- Trieb jähe Flucht auch alles, was vereinigt
Beim Sänger war, zerstreut jetzt durch den Plan
Dem Berge zu, wo die Vernunft uns peinigt,
- Doch drängt’ ich mich dem treuen Führer an.
Wie könnt’ ich ihn auch bei der Reife missen?
Wie kam ich wohl ohn’ ihn den Berg hinauf?
- Er schien gepeinigt von Gewissensbissen.
würdig reine Seele, wie empört,
Wie quält der kleinste Fehler dein Gewissen!
- Als seines Laufes Eil’ nun aufgehört,
Bei welcher Würd’ im Anstand nimmer waltet,
Da ward mein Geist, verengt erst und verstört,
- Zum Streben neu erweitert und entfaltet,
Und, das Gesicht dem Berge zugewandt,
Sah ich, dem Himmel zu, ihm hochgestaltet.
- Die Sonne, hinter mir in rotem Brand,
War vor mir, nach Gestaltung und Gebärde,
Gebrochen, da mein Leib ihr widerstand.
- Und bang, daß ich allein gelassen werde,
Kehrt’ ich mich schleunig seitwärts, da ich sah,
Beschattet sei vor mir allein die Erde.
- "Was argwöhnst du" begann mein Tröster da,
Zu mir gewandt, erratend, was ich dachte,
"Glaubst du, ich sei dir nicht, wie immer, nah?
- Dort liegt der Leib, in dem ich Schatten machte,
An Napels Strand, den jetzt schon Nacht umflicht,
Wohin man einst von Brindisi ihn brachte.
- Beschatt’ ich jetzt vor mir die Erde nicht,
So staune nicht darum – deckt doch der Schimmer
Des einen Himmels nie des andern Licht.
- Dergleichen Körper schafft der Herr noch immer,
Damit sie dulden Hitz’ und Frost und Pein,
Doch wie er’s macht, entschleiert er uns nimmer.
- Tor, wer da hofft, er dring’ in alles ein
Mit der Vernunft, selbst in endlose Sphären,
Wo er, der Ew’ge, einer ist in drei’n.
- Strebt, Menschen, doch das Wie nicht aufzuklären;
Denn wär’s gestattet, alles zu erschau’n,
Nicht brauchte dann Maria zu gebären.
- Wohl mancher dürft’ auf seinen Geist vertrauen,
Dem noch die Sehnsucht, alles zu erkunden,
Geblieben ist zu ewiglichem Grau’n.
- Du weißt, wo wir den Plato aufgefunden
Und manchen sonst." Er schwieg, die Stirn geneigt,
Und alle Heiterkeit schien ihm geschwunden.
- Wir kamen hin, von wo man aufwärts steigt.
Dort oben ist der Fels so steil gelegen,
Daß sich kein Raum zu einem Dritte zeigt.
- Der rauhste von den öden Felsenwegen
Inmitten Lerci und Turbia schmiegt
Sich sanft und leicht, stellt man ihn dem entgegen.
- "Wer weiß, zu welcher Hand der Hang sich biegt."
Der Meister sprach’s und hielt jetzt ein im Schreiten,
"So daß auch der hinauf kann, der nicht fliegt?"
- Er ließ indes den Blick zum Boden gleiten
Und nahm im Geist des Pfades Prüfung wahr.
Doch ich sah aufwärts nach des Berges Seiten,
- Und da erschien mir linksher eine Schar,
Die schien so langsam zu uns her zu schweben,
Daß kaum Bewegung zu bemerken war.
- "Laß," sprach ich, "Meister, deinen Blick sich heben,
Die Rat erteilen können, nahen schon,
Dafern du nicht vermagst, ihn selbst zu geben."
- Frei schaut’ er auf, und alle Sorgen floh’n.
"Nur langsam". sprach er, "geht ihr Gang vonstatten,
Drum gehn wir hin. Getrost jetzt, süßer Sohn!"
- Wir waren noch entfernt von jenen Schatten
Und ihnen etwa steinwurfweit genaht,
Als wir getan an tausend Schritte hatten.
- Da drängten alle sich ans Felsgestad
Und standen still und dicht, uns zugewendet,
Wie wen Bedenken hemmt auf seinem Pfad.
- "O Auserwählte, die ihr wohl geendet,"
Begann Virgil, "wie einst euch Friede jetzt,
Den, wie ich glaube, Gott euch allen spendet,
- So zeigt uns des Gebirges Abhang jetzt
Und laßt uns einen Weg nach oben sehen,
Denn Zeitverlieren schmerzt den, der sie schätzt."
- Gleichwie die Schäflein aus dem Stalle gehen,
Eins, zwei und drei, indessen noch verzagt
Die andern mit gebeugten Köpfen stehen,
- Bis was das erste tat, nun jedes wagt,
Wenn jenes harrt, geduldig die Beschwerde
Des Drangs erträgt und nach dem Grund nicht fragt;
- So sah ich jetzt von der beglückten Herde
Die vordem sich bewegen und uns nah’n,
Das Antlitz züchtig, ehrbar die Gebärde.
- Wie sie das Licht zur Rechten meiner Bahn
Geteilt und, als des Erdenleibes Zeichen,
Die Felsenwand von mir beschattet sahn,
- Sah ich sie stehn und etwas rückwärts weichen.
Die andern wußten zwar nicht, was gescheh’n,
Doch alle taten sie sofort desgleichen.
- "Ohn’ eure Frage will ich euch gestehn,
Noch einem Menschen ist der Körper eigen,
Von welchem ihr das Licht geteilt gesehn.
- Doch laßt Verwunderung und Staunen schweigen;
Nicht ohne Kraft, die Gott nur geben kann,
Sucht er die schroffe Wand zu übersteigen."
- Mein Hort sprach’s, und die würd’ge Schar begann,
Uns mit der Hände Rücken Zeichen gebend:
"Kehrt wieder um und schreitet uns voran!"
- Und einer drauf, zu mir die Stimm’ erhebend:
"Wer du auch seist, blick’ um, mich anzuschau’n,
Besinne dich: Sahst du mich jemals lebend`?"
- Ich wandt’ auf ihn die Augen voll Vertrau’n.
Blond war er, schön, von würdigen Gebärden,
Doch war gespalten eine seiner Brau’n.
- Demütig sagt’ ich, daß ich ihn auf Erden
Niemals gesehn; da aber hieß er mich
Aufmerksam auf die Wund’ am Busen werden,
- Und lächelnd sprach er dann: "Manfred bin ich!
Wenn dich zur Welt zurück die Schritte tragen,
Zu meiner Tochter geh, ich bitte dich,
- Die unterm Herzen jenes Paar getragen,
Das Aragonien und Sizilien ehrt,
Ihr Wahres, wenn man andres sagt, zu sagen.
- Als zweimal mich durchbohrt des Feindes Schwert,
Da übergab ich weinend meine Seele
Dem Richter, der Verzeihung gern gewährt.
- Oh groß und schrecklich waren meine Fehle,
Doch groß ist Gottes Gnadenarm und faßt,
Was sich ihm zukehrt, so daß keiner fehle.
- Und wenn Cosenzas Hirt, der sonder Rast,
Wie Clemens wollte, mich gejagt, dies eine
Erhabne Wort der Schrift wohl aufgefaßt,
- So lägen dort noch meines Leibs Gebeine
Am Brückenkopf bei Benevent, vom Mal
Geschützt der schweren aufgehäuften Steine.
- Nun netzt’s der Regen, dorrt’s der Sonnenstrahl,
Dort, wo er’s hinwarf mit verlöschten Lichten,
Dem Reich entführt, entlang dem Verdetal.
- Doch kann ihr Fluch die Seele nicht vernichten,
Aus welcher nicht die frohe Hoffnung weicht,
An ew’ger Liebe neu sich aufzurichten.
- Wahr ist’s, daß, wer im Kirchenbann erbleicht,
War’ auch zuletzt in ihm die Reu’ entglommen,
Doch dieser Felswand Höhe nicht erreicht,
- Bis dreißigmal die Zeit, seit ihm genommen
Der Kirche Segen ward, verflossen ist,
Kürzt diese Zeit nicht ab das Fleh’n der Frommen.
- Sieh, ob du mir zum Heil gekommen bist,
Wenn du Konstanzen, wie du mich gesehen,
Entdeckst und ihr verkündest jene Frist,
- Denn viel gewinnt man hier durch euer Flehen."
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