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62.

Basel, 6. März 1882, und 7.

Das V.sche Ballfest wird Ihnen wohl bereits von berufener Seite geschildert worden sein. Ich für meine Person machte dort, wie natürlich, nur eine kurze Apparition und verschwand um 10 Uhr, um nach Veltlinien zu pilgern. Jedermann aber bedauerte, dass Sie das V.sche Haus nicht an diesem Abend gesehen haben; es stellte wirklich sehr viel vor. Die Musik war im Vestibüle.

Dieser Tage hörte ich Wagners Rienzi mit obligatem Lärm; das ganze Ding lebt von Meyerbeer (zumal Hugenotten) und auch von Donizetti.

Ihre Entdeckungsreisen im Louvre werden Sie noch weit und immer weiter führen, und Sie werden allgemach immer mehr beachtenswerte Dinge finden, die Sie »noch nie gesehen« haben, wie Ihr Brief vom 3. Febr. sich ausdrückt. – In den Landschaften der spätern Italiener (Pierfrancesco Mola, Pietro da Cortona usw.) haben Sie den Reiz entdeckt, der den meisten Kunsterichen entgeht, weil diese sich von der ungenügenden Auffassung des Figürlichen, der Affektation im Dramatischen abschrecken lassen. Pietro da Cortona hat oft herrliche Bergzüge und eine deliziöse feuchte Luft; leider hat ihm öfter das Durchschlagen des Bolus-Grundes Schaden getan wie den meisten Malern jener Zeit, zumal dem Nikolas Poussin. – Von Tizian sind im Louvre nicht einmal die allerschönsten landschaftlichen Gründe; gehen Sie einmal bei guter Jahreszeit nach London, nur für ein paar Tage, um der National-Gallery willen!

Vom Katzenmaler Lambert hat seither ein umständlicher Artikel im Figaro gehandelt. Es ist nun freilich fatal, dass der gute Mann seine Katzen-Veine so rasch ausbeuten muss; als Holländer vor zweihundertundfünfzig Jahren lebend, würde er bis ins vorgerückte Alter mit ruhiger, gleichmässiger Anstrengung ein Katzenmotiv nach dem andern entwickelt und dafür gesorgt haben, dass die zirka dreissig unbedingten Kunstfreunde, welche Holland damals besass, mit Geduld und Warten der Reihe nach bedient worden wären. Sein letztes Bild aber wäre vielleicht so wertvoll geworden wie eines seiner mittleren Zeit. Das verläuft heutzutage alles ganz anders.

Dass die coiffure à la chien noch immer floriert, ist doch zu stark. Man kann ja auch wohl diese Mode mit Geschmack tragen, wie denn (seit meinen Gedenkzeiten wenigstens) das Tun und Merito der Damen darin bestanden hat, meist ganz scheussliche Moden durch vielen Goût erträglich zu machen. Aber warum sich alle diese Moden gefallen lassen? – Ich habe ein lebhaftes Vergnügen, zu sehen, wie Ihnen jetzt über alles Mögliche die Augen aufgehen und der reiche Malergenuss am Seienden und seiner Erscheinung beginnt.

Die Nike von Samothrake kannte ich bisher nur in ihrer sehr ungünstigen Aufstellung beim Übergang aus der Halle des Karyatides in die grosse Halle; dort im Halbdunkel war sie kaum verständlich. Es ist jedenfalls ein Kapitalstück, die Stiftung eines Königs der Diadochenzeit. Anderes gewaltig Bewegtes aus jener Zeit lerne ich jetzt aus dem Altar von Pergamon kennen, wovon ich mir die grössern Photographien habe kommen lassen. Die Archäologen vom Fach sind schon damit beschäftigt, auch diese Sachen mit Phidias zu vergleichen und dabei herunterzumachen. Wenn die nur irgendwo Verfall nachweisen können, dann sind sie glücklich.

Dass Ihnen über Prudhon Lichter aufgehen, der eine Oase in der Zeit des Empire war, ist sehr schön von Ihnen. – Jene schändlich langweiligen Zeitgenossen hatten bisweilen eine Ahnung von ihrem innern néant; David sass einst mit einem seiner Schüler vor seinem Leonidas und sagte endlich: »Vois-tu, c'est toujours le vieux chien!«

Von Ihrem Palasthof en terrasse könnten Sie mir wohl mit drei Strichen eine Idee geben! Ferner, ob Hochformat oder Breitformat? – für Phantasiearchitekturen ist Hochformat günstiger! – ferner: suchen Sie im Louvre alle Hoch- und Quer-Ovalbilder auf und durchdringen Sie sich mit dem betreffenden Gesetz; – ferner: grossartigen Barocco bei Mondschein studieren! – ferner: in irgendeinem Kupferwerk die Ihnen so gut bekannte Gloriette von Schönbrunn wieder ins Gedächtnis rufen. – Sie sehen, ich werde ein recht unverschämter Ratgeber.

Sonst passiert hier nichts. In der ganzen Welt aber geht's bei jeder miserabeln Wahl immer deutlicher nach links, und wenn irgendwo nicht geneuert und zerstört wird, so ist das Pack unzufrieden. Irgend eine partielle Genesung hilft zu nichts mehr und ist nur eine kleine Pause. Die grosse, auch für uns schreckliche Veränderung, wie ich sie kommen sehe, kennen Sie.


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