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95.

Basel, 14. Mai 1889.

Es ist hohe Zeit, Ihren werten Brief zu beantworten, nicht dass ich Wesentliches zu melden wüsste, allein Sie sollen wenigstens ein Lebenszeichen haben.

Mit meiner Wenigkeit geht's schon längere Zeit den Tagen zu, von welchen es heisst, sie gefallen mir nicht, und ich muss froh sein, dass ich einstweilen meine fünf wöchentlichen Stunden Kunstgeschichte ohne grosse Beschwerde vortragen kann Noch bis Frühjahr 1893 konnte B. dozieren. Am 8. August 1897 setzte ein Herzschlag seinem Leben ein Ende..

Wie schwer Ihnen Ihre Knechtschaft fallen muss, kann ich mitempfinden, und bei einer Bureauarbeit einen ganzen langen Tag nach dem andern würde ich schon in meinen grünen Zeiten krank geworden und gestorben sein. Und dabei hat man eine ungeheure Majorität von Menschen um sich, welche gar nichts anderes wissen und meinen, man sollte glücklich sein, eine solche Stellung zu haben. Dazu nun noch das Geschmacksleiden, wenn man sich in »deutscher Renaissance« bewegen muss und dabei das Bewusstsein hat, dass diese Mode vielleicht in ziemlich kurzer Zeit mit Krach aus der Welt weichen wird. Vielleicht schon in zehn Jahren mag diese Erker, Voluten, Obelisken etc. weder Hund noch Ratze mehr fressen, und mit der Wagnermusik könnte es ebenso gehen.

Inzwischen erlebt man allerlei Sachen, und wir wollen nur hoffen, dass der westfälische Riesenstreik nicht auch rheinaufwärts bis Frankfurt züngele.

Mir geben manchmal in der Schweiz die Versammlungen für Eisenbahnprojekte zu denken, von welchen wöchentlich in den Zeitungen die Rede ist, indem radikales Nest A mit dito B sich per Eisenstrang verbinden will, während wir in der ganzen Schweiz keinen Span Steinkohlen produzieren. Von der leichtfertigen Gründung von Fabriken nicht zu reden. Und von unserer Politik vollends nicht. Gegenwärtig hat der Bundesrat heimlich schwere Sorgen wegen des Wohlgemuthandels, an welchem von Norden aus etwas angezettelt wird. Hier wird's dann mit Beredsamkeit nicht getan sein. Nach meiner Ansicht hat sich W. absichtlich fangen lassen, dies aber glaubt mir hier noch niemand.

15. Mai.

Nächster Tage trete ich mein zweiundsiebzigstes Jahr an, oder es tritt eigentlich mich an, denn das Alter kassiert uns ein wie einen Besitz. Wenn mir nun die Welt und ihr Lauf einigermassen abschmeckend zu duften beginnen, so nehme ich dies allerdings auf mich als Schuld meiner hohen Jahre, wenn ich nur nicht hören müsste, dass auch Leute, die dreissig Jahre jünger sind, bereits finden, es sei »nimmer schön«.

An der Pariser Ausstellung ergötzt mich sehr, dass Reklame und Verblüffung so völlig gelungen sind und dass man das Ausbleiben ganzer Nationen schon deshalb gar nicht bemerkt, weil andere Nationen, die noch mehr Geld ausgeben, z. B. Amerikaner, ganz Paris bis unter den Hohlziegel ausfüllen. Die Tour Eiffel als riesiger Dubel-Magnet Magnet für Toren. erweist sich jetzt als richtige Spekulation. Andererseits liesse sich freilich einwenden, dass man doch schon sehr musste se battre les flancs, um so etwas zu machen; welche great attraction müsste man das nächste Mal erfinden?

Indes dafür mag die Zukunft sorgen, die ja noch für so viel anderes wird zu sorgen haben.

Leben Sie wohl, lieber Herr und Freund, und lassen Sie sich wenigstens einen Augenblick hier sehen.

Ihr getreuer
J. Burckhardt.

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