- Denk’, Leser, wenn dich Nebel je umstrickte,
Auf Alpenhöh’n, durch den, wie durch die Haut
Des Maulwurfs Auge blickt, das deine blickte,
- Wie, wenn der feuchte Qualm, der dich umgraut,
Nun dünn wird und beginnt, sich zu erhellen,
Dann matt hinein das Rund der Sonne schaut;
- Und doch vermagst du kaum, dir vorzustellen,
Wie ich die Sonn’ itzt wiedersah, die sich
Soeben senken wollt’ ins Bett der Wellen.
- So, gleichen Schritts mit meinem Hort, entwich
Ich aus der Wolk’, als wie aus dunkler Klause,
Zum Strahl, der sterbend schon am Strand erblich.
- Phantasie, die du aus ihrem Hause
Weithin die Seel’ entrückst, daß man’s nicht spürt,
Ob ringsumher Trompetenschall erbrause,
- Was regt dich auf, wenn nichts den Sinn berührt?
Das Himmelslicht erregt dich, das hernieder
Von selber strömt, das auch ein Wille führt.
- Die Arge sah ich, die sich im Gefieder
Des Vogels barg, der ewig Reu’ und Gram
Verhaucht im Klang der süßen Klagelieder.
- Und ganz zurückgedrängt ward wundersam
Hier meine Seel’ in sich, zu nichts sich neigend
Und nichts aufnehmend, was von außen kam.
- Darauf erschien, der Phantasie entsteigend,
Ein Mann am Kreuz, so trotzig-stolz wie er
Von Ansehn war, sich auch im Tode zeigend.
- Ich sah dabei den großen Ahasver,
Esther, sein Weib, und Mardochai, den Frommen,
In Wort und Tat so ganz, rund um ihn her.
- Und dieses Bild zersprang, kaum wahrgenommen,
Gleich einer Blase, die mit kurzem Schein
Im Wasser glänzt, wenn sie emporgeschwommen.
- Dann zeigte mein Gesicht ein Mägdelein.
"O Fürstin, Mutter!" rief die Tränenvolle,
"Was wolltest du aus Zorn vernichtet sein!
- Du starbst, daß dein Lavinia bleiben solle.
Bin ich nun dein? Nicht andrer Tod, es zwingt
Der deine mich zu bittrem Tränenzolle."
- Gleich wie der Schlaf in jähem Schreck zerspringt,
Wenn Strahlen an des Schläfers Antlitz prallen,
Doch eh’ er ganz erstirbt, sich sträubt und ringt,
- So sah ich jetzt mein Traumbild niederfallen,
Als mir ein Licht ins Antlitz schlug, so klar,
Wie’s nie zur Erde strömt aus Himmelshallen.
- Ich wandte mich, zu sehen, wo ich war,
Als eine Stimm’ erklang: "Hier müßt ihr steigen!"
Und ich vergaß des andern ganz und gar.
- Sie zwang den Willen, sich dorthin zu neigen,
Zu sehn, wer sprach, und ließ, bis ich belehrt,
Die Unruh’ nicht in meinem Innern Schweigen.
- Wie von der Sonne, die den Blick beschwert,
Durch zuviel Licht ihr eignes Bild bedeckend,
Ward von dem Glanze meine Kraft verzehrt.
- "Ein Himmelsgeist ist’s, uns den Weg entdeckend,
Der aufwärts führt, auch ohne daß wir fleh’n,
Und selber sich in seinem Licht versteckend.
- Wie wir uns selber tun, ist uns gescheh’n,
Denn wer die Not erblickt und harrt der Bitte,
Ist böslich schon geneigt, sie zu verschmäh’n.
- Auf! Solchem Rufe nach mit raschem Tritte!
Wir müssen aufwärts, eh’ das Dunkel naht,
Sonst löst der Tag erst die gehemmten Schritte."
- Mein Führer sprach’s, worauf zum Felsgestad’
Wir, hingewandt nach einer Stiege, gingen,
Und wie ich auf die erste Stufe trat,
- Fühlt’ ich ein Weh’n, wie von bewegten Schwingen
Im Angesicht, und laut erklang’s, mir nah:
"Heil den Friedfert’gen, die den Zorn bezwingen."
- Der Sonne letzte bleiche Strahlen sah
Ich über uns, gefolgt von nächt’gen Schatten.
Und schon erschienen Sternlein hier und da.
- "O meine Kraft, was mußt du so ermatten!"
So dacht’ ich still bei mir, denn ich empfand,
Daß sich entstrickt der Füße Nerven hatten.
- Wir waren auf der höchsten Stufe Rand
Und standen fest, wie angeheftet, dorten,
Gleich einem Kahn in des Gestades Sand.
- Aufmerksam lauscht’ ich erst nach allen Orten,
Ob nichts zu hören sei, und wandte nun
Zu meinem Meister mich mit diesen Worten:
- "Mein süßer Vater, sprich, welch übles Tun
Führt uns zur Läuterung in diesem Kreise.
Laß nicht die Rede, gleich den Füßen, ruh’n."
- "Trägheit zum Guten", Sprach darauf der Weise,
"Zahlt hier die dort gemachten Schulden erst;
Hier wird der träge Rudrer schnell zur Reife.
- Merk’ auf, damit du’s deutlicher erfährst,
Weil ungenutzt sonst unser Stillstand bliebe –
Frucht bringt dein Weilen, wenn du dich belehrst.
- Nicht Schöpfer, noch Geschöpf ist ohne Liebe,
Noch war es je. Du weißt, in der Natur
Und in der Seel’ entkeimen ihre Triebe.
- Nie irrt die erste von der rechten Spur.
Die zweite kann im Gegenstande fehlen
Und bald zu stark sein, bald zu lässig nur.
- Weiß sie zum Ziel das erste Gut zu wählen,
Ist sie beim zweiten nicht zu heiß, zu kalt,
Dann reizt sie nicht zu schlechter Lust die Seelen
- Doch schweift sie ab zum Bösen, ist sie bald
Zum Guten lau, zu eifrig bald im Rennen,
So tut dem Schöpfer das Geschöpf Gewalt.
- So muß die Liebe, wie du wirst erkennen,
In euch die Saat zu jeder Tugend streu’n,
Doch auch zu allem, was wir Laster nennen.
- Nun, weil ob ihres Gegenstands sich freu’n
Die Liebe muß, an dessen Heil sich weiden,
Drum hat kein Ding den eignen Haß zu scheuen.
- Und weil kein Sein sich kann vom Ursein scheiden
Und ohne dieses für sich selbst bestehn,
Muß dies zu hoffen jeder Trieb vermeiden.
- Drum kannst du, folgr’ ich richtig, deutlich sehn:
Dem Nächsten gilt die Liebe nur zum Schlimmen
Und kann aus dreifach schmutz’gem Quell entstehn.
- Der hofft zur Herrlichkeit emporzuklimmen
Durch andrer Fall, und dieses muß zur Lust,
Die Größe zu erniedrigen, ihn stimmen.
- Der Gunst, des Ruhmes und der Macht Verlust
Scheut der, wenn sich ein andrer aufgeschwungen,
Und liebt das Gegenteil mit banger Brust.
- Der ist entrüstet von Beleidigungen,
Drob Durst nach Rach’ in ihm sich offenbart,
Bis ihm dem andern weh zu tun gelungen.
- Ob dieser Liebe von dreifacher Art
Weint man dort unten – jetzt vernimm von Liebe,
Die nicht durch rechtes Maß geregelt ward.
- Nach einem Gute strebt mit dunkelm Triebe
Der Mensch und fühlt, daß seiner Wünsche Glut,
Erreicht’ er’s nicht, ihm unbefriedigt bliebe.
- Die träge Lieb’ ist’s zu dem wahren Gut,
Die säumt, es zu erschau’n, es zu erringen,
Die hier nach echter Reue Buße tut.
- Gut scheinen andre Güter, doch sie bringen
Nicht wahres Glück, sind Stoff und Wurzel nicht,
Aus welchen Früchte wahren Heils entspringen.
- Die Lieb’, auf solches Gut zu sehr erpicht,
Büßt in drei Kreisen oberhalb mit Zähren;
Doch wie sie dreifach irrt von Recht und Pflicht,
- Das sollst du selbst dir suchen und erklären."
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