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Basel, Ostern 1881.
Ich habe abgewartet mit dieser Antwort, bis Sie Rue Jouffroy eingezogen sein würden, und begrüsse Sie hiemit im neuen Logis, welches Sie hoffentlich wieder genesen von Ihrem Unwohlsein werden betreten haben.
Vom Tribut de Zamora Von Gounod. haben wir inzwischen den dubiosen Erfolg in den Zeitungen gelesen, und nun wird es sich ja zeigen, ob er die kritische zwanzigste Vorstellung überlebt; kann er das, so lebt er von selber noch längere Zeit weiter, und im Grunde hängt wohl alles davon ab, ob die Krauss heiser wird oder nicht. Ich wartete mit jeglichem Urteil, bis ich dasjenige von Filippi, dem wirklich zuverlässigen Musikfeuilletonisten der Mailänder Perseveranza fand – und da hiess es eben doch: auf der gelungenen Seite Faust, Romeo, Philemon und Baucis und Mireille – auf der andern alles übrige und auch besagter Tribut de Zamora.
Dass im Aquarellmalen die Ficelle eine grosse Rolle spielt und einer dem andern seine Effekte noch anders absieht als beim Ölmalen, bin ich seiner Zeit schon in Berlin und in Italien innegeworden. Die Einmischung von Gouache rächt sich mit der Zeit auf das Empfindlichste, wenn die Blätter nicht geschlossen, sondern unter Glas und Rahmen aufbewahrt werden. Zum Musée des arts décoratifs gratuliere ich den Parisern bestens; wahrscheinlich wird dabei weniger (wie im Southkensington-Museum) die Vollständigkeit als der Geschmack und l'exquis die Richtschnur sein. Übrigens hat dies Aufstöbern aller vergangener Stile und Techniken doch auch seine traurige Seite; es ist, als ob der heutigen Dekoration doch auch gar jeder Schatten von selbständigem Elan und Überzeugung abhanden gekommen wäre. Namentlich alles, was im weitesten Sinn encadrement heisst, wird jetzt aus den hintersten Winkeln entlehnt. Welches innere Glück und welcher Jubel sieht da noch aus dem alten Rokoko hervor!
Es ist mir in gewissem Sinne ganz lieb, dass Sie über das von gewissen hiesigen ehemaligen Parisiens so sehr überschätzte Pariser Klima schimpfen, nicht dass ich es nicht Ihnen besser gönnte. Wir haben hier unter Furcht und Zittern einen gelinden und sogar oft schönen März und April verlebt, und gerade heute ist einer der schönsten Ostertage, deren ich mich entsinne. Aber Furcht und Zittern dauern bei erfahrenen alten Leuten wie ich bin bis Ende Mai.
Ihre Runde um Paris war beneidenswert. Dergleichen habe ich allenfalls im alten Paris unter Louis Philippe 1843 hie und da versucht, per Omnibus und zu Fuss, bei allen seitherigen Aufenthalten aber hat die Zeit nie mehr recht zu solchen Exkursionen reichen wollen; ich bleibe immer in der Mitte des Nestes hocken. Es freut mich, dass Sie die Kuppel des Val de Grâce mehr lieben als die vermeintlich so klassische des Pantheon, welche einzig von der Wirkung ihrer Säulenhalle, aber gar nicht von ihrem Gesamtkontur lebt.
Wegen unserer Typhustoten müssen Sie sich keine Sorge mehr machen; das Ding ist in Abnahme, und es sind fast gar keine bekannten Leute gestorben. – Letzten Mittwoch hat man den 80jährigen H.-I. begraben; dieser aber starb nicht an Typhus, sondern wie gesunde alte Leute an Lungenentzündung.
Lassen Sie bald wieder etwas hören, namentlich davon, welche Wendung ihr architektonisches Schicksal inzwischen genommen hat. Wenn Sie etwa jetzt schnell einen Besuch in Basel machten, könnten Sie nächsten Sonntag den neuen Grossen Rat wählen helfen. Die Aussichten sind zwar nicht schlimm, aber eine Stimme mehr wird nie verachtet, und man bekäme Sie bei diesem Anlass wieder zu sehen.