen Peinen!
Wir gingen, folgend, zu der Rechten mit,
Aufmerksam auf ihr jammervolles Weinen.
- Doch so erschwert war durch die Last ihr Tritt,
Daß neben uns, so oft wir vorwärts traten,
Ein neuer Sünder durch das Dunkel schritt.
- Ich sprach: "Oh sieh dich um! ist wohl durch Taten
Und Namen mir von diesen wer bekannt?
Und sage mir’s, sobald wir einem nahten!"
- Und einer, der Toskanisch wohl verstand,
Rief hinter uns: "Oh bleibt ein wenig stehen,
Ihr, die ihr rennt durch dieses dunkle Land.
- Was du verlangst, kann wohl durch mich geschehen!"
Da wandte sich mein Herr und sprach: "Halt an
Und suche langsam, wie er selbst, zu gehen."
- Ich stand und sah nun zwei, die, um zu nah’n,
Sich sehr anstrengten und sich weidlich plagten.
Gehemmt von schwerer Last und enger Bahn;
- Dann, angelangt, mit keinem Worte fragten,
Vielmehr nach mir den scheelen Blick gedreht,
Sich unter sich besprechend, dieses sagten:
- " Der lebt, wie ihr am Zug des Odems seht,
Und welcher Freibrief dient zu ihrem Schilde,
Daß der und jener ohne Bleirock geht?"
- Zu mir dann: "Tusker, der du zu der Gilde
Der Heuchler kommst, zu ihrem trüben Leid,
Wer bist du? Sag’ es uns mit Huld und Milde."
- Und ich: "Mich hat die Stadt voll Herrlichkeit
Am Arnostrand geboren und erzogen,
Und diesen Körper trug ich jederzeit.
- Doch wer seid ihr, von deren Wang’ in Wogen
Ein Tränenstrom so schmerzlich niederrinnt?
Und was hat euch solch Übel zugezogen?"
- Und einer sprach: "Die gelben Kutten sind
Von Blei, so schwer, daß ihr Gewicht der Wage,
Die’s trägt, ein heulend Knarren abgewinnt.
- Lustbrüder waren wir von gleichem Schlage,
Ich Catalano, Loderingo er,
Von deiner Stadt erwählt an einem Tage,
- Weil sich zum Friedensstifter eignet, wer
Parteilos selber ist – und wer wir waren,
Zeigt beim Gardingo noch sich ringsumher."
- Und ich begann: "Das Leid, das ihr erfahren –"
Doch schwieg und mußt’ an dreien Pfählen dort
Gekreuzigt einen auf dem Grund gewahren.
- Als er mich sah, verrenkt’ er sich sofort
Und haucht’ in seinen Bart mit lautem Stöhnen,
Und Bruder Catalan sprach dieses Wort:
- "Der Angepfählte, dessen Klagen tönen,
Gab einst den Pharisäern diesen Rat:
Mög’ eines Tod fürs Volk den Zorn versöhnen;
- Nun liegt er nackt und quer auf unserm Pfad,
Und fühlen muß er, wenn wir drüberwallen,
Wieviel Gewicht von uns ein jeder hat.
- So wird sein Schwäher auch gestraft, mit allen
Vom Pharisäerrat, durch den so viel
Der schlimmen Saat für Judas Volk gefallen."
- Und wie ich sah, erstaunte selbst Virgil,
Daß er gestreckt am Kreuz an diesem Orte
So schmählich lag im ewigen Exil.
- Zum Bruder richtet’ er dann diese Worte:
"Sagt, wenn ihr dürft, ist rechts die Straße frei,
Und ist wohl eine Schlucht dort, die als Pforte
- Zu brauchen ist zum Ausgang für uns zwei,
Ohn’ einen von den Teufeln erst zu bannen,
Daß er zum Weitergehn uns Führer sei?"
- Und jener drauf: "Ihr geht nicht weit von dannen,
So seht ihr einen Stein vom großen Rund
Als Steg sich über alle Täler Spannen.
- Er ist nur eingestürzt ob diesem Schlund,
Allein ihr könnt die Trümmer leicht ersteigen,
Denn, schief sich lagernd, stehn sie aus dem Grund."
- Ich sah den Herrn das Haupt ein wenig neigen.
Drauf sprach er: "Mußte doch der Teufel hier
Sich wiederum in schlechtem Ratschlag zeigen."
- Und jener: "In Bologna merkt’ ich’s mir,
Der Teufel sei ein Lügner stets, ein dreister,
Ja, aller Lügen Vater für und für."
- Nun ging davon mit großem Schritt mein Meister
Und schien ein wenig zornig und erbost,
Und ich verließ die bleibeschwerten Geister
- Und folgte der verehrten Spur getrost.
|