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58.

Basel, 10. Okt. 1881.

Es ist die höchste Zeit, Ihren Brief vom 14. Sept. zu beantworten. Inzwischen hat man in ganz Europa die bekannte Kälte ausstehen müssen; auch aus der Lombardie lautete es »nasskalt«, erst seit vorgestern abend ist es wieder etwas besser und ich schreibe wieder bei offenem Fenster.

Dass Sie ein aquarellistisch-perspektivisches Entzücken in St. Germain l'Auxerrois empfunden haben, wundert mich nicht. Je nachdem dort das Sonnenlicht spielt, ist es im Chorumgang sehr malerisch. – In Versailles habe ich seinerzeit nur die Zeremonienräume der Marie Antoinette gesehen, welches sehr grosse und hohe Zimmer gegen das Bassin des Suisses hin sind, und wäre nun sehr begierig, auch die kleinen intimen Stübchen zu sehen. Das Musée Historique (mit Ausnahme der Gipsabgüsse nach alten historischen Denkmälern und der echten gleichzeitigen gemalten Porträts berühmter Leute) gebe ich Ihrer Gleichgültigkeit herzlich gerne preis, indem ich dieselbe teile. Wie haben so manche Historienschmierer ihren guten Louis Philippe exploitiert, Horace Vernet nicht ausgenommen! Hätten sie aber doch nur auch ihre Farben nicht beim ersten besten Händler gekauft! Und ihre Bindemittel! Alles reisst ja und dunkelt nach und wird taub. Wenn einmal das zwanzigste Jahrhundert die Kunstgeschichte des neunzehnten zu schreiben für der Mühe wert halten wird, das gibt eine schöne Suppe. Auch die Berühmtesten arbeiten, als ob es für die Bilder kein Lendemain gäbe. Wenn die betreffende Bestellung gesichert, oder wenn auf einer Exposition der Ankauf eines Gemäldes durchgesetzt ist, so ist es den Leuten ganz gleich, wenn das Werk noch bei ihren Lebzeiten verdirbt; sie fühlen nicht, dass sie selbst dabei – moralement parlant – bei lebendigem Leibe faulen. Wenn Sie wieder nach Versailles kommen, so geben Sie im obersten Stockwerk acht: dort sind nicht nur gleichzeitige wichtige Porträts aller Art, sondern in einem kleinen Saal Crayon-Porträts der berühmten Generale der Republik, höchst wahr und ungeschmeichelt und ohne Pathos; dort sieht man, von was für Kerlen sich hat müssen Europa malträtieren lassen, wie sie waren, ohne alle »erhöhte Auffassung«.

Ihre Pilgerfahrt bei den Architekten in Paris wird hoffentlich ihre Früchte tragen; dergleichen gehört nun einmal zu Ihrem Lebenslauf. Trösten Sie sich mit denjenigen Zelebritäten, welche in die Académie de France wünschen aufgenommen zu werden und bei neununddreissig Kollegen die Runde machen müssen, um sich zu empfehlen.

Geymüller war hier auf der Hin- und Rückreise nach und von Achern. Mit Staunen bemerkte ich auf seinen schwarzen Haaren einen sehr deutlichen Anflug von Grau und besann mich dann erst, dass sich in dem Alter, das er jetzt geniesst, das gleiche Phänomen bei mir gemeldet hatte. Er hat vor, diesen Winter in Florenz alle dortigen architektonischen Zeichnungen zu untersuchen, und lebt mitten im Strom der eifrigsten Forschungen. – An allen Enden, aus allen Kunstzeitungen und Prospektussen sehe ich, wie ungeheuer ich in der Kunstgeschichte zurückbleibe und zum verlassenen Provincial einschmorre, der aber dennoch an einer kleinen Universität beinebens den Professor der Kunstgeschichte vorstellen muss. Wenn einer kommt, der mehr leistet, er kann diesen Teil meines Amtes haben.


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