- Kaum war ich innerhalb der Tür der Gnade,
Die selten aufgeht durch den schlechten Hang,
Der g’rad’ erscheinen läßt die krummen Pfade,
- Da hört’ ich, wie sie beim Verschließen klang.
Wie ward’s auch wohl entschuldigt, wie verziehen,
Wenn nach ihr umzuschau’n mich Neugier zwang?
- Wir mußten durch gespaltnen Felsen ziehen,
Der vor- und rückwärts sprang vor unsrer Bahn,
Wie Wogen sich anwälzen erst, dann fliehen.
- "Jetzt gilt es", also fing mein Führer an,
"Wohl etwas Kunst, um hier und dort den Seiten,
Da, wo sie rückwärts weichen, uns zu nah’n."
- Wir durften drum nur Iangsam vorwärts schreiten,
Und schon war Lunas Rand dem Meer genaht,
Schon sah ich sie hinab ins Bette gleiten,
- Eh’ wir zurückgelegt den engen Pfad;
Doch blieben wir an seinem offnen Rande,
Da, wo der Berg etwas zurücke trat,
- Ich matt, und fremd wir beid’ in diesem Lande,
In Zweifeln stehn auf einem ebnen Ort,
Der öd war wie ein Berg in Lybiens Sande.
- Von wo sein Rand ans Leere grenzt, bis dort
Zum Fuß der Felsen, die sich jenseits heben,
Ging ebner Raum drei Menschenlängen fort.
- Soweit g’rad’aus der Blicke Flügel schweben,
schien solch ein Raum zur recht’ und linken Hand
Den Berg, gleich einem Kranze, zu umgeben.
- Wie ich dort still mit meinem Führer stand,
Erkannt’ ich, daß der Felsrand, uns entgegen,
Der steil sich hob, gleich einer schroffen Wand,
- Von weißem Marmor war und allerwegen
Voll Bildnerei, um Polyklet zur Scham,
Ja die Natur zum Neide zu erregen.
- Der mit dem Friedensfchluß, den längst in Gram
Die Welt ersehnt, aufs irdische Gefilde,
Den lang verschloßnen Himmel öffnend, kam,
- Der Engel war dort eingehau’n, und Milde
Und Liebe tat so wahr sein Wesen kund,
Daß niemand glaubt’, es sei ein stumm Gebilde.
- Man schwor, ein Ave schweb’ auf seinem Mund,
Denn sie war dort, durch die des Himmels Riegel
Der Höchste löst’ im neuen Liebesbund.
- Es zeigte der Gebärde reiner Spiegel
Das Wort: Sieh Gottes Magd, so ausgeprägt,
Wie sich im Wachs ausprägt das schöne Siegel.
- "Was schaust du", sprach Virgil, "so unbewegt,
Als ob nur diesem Bild dein Blick gebührte?" –
Ich ging zur Seit’ ihm, wo das Herz uns schlägt,
- Daher sich jetzt dorthin mein Auge rührte;
Und hinter der Maria war der Stein,
Zur andern Seite dessen, der mich führte,
- Geschmückt mit andern schönen Schilderei’n.
Drum trat ich, vor Virgil vorbeigeschritten,
Ihm näher, um zum Schau’n bequem zu sein.
- Der Wagen war, in Marmor eingeshnitten,
Die stierbespannte Bundeslade da,
Drob ungeheischtes Dienen Straf erlitten.
- Das Volk voraus, in sieben Chören, sah
Ich jubelnd zieh’n und sagt’ ich: Ob sie singen?
So sagt’ ein Sinn mir nein, der andre ja!
- Sah Weihrauchduft sich in die Lüfte schwingen,
Und auch bei diesem Bilde ließen schwer
Geruch sich und Gesicht zum Einklang bringen.
- Im Tanze vor der heil’gen Lade her,
Sah ich erhöht in Demut den Psalmisten,
Der minder hier, als König, war, und mehr,
- Und, wie erfüllt von Ränken und von Listen,
Am Fenster des Palasts mit schnödem Wort
spöttisch bewundernd sich die Michal brüsten.
- Darauf bewegt’ ich mich von meinem Ort,
Um weiterhin ein andres Bild zu schauen,
Und sah den edlen Römerherrscher dort
- Zu hohem Ruhm in Marmor eingehauen,
Ihn, der zum großen Siege den Gregor
Beseelt mit Kraft und gläubigem Vertrauen.
- Trajan, den Imperator, stellt’ es vor,
Und eine Witw’, ihm in die Zügel fallend,
Die, schmerzerfüllt, mit Flehen ihn beschwor.
- Rings Reiterei gedrängt. Trompeten schallend,
–so schien’s dem Aug’ – im goldenen Panier
Die Adler drüberhin im Winde wallend.
- Die Arme schrie mit Macht, so schien es mir:
"Verweile, Herr, mir ward der Sohn erschlagen,
Du räche mich, die Rache ziemet dir." –
- So warte, bis ich kehre!" Dies zu sagen
schien er, und sie darauf: "Und wenn du nun"
(Und ihre Worte schien der Schmerz zu jagen)
- "Nicht wiederkehrst?" – So wird’s mein Folger tun!"
"Vertraust du, was dir obliegt, fremden Armen,
Mag auch indes die Pflicht vergessen ruh’n?" –
- "So tröste dich," entgegnet’ er der Armen,
"Bevor ich ziehe, lös’ ich meine Pflicht,
Gerechtigkeit gebeut’s, mich hält Erbarmen!"–
- Sichtbar macht’ er die Red’, er, des Gesicht
Von Ewigkeit nichts Neues noch gesehen,
Doch uns ist’s neu, weil uns die Kunst gebricht.
- Indes ich mich ergötzte, hinzuspähen
Nach solcher Demut Bildern, deren Wert
Noch er erhöht, durch welchen sie entstehen,
- Da lispelte Virgil, mir zugekehrt:
Sieh jene dort, die langsam, langsam schreiten,
Von diesen wird uns wohl der Weg gelehrt."
- Ich ließ, da immer hier nach Neuigkeiten
Mein ganzes Streben war, voll Ungeduld
Nach dieser Seite hin die Blicke gleiten,
- Vernimmst du, Leser, wie sich Gott die Schuld
Bezahlen läßt, nicht denke drum zu weichen
Vom guten Pfad und trau’ auf seine Huld.
- Mag diese Qual auch der der Hölle gleichen,
Denk’ an die Folg’ – im schlimmsten Falle wird
Nur bis zum großen Spruch die Marter reichen.
- Ich sprach: "Nur unklar seh’ ich und verwirrt,
Was dort sich naht. Sind’s menschliche Gestalten,
Was unstet itzt vor meinem Auge flirrt?" –
- "Kaum seh’ ich selbst ihr Bild sich klar entfalten,"
Entgegnet’ er, "weil erdwärts tiefgebückt
Vor schwerer Last sie Haupt und Schultern halten.
- Sieh, was dort unter Steinen näher rückt,
Sieh scharf, und du entwirrst gequälte Schatten
Und siehst genau, was jeden niederdrückt." –
- Stolze Christen, o ihr Armen, Matten!
Der Fuß schlüpft rückwärts, doch, an Geiste blind,
Glaubt ihr, vortrefflich geh eu’r Lauf vonstatten.
- Bemerkt ihr nicht, daß wir nur Würmer sind,
Bestimmt zu jenes Schmetterlings Entfaltung,
Des Flug nie der Gerechtigkeit entrinnt.
- Was tragt ihr hoch das Haupt in stolzer Haltung?
Gewürm, das öfters, wenn’s der Pupp’ entflieht,
Verkrüppelt ist zu schnöder Mißgestaltung;
- Wie man zuweilen wohl Gestalten sieht,
Anstatt des Simses tragend Dach und Decken,
Gekrümmt, daß sich das Knie zum Busen zieht,
- Die im Beschauer wahres Leid erwecken
Durch falschen Schmerz – so könnt’ ich jetzo klar
Bei schärferm Hinschau’n jene dort entdecken,
- Den mehr, den minder tiefgebogen zwar,
Als ob die Last hier mehr, dort minder wiege,
Doch der auch, der am meisten duldsam war,
- Schien tränenvoll zu sagen: Ich erliege!
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