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87.

Basel, Freitag, 28. Mai 1886.

Ich will noch in aller Eile Ihren fünf Wochen alten Brief beantworten, bevor Sie in persona an meine Tür klopfen. In diesem meinem letzten kompletten Semester habe ich es eben ziemlich sauer und bin abends, nachdem ich für den folgenden Tag mein Material repetiert habe, zu wenig mehr nütze. Aber von heut in zwei Monaten halte ich meine letzte historische Stunde und mache dann ein grosses Kreuz an die Bühne. Die Decke.

Dass dieser Tage hier von Böcklin eine grosse Pietà ausgestellt gewesen ist, bevor sie auf die Ausstellung nach Berlin ging, werden Sie aus der Zeitung wissen. Was Sie aber nicht wissen werden, ist, dass der »Volksfreund« unter lauter Phrasen der höchsten Bewunderung doch das Museum sehr nachdrücklich von einem eventuellen Ankauf des Bildes abmahnte. Wer mag wohl hier dahinterstecken? Mich geht's nichts mehr an, ich bin längst nicht mehr Mitglied der Kommission und betrete keine Ausstellung, aber neugierig wäre ich doch, zu wissen, wer jener Mahner gewesen ist. Das Bild ist laut Zeitung von heute abend inzwischen bereits in Privatbesitz übergegangen.

B. ist nach seiner Rückkehr von Paris mit schweren Rheumatismen nach Baden-Baden gegangen. Das hat man vom Übernachten auf dem Eis 10 000' über Meer und anderen Taten seiner Bergperiode. Ich werde auch nicht ewig gesund bleiben, aber wenigstens wegen des Gebirgswahnsinns wird keine Krankheit über mich kommen. Für meine Ferien hat Dr. O. bereits wieder von Baden-Baden gesprochen, da aber mein Rheumatismus fort ist, habe ich im Sinn, mich zu wehren. Wenn ich bis Ende Juli gut zuwege bin, sollte ich durchaus nach Belgien, um alte Flandrer, Rubens und Architektur in meinem greisen Gedächtnis aufzufrischen. Auch Metz und Trier sollte ich durchaus wiedersehen und dito Aachen.

Samstag.

Dass Sie so verparisert sind, ist ein rechtes Glück für Sie, nur wäre zu wünschen, dass nicht gar zu schlimme Hände das Schicksal der Stadt und ganz Frankreichs in ihre Gewalt bekämen. Es kann eben auch in Paris passabel unleidlich werden, wie freilich vielleicht auch hier in Basel. Doch rechne ich für mich so: wenn es hier ganz schlecht würde, so würde es auch in allen andern für mich und mein Greisenalter bewohnbaren Städten kaum besser sein. Wenn aber nur von gewöhnlichen Zeiten die Rede sein soll, so bin ich über die Illusion hinaus, als ob die Menschen hier besser oder schlimmer wären als dort. NB. Vor einigen Tagen habe ich mein neunundsechzigstes Jahr angetreten.

Was die Salons betrifft, so kann man sich ja in den Feuilletons gegenwärtig kaum retten; wo Euer Pariser Salon aufhört, fängt die Berliner Riesenausstellung an. Wie friedlich kann man leben, wenn man gar nichts liest. Gerne hätte ich die Exposition Baudry gesehen, denn für diesen Maler habe ich Sympathie, seit ich vor langen Jahren seine Venus mit Amor im Luxembourg gesehen und später seine Malereien in der Oper und anderswo. Seine Weibsleute sind vornehm und doch sans prétention; es ist der Maler, der mich wirklich an Paolo Veronese erinnert, während so Unzählige gerne an ihn erinnern möchten und nicht können. Wenn doch nur ein Pariser Verleger auf die Idee käme, eine wohlfeile Edition aller Kompositionen Baudrys, in Kontur oder leicht schattiert, unter die Leute zu bringen. Denn er hält den Kontur aus, und heute hat man ja ohnehin alle möglichen Methoden, die Zeichnungen zu faksimilieren.


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