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25.

Bologna, Sonntag, 25. Aug. 78.

Ich bin hier schon vierundzwanzig Stunden früher eingetroffen, als ich vorgehabt hatte, und beginne nun im Vorrat einen Brief an Sie. Seit ich vorletzten Donnerstag von hier aus an Sie schrieb, habe ich sämtliche Nester an der Eisenbahn abgeweidet: Imola, Forlì, Cesena, Rimini, Pesaro, Fano, Ancona und Loreto, freilich nicht in dieser Reihe, sondern teils im Kommen, teils auf der Rückreise, nur Sinigaglia liess ich beiseite, weil fiera war, und Faenza, weil ich gestern wirklich an Nestern genug hatte und dringend nach einer komfortabeln grossen Stadt verlangte.

Zu sehen und zu meditieren ist überall genug, und selbst das ärmste dieser Nester, Imola, hat dies und jenes, aber dabei ein schauderhaftes Pflaster. Und dabei wurde es allgemach wieder heiss, wenn auch in gnädigem Masse, aber man kann sich in den Nestern mit den ganz elenden Caféhäusern, meist ohne Eis, nicht befreunden. Glücklicherweise liess mich von Forlì bis Ancona ein ganz herrlicher Wein nicht aus den Augen, der Sangiovese; man sitzt etwa auf einer engen Gasse in köstlichem nächtlichem Zugwind und schlürft das Ding langsam in Stunden aus und schwatzt dazu. Überhaupt habe ich auf dieser Reise an Konversation keinen Mangel gehabt und noch vorgestern in Fano von acht bis gegen Mitternacht auf der Piazza mit einem reichen Kaufmann aus Bologna konversiert, welcher in Deutschland und sonst überall gewesen und eifriger Wagnerianer war; Mariani, der verstorbene Operndirektor von Bologna, war sein intimer Freund und hatte ihm bei der Bologneser Aufführung des Lohengrin Eintritt in alle Proben verschafft! Hier zum erstenmal lernte ich einen gebildeten Italiener frevelhaft objektiv über Rossini, Bellini und Verdi reden, dass mir die Haare zu Berge standen. Den Wagner nahm er von einer mystisch-psychologischen Seite, man könne ihn nur geniessen durch völlige Hingebung und Versenkung, d. h. durch das Gegenteil von dem, was sonst in Italien als Theatergenuss passiert. Und dabei schöpfte ich im Stillen die tröstliche Hoffnung, dass sich die Italiener diese Vorbedingung schon nie werden gefallen lassen. Freilich wies er darauf hin, dass die jetzigen jüngern italienischen Komponisten bereits bei Wagner in die Schule gingen. Worauf ich im Stillen wieder dachte: kein Wunder, dass kaum eine haltbare Oper per Jahr entsteht und alle nach einem kurzen succès de réclame wieder untertauchen, höchstens einige komische Opern ausgenommen. Überhaupt war ich innerlich gegen alle seine Reden gefeit, weil ich an jenem Donnerstag, da ich an Sie schrieb, die Norma noch einmal gehört hatte, und zwar vor wohl eintausendvierhundert lautlos stillen Zuhörern, sintemal Festtag (Assunta) war. – Forlì musste ich besonders wegen Fresken sehen; in Rimini sind S. Francesco und der Arco d'Augusto, wovon ich Ihre Zeichnung besitze, doch höchst erstaunlich; von S. Francesco habe ich eine ganze Anzahl von Photographien des Innern (Kapelleneingänge, Teile der Pfeiler, Grabmäler) bekommen können. Daneben nahm mich das Seebad in Anspruch, und zwar wurde ich inne, dass Seebäder, in der Mitte des Tages und bei glorreichem hohem Wellenschlag genommen, eine ganz seriöse Sache sind und für den Rest des Tages den Sterblichen studierfaul machen. (Beiläufig: die Stadt Rimini hat für luxuriöse Einrichtungen der Bäder samt Hotels usw. eine Million aufgenommen, die sich nun doch nicht verzinst, und nun kann man im lokalen Käseblatt täglichen Jammer darüber lesen. Auch Ancona hat sich überbaut und heult nun.) In Ancona war ich wieder, wie im Jahre 1847, entzückt von dem Trajansbogen und der Loggia de' mercanti; ausserdem aber würde ich die tollmajestätischen beiden Barockpforten am Arsenal und gegenüber gezeichnet haben, wenn ich nicht zum Skizzieren allen Mut verloren gehabt hätte. Die eine davon, der Arco Clementino, ist gradezu das Nonplusultra. Ausserdem aber muss in Ancona eine Porta Pia existieren, welche der römischen gleicht und von der ich nur die Photographie erwarb; denn in der Hitze von Tor zu Tor zu gehen, das brachte ich nicht über mich. – Loreto, wo Sie, scheint mir, nicht gewesen sind, ist voll von Belehrung; zunächst der köstliche Hügel mit frischer Luft und laufender Fontäne, dann diese gotisch begonnene Kirche, über welche dann alle Stile gekommen sind, und endlich diese Reihe von Skulpturen! Die Einzelphotographien der Santa Casa spottwohlfeil; die etwa fünf Propheten und Sibyllen, die einzeln zu haben sind, nur 15 Centesimi.

Sonntag abend.

Von Pesaro aus ging ich nach Monte Imperiale, welches ich nicht hätte versäumen dürfen, und welches, wie Sie wissen, schon durch die herrliche Aussicht lohnt. Wenn das fertig geworden wäre! Hier hat endlich einer das Enorme gedurft, wie seit dem Architekten weiland Ihrer Maj. Semiramis, der die hängenden Gärten baute, niemand mehr. Aber ich mache keine solchen Landpartien mehr; es wird zu unsicher. Vorgestern abend ist hier, ganz nahe vor Bologna, eine Stunde nach Sonnenuntergang der Conte Aldrovandi in seinem Chaislein von ein paar Camorristen angefallen, nach seiner Villa begleitet und dort um mehr als tausend Lire erleichtert worden. Es geht hier überhaupt kuriosen Häusern zu: Romagna ist unterhöhlt von der Internationale. Aber auch sonst in Italien bringt das systematische laisser aller et laisser faire merkwürdige Blasen an das Tageslicht. Die heutige Epoca (von Genua) bringt folgende tragische Karikatur: man sieht Hödel, der den drei entsetzten Kaisern seinen abgehauenen Kopf hinhält und dazu sagt: Insensati, ihr glaubt auf diese Weise den Sozialismus zu köpfen, statt dessen solltet ihr die reichen Kapitalisten zwingen di associare il loro denaro al lavoro! (d. h. ihr Geld den Wackesen zu verehren). Es wird freilich noch eine Weile dauern, bis hierzulande der stark eingewurzelte Optimismus Pater peccavi singt.

Wenn sie nur keine solchen Tierquäler wären! Da ist zunächst das Fahren dicker alter Kerle auf zweirädrigen Karren mit Eseln! man haut beständig auf das Tier (welches offenbar nicht stark genug ist und ganz gewiss durch einen frühern Tod dem Eigentümer die nötige Belehrung bringt). – Dann fährt am Sonntag abends il Sgr. Marchese mit einem netten Rösslein so horrend schnell als möglich irgendeinen Korso von Bologna entlang, indem er beständig mit der Peitsche auf das zierliche Tier haut, damit seine werte Person sich ja vor den Weibsleuten in einem beständigen prestissimo präsentiere. Ich darf sagen, dass im ganzen Norden ein solches Schauspiel unmöglich wäre. Daneben war aber in einer Bottega eine Riesenschildkröte zu sehen, und ich dachte, es könne etwa ein gutgehaltenes Tier sein und zahlte meine 10 Centesimi. Es war in der Tat ein kolossales Beest, mit einem Kopf wie ein starker Kindskopf, am 6. Juli in Korsika gefangen. Nur freilich hatte sie dabei einen Hieb oder Schuss über den Rücken bekommen, und der Eigentümer erklärte einem Herrn, der Spass werde nicht mehr lange dauern, indem sie eine cancrena (gangrène) habe. Ich dachte an die Notiz vom tat twam asi bei Schopenhauer Viertes Buch von Welt als Wille und Vorstellung § 63: Der Mythos von der Seelenwanderung lehrt, dass alle Leiden, welche man im Leben über andere Wesen verhängt, in einem folgenden Leben auf eben dieser Welt, genau durch dieselben Leiden wieder abgebüsst werden müssen; welches so weit geht, dass, wer nur ein Tier tötet, einst in der unendlichen Zeit auch als eben ein solches Tier geboren werden und denselben Tod erleiden wird. und hätte dem Kerl gern eins über das Gesicht versetzt. – Kurz vorher sah ich, wie sich Gross und Klein um ein elegantes Schaufenster drängte und dachte: hier werde vielleicht wieder ein Tier gequält? Aber die Sache war viel unschuldiger: es waren ganz neumodische Bonbons auf Pariser Manier ausgestellt. Dieser Tage ist ja in Mailand ein schwerer Betrug vorgekommen, nur weil ein Wackes Bonbons fressen wollte. Aber anständige Herren und Damen würden doch jenseits der Alpen kein solches Schaufenster so naiv belagern. Sehen Sie, das sind les petites misères de la vie italienne.

Montag, 26. August.

Bologna ist wiederum von göttlicher Anmut und Schönheit; gestern durchging ich nur an Via Galliera die Paläste und Kirchen Stück für Stück und hatte reichlich zwei Stunden nötig nur zum Bummeln, denn Notizen mache ich keine mehr. Mein eigentlicher Liebling aber ist Palazzo Zucchini, unmittelbar hinter dem Hotel d' Italie, mit einfach phantasievollem Hof und einer Treppe vom Süssesten, was es gibt, die Dekoration erst nobler Louis XVI., oben ein ovaler Ausblick gegen ein lichtes Deckengemälde.


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