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75.

Basel, 16. Dez. 1883.

Es ist hohe Zeit, dass ich Ihnen wieder einmal schreibe, obgleich hier nichts Erwähnenswertes vorgefallen ist. Aus Ihrem vom 26. Nov. ersehe ich, dass Sie die Feuilletons der Allg. Schw. Ztg. mit meinen Reden gelesen haben. Was das Schicksal der griechischen Künstler betrifft, so habe ich noch lange nicht ganz von der Leber weg sprechen dürfen B. hatte am 30. Okt. 1883 in einem Aulavortrag über die Griechen und ihre Künstler gesprochen., sonst würde das heillose Geschwätz, welches damals – in Gestalt von Staat und Philosophie – die Bühne einnahm, noch etwas deutlicher charakterisiert worden sein. Ich werde mit dem Alter immer »einseitiger« in gewissen Überzeugungen, u. a. darin, dass mit der Demokratie in Griechenland der Tag des Unterganges heraufgestiegen sei. Ein paar Jahrzehnte lebte noch die grosse aufgesparte Kraft fort, genug, um die Illusion zu erzeugen, als wäre sie das Werk der Demokratie gewesen. Hernach hatte es geschellt, und nur die Kunst hat die spätere schauderhafte Weiterentwicklung des griechischen Lebens überdauert; am Schatten der Missachtung der Künstler ist sie bei Kräften geblieben.

Zu den Baracken im Tuilerienhof sind also auch noch die der conversion de la rente gekommen, wie Sie melden. Wenn nur nicht besagte Rente so kläglich tief stände, tiefer als seit langen Jahren! – Dass das jetzige Gouvernement am Louvre nur noch Geld verschleudert, anstatt ein grosses neues Museum zu bauen, sieht ihm und seiner Situation ähnlich. Und zwischen alle Misere und all die gefährlichen Pfuschereien in Tonkin hinein immer wieder ein paar Massregeln Kulturkampf und diese gottsjämmerliche Majorität! für alles durch dick und dünn zu haben, wie die in unserm Grossen Rat!

Um die grosse Séance im Institut sind Sie doch zu beneiden, da Sie an einem Abend eine solche Anzahl von Celebritäten haben abtun können; und inkognito, ohne vorgestellt werden zu müssen, was für mich ein wahrer Schrecken ist, indem ich immer fürchte, solche Leute fänden, ich tue ihnen nicht genug Ehre an, während ich in Todesangst schwebe, zu wenig getan zu haben. Voriges Jahr in Berlin war ich ein paarmal in solchen Sorgen und fühlte mich erst glücklich, als ich im Schnellzug nach Dresden sass.

Für Geymüller mache ich in verlorenen Stunden weiter die Vorarbeit zur fünften Auflage des Cicerone. Es sind eine Menge Bagatellen zu verbessern, hie und da auch schwerer Unsinn zu entfernen, der durch elende Korrektur der spätern Auflagen in das Buch gekommen ist, denn bei der ersten Auflage korrigierte ich sorgsam. Das Buch sieht mich jetzt freilich recht fremd an.

Wir haben – für unsere Ihnen wohl bekannten Verhältnisse – eine glänzende Opernsaison; die Meissner ist auf ihrer Sonnenhöhe, und neulich hörte ich sie zweimal als Philine in Mignon ganz wunderbar.

Von Ihrem Studium möchte ich wahrhaftig gern einmal eine Anschauung haben. Es ist eine Ewigkeit, seit ich lebenden Künstlern aus dem Wege gehe, weil ich teure Erfahrungen nicht umsonst gemacht haben will. Bei Ihnen wäre ich nun persönlich sicher und könnte viel lernen. Aber meine Route im nächsten Jahr – NB. wenn Friede bleibt und ich gesund bleibe – geht nicht nach Paris, sondern entweder nach Wien oder wieder nach Italien, und zwar nach der mittlern Lombardie, wo ich con amore und mit allem wünschbaren Zeitaufwand sämtliche Städte rings um Mailand abweiden möchte. Und zwischen hinein immer wieder nach Mailand ins San Michele. Ich nenne dies zum voraus meine Greisentour nach Italien.


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