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London, Donnerstag, 31. Juli 1879 abend
Paris and Europe Hotel Leicester Square.
Die Reise war sehr einfach und glücklich; am Dienstag früh drei Stunden Paris, dann den Dienstag und den Mittwoch früh Amiens, dann Calais und eine superbe Überfahrt in 93 Minuten nach Dover, und gestern abend schon vor sechs war ich hier im Hotel.
Heute Southkensington-Museum, und zwar von halb elf bis halb sechs, doch so, dass ich mir dazwischen die gute Restauration im Museum selber recht wohlschmecken liess und dann draussen noch eine kleine Zigarre konsumierte, ehe ich wieder ans Besehen ging.
Es war die höchste Zeit, dass ich London wiedersah; das Dozieren von Kunstgeschichte hat ein Loch, wenn man diesen erstaunlichen Irrgarten von kombinierten Sammlungen nicht kennt. Das Gebäude selbst ist in den vollendeten Teilen von einer enormen Opulenz; ganze Partien, deren Säulen (und zwar nach aussen, dem Freien zu) mit dreifachen Ringen von reich figurierten Reliefs geschmückt sind, während gerade etwa der betreffende Saal im Innern z. B. nur eine Serie von Kachelöfen aus dem Schwarzwald usw. in sich birgt. Überhaupt ist viel Häfelimärt Geschirrmarkt, wie an der Basler Messe. mit aufgestellt, u. a. die ganze Ausbeute Schliemanns, dann das ganze Vasentum von Japan. Aber oben die Kartons Rafaels und die vierge aux candelabres u. a. m. Von Originalarbeiten Michelangelos eine ganze Anzahl, darunter der Cupido, anderes in Abgüssen. Von Luca della Robbia bald so viel als in Florenz, von den grossen florentinischen Skulpturenschulen die grösste und herrlichste Auswahl von Originalen, ja ein ganzes Chorgewölbe einer Sakristei von Brunellesco, ganze Altäre und Grabmäler in Abgüssen, ganze Portale im Original, und endlich in kolossalem Gipsabguss das riesige dreiteilige Portal von Santiago de Compostella. – Aber heut war ein sog. Studientag, an welchem Kunstbeflissene in diesem Museum zeichnen sollten, denn dazu und in dieser Hoffnung wurde es eigentlich gegründet. Der Teufel soll mich aber holen, wenn mehr als sechs Menschen zeichneten. Alle möglichen Kunsttechniken macht man sich zu eigen, ob aber den Engländern im grossen der Geschmack und das Masshalten beizubringen ist, weiss ich im grossen und ganzen doch nicht. – Beim Southkensington-Museum wird noch ein riesiges Naturalienmuseum in mächtigem normannisch-romanischem Stil gebaut, mit vier Türmen, wie eine rheinische Kathedrale. Es ist nämlich die höchste Zeit, das Britische Museum von den Naturaliensammlungen zu befreien und es ganz dem Altertum zu überlassen.
Die Teuerung hier ist nicht so enorm, und nachdem die Anschaffungen und Einrichtungen des Anfangs vorüber sind, hoffe ich, mit 20 Franken im Tag durchzukommen und vielleicht damit noch des Abends meinen halben Liter sog. Bordeaux herauszuschlagen. Die unterirdischen Stadtbahnen sind spottwohlfeil. Aber für Sie ist London nichts, man muss sich eben doch den Tag über viel Unbequemes gefallen lassen.
Heut abend, als ich um sechs Uhr von Southkensington herkam, geriet ich in eine kleine Restauration mitten im gewühlvollen Strand, welche Kleopatra-Restaurant heisst, indem man durch ein enges Gässchen gegen die Themse hin gerade die neuaufgestellte Nadel der Kleopatra sieht. Ich ging nach Genuss einer herrlichen Oxtail-Suppe und einer dito Sole hinunter, um den Obelisken in der Nähe zu sehen. Soviel ich mit Mühe von den Hieroglyphen entziffern konnte, hiess es: auf der einen Seite: Alles in der Welt soll man in Ägypten werden, nur nicht König und nicht einmal Vizekönig, es rentiert nicht. 2. Dass ich seiner Zeit einen wüsten Lebtag geführt, ist eine der vielen Lügen der Geschichte. 3. In Alexandrien haben mich die Hunde angebrinzlet, was sie hier wohl bleiben lassen, und doch war's dort amüsanter als hier zwischen lauter Mr. Smith und Hodgson und Dobson usw. 4. (war nicht mehr lesbar).