- Bei Rückkehr der Erinn’rung, die sich schloß
Vor Mitleid um die zwei, das so mich quälte,
Daß das Bewußtsein mir vor Schmerz zerfloß,
- Erblickt’ ich neue Qualen und Gequälte
Rings um mich her, ob den, ob jenen Pfad
Zum Geh’n und Schau’n sich Fuß und Auge wählte.
- Es war der dritte Kreis, den ich betrat,
Von ew’gem, kaltem, maledeitem Regen
Von gleicher Art und Regel früh und spat.
- Schnee, dichter Hagel, dunkle Fluten pflegen
Die Nacht dort zu durchzieh’n in wildem Guß;
Stank qualmt die Erde, die’s empfängt, entgegen.
- Ein Untier, wild und seltsam, Zerberus,
Bellt, wie ein böser Hund, aus dreien Kehlen
Jedweden an, der dort hinunter muß.
- Schwarz, feucht der Bart, die Augen rote Höhlen
Mit weitem Bauch, die Hände scharf beklaut,
Vierteilt, zerkratzt und schindet er die Seelen.
- Sie heulen, wie die Hund’, im Regen laut,
Und sie verschaffen sich durch öftres Drehen
Auf einer Seite mind’stens trockne Haut.
- Der große Höllenwurm, der uns ersehen,
Riß auf die Rachen, zeigt uns ihr Gebiß
Und ließ kein Glied am Leibe stillestehen.
- Virgil streckt aus die offnen Händ’ und riß
Erd’ aus dem Grund, die in die gier’gen Rachen
Er alsogleich mit vollen Fäusten schmiß.
- Wie’s pflegt ein keifig böser Hund zu machen,
Des Bellen schweigt, wenn er den Fraß erbeißt,
Der wilden Grimm vermocht’, ihm anzufachen;
- So jetzt mit schmutz’gen Schlünden jener Geist,
Der so durchdröhnt die armen Leidensmatten,
Daß jeder hochbeglückt die Taubheit preist.
- Wir gingen über die gequälten Schatten,
Indem wir auf ihr Nichts, das Körper schien,
Im tiefen Schlamm gestellt die Sohlen hatten.
- Sie lagen allesamt am Boden hin,
Nur einen sahn wir sich zum Sitzen heben,
Wie er uns dort erblickt im Weiterziehn.
- Er sprach: "Der du zur Hölle dich begeben,
Erkenne mich, dafern dir’s möglich ist;
Du Iebtest, eh’ ich aufgehört zu leben."
- Und ich zu ihm: "Die Angst, in der du bist,
Zieht dich vielleicht aus meinem Angedenken;
Mir scheint, ich sähe dich zu keiner Frist.
- Wer bist du? Sprich, was konnte dich versenken
In eine Qual, die, gibt’s auch größre Pein,
Nicht widriger kann sein, noch ärger kränken."
- "In eurer Stadt," so sprach er, "die allein
Der Neid erfüllt, und bis zum Überfließen,
Genoß ich einst des Tages heitern Schein.
- Ich bin’s, den Ciacco eure Bürger hießen,
Zur Qual für schnöde Schuld des Gaumens muß,
Du siehst’s, auf mich sich ew’ger Regen gießen.
- Und mich allein nicht züchtigt dieser Guß,
Nein, alle diese leiden gleiche Plagen
Für gleiche Schuld." – So seiner Rede Schluß.
- Und ich: "Mich haben, Ciacco, deine Klagen
Zum Mitleid und zu Tränen fast gerührt.
Allein, wenn du es weißt, so magst du sagen,
- Wohin noch unsrer Stadt Parteiung führt?
Ob wer gerecht ist? Was in diesen Zeiten
In ihr die Glut der wilden Zwietracht schürt?"
- Und er darauf zu mir: "Nach langem Streiten
Kommt’s dort zu Blut, dann treibt die Waldpartei
Die andre fort mit vielen Grausamkeiten.
- Doch in drei Sonnen ist’s mit ihr vorbei,
Neu günstig sind der andern die Gestirne,
Durch eines Mannes Macht und Heuchelei.
- Hoch hebt sie dann auf lange Zeit die Stirne
Und hält den Feind mit großer Last beschwert,
Wie er auch sich beklag’ und sich erzürne.
- Zwei find gerecht dort, aber nicht gehört.
Neid, Geiz und Hochmut – diese drei sind Gluten,
In welchen sich der Bürger Herz verzehrt."
- Als hier des Schattens Jammertöne ruhten,
Sprach ich zu ihm: "Noch weiteren Bericht
Erlaube mir, dir bittend anzumuten.
- Tegghiajo, Farinata, treu der Pflicht,
Arrigo, Rusticucci, Mosca – sage! –
Und andre, nur auf Gutestun erpicht,
- Wo find sie? Welches ist ihr Los? Ich trage
Verlangen, hier ihr Schicksal zu erspäh’n,
Ob’s Himmelswonne sei, ob Höllenplage?"
- Und er: "Sie stürzte mancherlei Vergehn
Zu schwärzern Seelen nach den tiefern Gründen.
Steigst du so tief, so wirst du alle sehn –
- Kehrst du zur süßen Welt aus diesen Schlünden,
Bring’ ins Gedächtnis dann der Menschen mich.
Mehr sag’ ich nicht, mehr darf ich nicht verkünden."
- Scheel ward sein g’rades Aug’ und wandte sich
Nach mir; dann sank er mit dem Haupte nieder,
So daß er ganz den andern Blinden glich.
- Drauf sprach mein Führer: "Nie erwacht er wieder,
Bis er vor englischer Posaun’ ergraust,
Und der Gewalt, dem Sündenvolk zuwider.
- Zum Grab kehrt jeder, wo sein Körper haust,
Empfängt sein Fleisch zurück und die Gestaltung
Und hört, was ewig widerhallend braust."
- Wir gingen langsam fort in schwerer Haltung,
Durch’s Kotgemisch von Schatten und von Flut.
Vom künft’gen Leben war die Unterhaltung.
- Drum ich: "Mein Meister, wird der Qualen Wut
Sich nach dem großen Urteilsspruch vermehren?
Vermindert sich, bleibt sich nur gleich die Glut?"
- Und er: "Gedenk’ an deines Weisen Lehren:
So sehr ein Ding vollkommen ist, so sehr
Wird sich’s im Glücke freu’n, im Schmerz verzehren
- Und kann gleich der Verdammten zahllos Heer
Vollkommenheit, die wahre, nie erringen,
So harrt es doch in jener Zeit auf mehr."
- Wir fuhren fort, im Kreise vorzudringen,
Mehr sprechend, als zu sagen gut erscheint,
Bis hin zum Platz, wo Stufen niedergingen,
- Und fanden Plutus dort, den großen Feind.
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