- Rauhfelsig war der Steig am Strand hernieder,
Ob des, was sonst dort war, der Schauer groß,
Und jedem Auge drum der Ort zuwider.
- Dem Bergsturz gleich bei Trento – in den Schoß
Der Etsch ist seitwärts Trümmerschutt geschmissen,
Durch Unterwühlung oder Erdenstoß –
- Wo von dem Gipfel, dem er sich entrissen,
Der Fels so schräg ist, daß zum ebnen Land,
Die oben sind, den Steg nicht ganz vermissen;
- So dieses Abgrunds Hang, und dort am Rand
War’s, wo von Felsentrümmern überhangen
Sich ausgestreckt die Schande Kretas fand,
- Einst von dem Scheinbild einer Kuh empfangen.
Sich selber biß er, als er uns erblickt,
Wie innerlich von wildem Grimm befangen.
- Mein Meister rief: "Bist du vom Wahn bestrickt.
Als sähst du hier den Theseus vor dir stehen,
Der dich von dort zur HöIl’ herabgeschickt?
- Fort, Untier, fort! Den Weg, auf dem wir gehen,
Nicht deine Schwester hat ihn uns gelehrt,
Doch dieser kommt, um eure Qual zu sehen."
- So wie der Stier, vom Todesstreich versehrt,
Sich losreißt und nicht gehen kann, nur springen.
Und Satz um Satz hierhin und dorthin fährt;
- So sahen wir den Minotaurus ringen,
Drum rief Virgil: "Itzt weiter ohne Rast;
Indes er tobt, ist’s gut, hinabzudringen."
- So klommen wir, von Trümmern rings umfaßt,
Auf Trümmern sorglich fort, und oft bewegte
Ein Stein sich unter mir der neuen Last.
- Ich ging, indem ich sinnend überlegte.
Und er: "Du denkst an diesen Schutt, bewacht
Von Zornwut, die vor meinem Wort sich legte.
- Vernimm jetzt, als ich in der Hölle Nacht
Zum erstenmal so tief hereingedrungen.
War dieser Fels noch nicht herabgekracht.
- Doch kurz eh’ jener sich herabgeschwungen
Vom höchsten Kreis des Himmels, der dem Dis
So edler Seelen großen Raub entrungen.
- Erbebte so die grause Finsternis,
Daß ich die Meinung faßte, Liebe zücke
Durchs Weltenall und stürz’ in mächt’gern Riß
- Ins alte Chaos neu die Welt zurücke.
Der Fels, der seit dem Anfang fest geruht,
Ging damals hier und anderwärts in Stücke.
- Doch blick’ ins Tal, schon naht der Strom von Blut,
In welchem jeder siedet, der dort oben
Dem Nächsten durch Gewalttat wehe tut."
- O blinde Gier, o toller Zorn! eu’r Toben,
Es spornt uns dort im kurzen Leben an
Und macht uns ewig dann dies Bad erproben –
- Hier ist ein weiter Graben, der den Plan
Ringshin umfaßt im weiten runden Bogen,
Wie mir mein weiser Führer kundgetan.
- Zentauren, rennend, pfeilbewaffnet, zogen,
Sich folgend, zwischen Fluß und Felsenwand,
Wie in der Welt, wenn sie der Jagd gepflogen.
- Als sie uns klimmen sahn, ward Stillestand;
Drei traten vor mit ausgesuchten Pfeilen
Und schußbereit den Bogen in der Hand.
- Und einer rief von fern: "Ihr müßt verweilen!
Zu welcher Qual kommt ihr an diesen Ort?
Von dort sprecht, sonst soll euch mein Pfeil ereilen!
- "Dem Chiron sag’ ich in der Näh’ ein Wort,"
Sprach drauf Virgil. "Zum Unheil dich verführend,
Riß vorschnell stets der blinde Trieb dich fort."
- "Nessus ist dieser," sprach er, mich berührend,
"Der starb, als Dejaniren er geraubt,
Die Rache noch vor seinem Tod vollführend.
- Der in der Mitt’ ist, mit gesenktem Haupt,
Der große Chiron, der Achillen nährte;
Dort Pholus, welcher stets vor Zorn geschnaubt.
- Am Graben rings gehn tausend Pfeilbewehrte
Und schießen die, so aus dem Pfuhl herauf
Mehr tauchen, als der Richterspruch gewährte."
- Wir beide nahten uns dem flinken Hauf,
Chiron nahm einen Pfeil und strich vom Barte
Das Haar nach hinten sich mit seinem Knauf.
- Als nun das große Maul sich offenbarte,
Sprach er: "Bemerkt: der hinten kommt, bewegt.
Was er berührt, wie ich es wohl gewahrte.
- Und wie’s kein Totenfuß zu machen pflegt."
Da trat ihm an die Brust mein weiser Leiter,
Wo Mensch und Roß sich einigt und verträgt.
- "Lebendig ist," so sprach er, "der Begleiter,
Der dieses dunkle Tal mit mir bereist;
Notwendigkeit, nicht Neugier, zieht uns weiter.
- Von dort, wo Gott ihr Halleluja preist,
Kam eine her, dies Amt mir aufzutragen.
Er ist kein Räuber, ich kein böser Geist.
- Doch, bei der Kraft, durch die ich sonder Zagen
Auf wildem Pfad im Schmerzensland erschien.
Gib einen uns von diesen, die hier jagen.
- Daß er die Furt uns zeig’, und jenseits ihn
Trag auf dem Kreuz ans andere Gestade,
Denn er, kein Geist, kann durch die Luft nicht zieh’n."
- "Auf, Nessus, leite sie auf ihrem Pfade,"
Rief Chiron rechts gewandt, "bewahre sie,
Daß sonst kein Trupp der unsern ihnen schade."
- Da solch Geleit uns Sicherheit verlieh,
So gingen wir am roten Sud von hinnen.
Aus dem die Rotte der Gesottnen schrie.
- Bis zu den Brauen waren viele drinnen.
"Tyrannen sind’s, erpicht auf Gut und Blut,"
So hört’ ich den Zentauren nun beginnen,
- "Jetzt heulen sie in ihrer Qualen Wut.
Den Alexander sieh und Dionysen,
Der auf Sizilien Schmerzensjahre lud.
- Die schwarzbehaarte Stirn sieh neben diesen,
Den Ezzelin – und jener Blonde dort
Ist Obiz Este, der, wie’s klar erwiesen,
- Vertilgt ward durch des Rabensohnes Mord."
Den Dichter sah ich an, der sprach: "Der Zweite
Bin ich, der Erste der, merk’ auf sein Wort."
- Und weiter gab uns Nessus das Geleite
Zu Volke, das, bis an des Mundes Rand
Im heißen Sprudel, heult’ und maledeite.
- Und seitwärts zeigt er einen mit der Hand:
" Der macht’ einst am Altar das Herz verbluten,
Das man noch jetzt verehrt am Themsestrand."
- Und viele hielten aus den heißen Fluten
Das ganze Haupt, dann Brust und Leib gestreckt,
Auch kannt’ ich manchen in den nassen Gluten.
- Stets seichter ward das Blut, so daß bedeckt
Am Ende nur der Schatten Füße waren,
Und dorten ward des Grabens Furt entdeckt.
- Da sagte der Zentaur: "Du wirst gewahren,
Wie immer seichter hier das Blut sich zeigt.
Jetzt aber, will ich, sollst du auch erfahren,
- Daß dort der Grund je mehr und mehr sich neigt.
Bis wo die Flut verrinnt in jenen Tiefen,
Woraus das Seufzen der Tyrannen steigt.
- Gerechter Zorn und Rache Gottes riefen
Dorthin der Erde Geißel, Attila,
Pyrrhus und Sextus; und von Tränen triefen.
- Von Tränen, ausgekocht vom Blute, da
Die beiden Rinier, arge Raubgesellen,
Die man die Straßen hart bekriegen sah –"
- Hier wandt’ er sich, rückeilend durch die Wellen.
|