- Lang’ eh’ wir noch, so fahr’ ich fort, zu sagen,
Dem Fuß des hohen Turms uns konnten nah’n,
War unser Blick zur Zinn’ emporgeschlagen,
- Weil wir zwei Flämmchen dort entzünden sah’n,
Als Rücksignal ein andres, So entlegen,
Daß es das Auge kaum noch könnt’ erfah’n.
- Da kehrt’ ich meinem Weisen mich entgegen:
"Was ist dies? Welch ein Zeichen wohl bezweckt
Das dritte Feu’r? Wer sind sie, die’s erregen?"
- Und er zu mir: "Sieh hin, dein Aug’ entdeckt.
Was unsrer harrt, dort auf den schmutz’gen Wogen,
Wenn dir’s der Qualm des Sumpfes nicht versteckt."
- Und rasch, wie ich den leichten Pfeil vom Bogen
Je fortgeschnellt durch hohe Lüfte sah,
Kam durch das Moor ein kleiner Kahn gezogen.
- Bald war er uns am grauen Strande nah,
Obwohl von einem Rud’rer nur gefahren,
Der schrie: Verruchte Seele, bist du da?
- "Phlegias, Phlegias, du magst dein Schreien sparen,"
So sprach mein Herr, "umsonst ist’s angestimmt;
Wir sind nur dein, solang’ wir überfahren."
- Wie wer von einem großen Trug vernimmt,
Den man ihm angetan zu Schmach und Schaden,
So zeigte Phlegias wild sich und ergrimmt.
- Mein Führer stieg ins Schiff von den Gestaden,
Und zu sich setzen hieß er mich sodann,
Und als ich drin war, schien es erst beladen.
- Sobald wir beid’ uns eingesetzt, begann
Des Nachens Fahrt und furchte tiefre Zeilen,
Als er mit andrer Bürde furchen kann.
- Indessen wir die tote Moorflut teilen,
Kommt einer, kotbedeckt, vor mich und spricht:
"Wer heißt dich vor der Zeit herniedereilen?"
- "Ich komme," sprach ich, "aber bleibe nicht.
Doch wer bist du, So widrig und abscheulich?" –
"Ein Heulender, dies sagt dir dein Gesicht." –
- Und ich: "Denkst du, dein Heulen sei erfreulich?
Vermaledeiter Geist, fort, weg von mir!
Ich kenne dich, sei noch so wild und greulich !"
- Die Hände streckt’ er nun zum Kahn voll Gier,
Und mit Gewalt mußt’ ihn mein Herr verjagen,
Der sprach: "Mit andern Hunden, weg von hier!"
- Drauf hielt er seinen Arm um mich geschlagen
Und küßte mich und sprach: "Erzürnter Geist,
Beglückt die Mutter, welche dich getragen!
- Stolz war im Leben dieser – niemand preist
Von ihm nur einen guten Zug auf Erden,
Daher er hier sich noch in Wut zerreißt.
- Viel Fürsten gibt’s dort, die sich stolz gebärden,
Die, Schmach nur hinterlassend, wie die Sau’n,
Im Schlamme hier auf ewig wühlen werden."
- Und ich: "Begierig war’ ich wohl, zu schau’n,
Wie er in diesem Schlamme tauchen müßte,
Eh’ wir verlassen diesen See voll Grau’n."
- Und er zu mir: "Bevor sich noch die Küste
Dir sehen läßt, erfreut dich der Genuß.
Befriedigung gebühret dem Gelüste."
- Bald sah ich, wie zu Qual ihm und Verdruß
Die Kotigen mit ihm beschäftigt waren,
Drob ich Gott loben noch und danken muß.
- Frisch, auf Philipp Argenti! schrien die Scharen;
Dann sah ich, selbst sich beißend, auf sie los
Den tollen Geist des Florentiners fahren.
- Und dies erzähl’ ich nur von seinem Los.
Ich ließ ihn dort und hört’ ein Schmerzensbrüllen
Und macht’, um vorzuschau’n, die Augen groß.
- "Bald wird sich, Sohn, dir jene Stadt enthüllen,"
So sprach mein guter Meister, " Dis genannt,
Die scharenweis’ unsel’ge Bürger füllen."
- Und ich: "Mein Meister, deutlich schon erkannt
Hab’ ich im Tale jener Stadt Moscheen,
Glutrot, als ragten sie aus lichtem Brand."
- Drauf sprach mein Führer: "Ew’ge Flammen wehen
In ihrem Innern, drum im roten Schein
Sind sie in diesem Höllengrund zu sehen."
- Bald fuhren wir in tiefe Gräben ein,
Den Zugang sperrend zu dem grausen Orte;
Die Mauer schien von Eisen mir zu sein.
- Dann aber hörten wir des Steurers Worte,
Nachdem vorher wir auf dem Pfuhle weit
Umhergekreuzt: "Steigt aus, hier ist die Pforte."
- Wohl tausend standen auf dem Tor bereit,
Vom Himmel hergestürzt. Es schrien die Frechen:
"Wer wagt’s, noch lebend, voll Verwegenheit
- Ins tiefe Reich der Toten einzubrechen?"
Mein Meister aber, ihnen winkend, lud
Sie klüglich ein, ihn erst geheim zu sprechen.
- Da legte sich ein wenig ihre Wut.
Sie sprachen: "Komm allein, laß gehn den Toren,
Der hier hereindrang mit so keckem Mut.
- Find’ er den Weg, den sich sein Wahn erkoren,
Allein zurück – erprob’ er doch, wie er
Sich durch die Nacht führt, wenn er dich verloren."
- Und nun bedenk’, o Leser, wie so schwer
Mich der Verdammten Rede niederdrückte,
Denn ich verzweifelt’ an der Wiederkehr.
- "Mein teurer Führer, du, durch den mir’s glückte,
Daß ich gerettet ward schon siebenmal,
Des Schutz mich drohender Gefahr entrückte,
- Verlaß mich", sprach ich, "nicht in dieser Qual,
Und darf ich auch nicht weiter vorwärts dringen,
So komm mit mir zurück durchs dunkle Tal."
- Und er, befehligt, mich hierher zu bringen,
Sprach: "Fürchte nichts; erlaubt hat unsern Gang
Er, dem nichts wehrt, drum wird er wohl gelingen.
- Hier harre mein, und ist die Seele bang,
So magst du sie mit guter Hoffnung speisen,
Denn nicht verlass’ ich dich in solchem Drang."
- So ging er. – ich, getrennt von meinem Weisen,
Dem süßen Vater, fühlte Ja und Nein
Beim Zweifelkampf in meinem Haupte kreisen.
- Nicht hört’ ich, was sein Antrag mochte sein,
Allein er blieb bei jenem Volk nicht lange,
Denn alle rannten in die Stadt hinein
- Und schlugen ihm das Tor im wilden Drange
Vorm Antlitz zu und sperrten ihn heraus.
Da kehrt’ er sich zu mir mit schwerem Gange.
- Den Blick gesenkt, die Brau’n verstört und kraus,
Ließ er in Seufzern diese Worte hören:
"Wer schließt mich von der Stadt der Schmerzen aus ?"
- Und dann zu mir: "Nicht mög’ es dich verstören,
Wenn du mich zürnen siehst – ich siege doch,
Wie keck sie auch dort drinnen sich empören.
- Schon früher stieg ihr kecker Mut so hoch,
An einem Tor, nicht so geheim gelegen,
Und ohne Schloß und Riegel heute noch,
- Am Tor, von dem die schwarze Schrift entgegen
Dem Wandrer droht – doch diesseits schon von dort
Kommt, ohne Leitung, auf den dunkeln Wegen
- Ein andrer her und öffnet uns den Ort."
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