- Schwer kämpft der Wille gegen bessern Willen,
Drum zog ich ungern jetzt vom Quell den Mund,
Weil er es wünscht’, ohn’ erst den Durst zu stillen.
- Wir gingen einen Weg, wo frei der Grund
Zum Gehen war, entlang dem Felsgestade,
Gleich engem Steg am Mauerzinnenrund.
- Denn jene Schar, die sich im Tränenbade
Vom Übel, das die Welt erfüllt, befreit,
Versperrt’ uns mehr nach außen hin die Pfade.
- Du alte Wölfin, sei vermaledeit!
Kein Tier erjagt sich Beute gleich der deinen,
Doch bleibt dein Bauch noch endlos hohl und weit.
- O Himmel, dessen Kreislauf, wie wir meinen,
Der Erde Sein und Zustand wandeln soll,
Wann wird der Held, der sie vertreibt, erscheinen?
- Wir gingen langsam fort und mühevoll
Ich, horchend, als aus jener Schatten Mitte
Ein jammervoller Klageton erscholl.
- "Maria, Süße!" klang’s vor meinem Schritte,
Und wie ein kreißend Weib zu jammern pflegt,
So kläglich schien der Ruf der frommen Bitte.
- "Du warst so arm!" so sagt’ es dann bewegt,
"Der Armut sehn wir jene Kripp’ entsprechen,
In welche du die heil’ge Frucht gelegt."
- "Fabricius, Wackrer!" hört’ ich’s weiter sprechen,
"Tugend mit Armut schien dir mehr Gewinn
Als der Besitz des Reichtums mit Verbrechen."
- Gar wohl gefiel mir dieser Rede Sinn,
Und um zu sehn, wer von den Felsenbänken
Sie ausgesprochen, wandt’ ich mich dahin.
- Und weiter sprach er noch von den Geschenken,
Die Nikolaus gemacht den Mägdelein,
Um sie zum Weg der Ehre hinzulenken.
- "O Geist, der du so wohl sprichst," fiel ich ein,
"Sprich jetzt, wer warst du und aus welchem Grunde
Erneust du hier so würd’ges Lob allein?
- Nicht unbelohnt soll bleiben solche Kunde,
Kehr’ ich zurück zum Rest der kurzen Bahn
Des Lebens, das da eilt zur letzten Stunde."
- Und er: "Nicht will von dort ich Hilf empfah’n,
Doch red’ ich, denn mir strahlt im hellen Lichte
Die Huld, die Gott dir vor dem Tod getan.
- Des Baumes Wurzel bin ich, der in dichte
Umschattung hüllt die ganze Christenheit,
Von dem man selten nur pflückt gute Früchte.
- Doch wäre schon die Rache nicht mehr weit,
Wenn Macht Gent, Brügge, Lille und Douai hätten,
Auch bitt’ ich drum des Herrn Gerechtigkeit.
- Hugo bin ich, der Stammherr der Capetten,
Philipp’ und Ludwige, die auf den Thron
Des schönen Frankreichs jetzt sich üppig betten.
- Als ich lebt’ in Paris, ein Metzgersohn,
Erstarb der Königsstamm in allen Zweigen,
Und nur noch einer lebt’ in Schmach und Hohn;
- Da macht’ ich mir des Reiches Zaum zu eigen,
Und so vermehrt’ ich meine Macht alsdann,
So sah ich sie durch Land und Freunde steigen,
- Daß den verwaisten Thron mein Sohn gewann,
Von welchem nach dem Walten ew’ger Mächte
Die Reihe der Gesalbten dort begann.
- Bis der Provence Mitgift dem Geschlechte
Der Meinen nicht die heil’ge Scham entriß,
Galt’s wenig zwar, allein vermied das Schlechte.
- Seitdem verübt’ es Tat der Finsternis,
Log, raubt’ und stahl, worauf’s, aus Reu’ und Buße,
Die Normandie und Ponthieu an sich riß.
- Karl kam nach Welschland, und, aus Reu’ und Buße,
Köpft’ er den Konradin und sandte drauf
Den Thomas heim zu Gott, aus Reu’ und Buße.
- Bald bricht ein andrer Karl im vollen Lauf,
Denn besser sollt ihr seine Sitt’ erkennen
Und seines Stammes Art, aus Frankreich auf.
- Zur Rüstung wird er nicht sich Zeit vergönnen,
Und nur mit Judas Lanze, so, daß dir,
Florenz, der Wanst platzt, in die Schranken rennen.
- Nicht Land, nur Sünd’ und Schmach gewinnt er hier.
Und trägt er sie gar leicht und unbefangen,
So wird er einst noch mehr gedrückt von ihr.
- Ein andrer Karl, im Seegefecht gefangen,
Verschachert, wie die Sklavin der Korsar,
Die Tochter, um das Kaufgeld zu empfangen.
- Ach, was vermagst nicht du, o Geiz! Sogar
Sein eignes FIeisch beut, schmählich überwunden
Von deiner Macht, mein Blut zum Kaufe dar.
- Doch ist der Frevel schon in nichts verschwunden;
Ich seh’ Alagna, wo die Lilie weht!
Seh’ im Statthalter Christum selbst gebunden.
- Seh’ ihn drauf verspottet und geschmäht!
Seh’ ihn aufs neue Gall’ und Essig schmecken!
Seh’ ihn, der unter Räubern dann vergeht!
- Den grimmigen Pilatus seh’ ich schrecken
Und, noch nicht satt, ihn, ohne Kirchenschluß,
Die gier’ge Hand nach Kirchengütern strecken.
- Gott, was säumt dein Rächerarm? Was muß
So lang’ an mir gerechter Unmut nagen?
Die Frevler strafend, stille den Verdruß! –
- Du hörtest mich vorhin von jener sagen,
Die einzig ist des Heil’gen Geistes Braut,
Und dies beweg dich, nach dem Grund zu fragen.
- Von ihr erklingt das Flehen leis und laut
Beim Tageslicht, doch von den Gegensätzen
Tönt unsre Klage, wenn die Nacht ergraut.
- Dann denken wir Pygmalions mit Entsetzen,
Der ein Verwandtenmörder ward, ein Dieb
Und ein Verräter aus Begier nach Schätzen;
- Des Midas, der so lang im Elend blieb,
Das jedem, der ihn sah, weil’s ihn nicht freute,
Als er die Gier gestillt, zum Lachen trieb;
- Des tollen Achan auch, des Diebs der Beute,
Der, wie es scheint, noch hier nicht tragen kann
Des Josua Zorn, der ihm im Leben dräute.
- Sapphiren tadeln wir und ihren Mann
Und loben den, der hinwarf Heliodoren;
Den ganzen Berg umkreist mit Schande dann
- Polynestor, der totschlug Polydoren.
Zuletzt erklingt es: Crassus, sprich, wie schmeckt
Das Gold, das du zur Lieblingsspeis’ erkoren?
- Der redet laut, der leis und unentdeckt,
Je wie der Drang des Leids, das wir erproben,
Uns minder oder mehr erregt und weckt.
- Ich sprach vom Heil, das wir am Tage loben,
Hier nicht allein, nur daß zu lautem Klang,
Die mir hier nah sind, nicht die Stimm’ erhoben."
- Wir richteten nun vorwärts unsern Gang,
Nachdem wir diesen Schatten kaum verlassen,
So schleunig, als es nur der Kraft gelang.
- Da aber zitterten des Berges Massen,
Als stürz’ er hin, und Furcht erfaßte mich,
Wie sie den, der zum Tod geht, pflegt zu fassen.
- Nicht schüttelte so heftig Delos sich,
Eh, beide Himmelsaugen zu gebären,
Dorthin zum sichern Nest Laton’ entwich.
- Rings braust’ ein Ruf, um meine Furcht zu mehren,
Doch näher trat zu mir mein Meister da:
"Ich führe dichl – was magst du Sorgen nähren?"
- Und könnt’ ich aus den Stimmen, die mir nah •
Erklangen, recht das ganze Lied verstehen,
Klang’s: Deo in excelsis gloria!
- Wir blieben staunend, gleich den Hirten, stehen,
Die diesen Sang zum erstenmal gehört,
Und ließen Erdenstoß und Lied vergehen.
- Doch dann, zum heil’gen Weg zurückgekehrt,
Sahn wir die Schatten, die am Boden lagen,
Schon wieder vom gewohnten Leid beschwert.
- Noch nie bekämpften sich mit solchen Plagen
In mir Unwissenheit und Wißbegier,
Mag ich auch forschend die Erinnrung fragen:
- Wonach ich grübelnd je gespäht? – wie hier.
Nicht fragen dürft’ ich, denn er ging von hinnen,
Und nichts erklären könnt’ ich selber mir;
- So ging ich schüchtern fort in tiefem Sinnen.
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