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7.

Dresden, Samstag, 24. Juli 1877,
Hotel Stadt Wien.

Von meinen Bemühungen und Anstrengungen erhole ich mich, indem ich zu Ihnen hinschwatze und erzähle, wie es mir bisher gegangen ist. Auch habe ich das Glück, einen Tisch in meinem Zimmer zu besitzen, welcher im Verhältnis zum Sitz genau richtig hoch genug ist, während ich in Rom an einem Katzentischlein schreiben musste, welches kümmerlich und dabei um zwei Zoll zu hoch war. Aber Rom war eben doch Rom und Dresden ist herrlich, aber nur Dresden.

Samstag früh nach leidlich durchschlafener Schnellzugnacht in Frankfurt. Heftiges Palastbauen von Juden und andern Gründern, jetzt auch in deutscher Renaissance, die unser Freund Lübke zu Ehren gebracht hat. Es versteht sich, dass man unter diesem Prätext allerlei plumpes Zeug einschmuggelt; wer überhaupt nichts Schönes kann, kann es in keinem Stil, und wer keine echte Phantasie hat, dem helfen alle »Motivchen« nichts. Aber auch was in italienischer Renaissance gebaut wird, ist bei allem Reichtum zum Teil grässlich, z. B. grosse mit vortretenden Halbsäulen und Giebeln eingefasste Fenster ohne allen und jeglichen Sockel. Und vollends das Klassische!

Denn die reichen Jüden
Baun mit Karyatiden,

was sich dann gar schön ausnehmen muss, wenn auf dem Balkon zwischen die entlehnten Pandroseionsfrauen die Kalle und das Schickselchen und der Papa mit ihren bekannten Nasen vortreten. Die Karyatiden der Korenhalle am Erechtheion, mit dem das Pandroseion, das offene Heiligtum der Kekropstochter Pandrosos mit dem heiligen Ölbaum, in Verbindung stand. Dann gibt es Fassaden, die wie eine Szene bei Richard Wagner in verschiedene grell abwechselnde kleinere Stücke zerfallen. Wäre es nur herrenlose, aber doch wirkliche Phantasie! Statt dessen findet man viele Geschicklichkeit. Hie und da kommt auch wohl etwas wirklich Geniales vor, aber das Herrschende ist, wie ich oben sagte. – Nachmittags nach Marburg, drei Stunden gebummelt und St. Elisabeth gesehen und mich in meinem alten Respekt bestärkt vor Leuten des dreizehnten Jahrhunderts, deren Bauten wie lebendige Pflanzen aus dem Boden hervorgewachsen scheinen. Abends spät nach Cassel, wo ich dann fünf Tage, bis vorgestern abend, blieb und die Galerie studierte. Da ich auf dieser Reise meine Bleistiftnotizen jetzt immer sogleich auf eine Menge einzelner Blätter umschreibe, sobald ich im Gasthof bin, so geht der Tag auf das arbeitsamste dahin; ich muss es so machen, weil ich nach der Rückkehr in Basel materiell die Zeit nicht mehr hätte, die Notizen umzuschreiben. Von den erstaunlichen Schätzen der Galerie ein andermal; aber ich glaube, Sie kennen Cassel überhaupt nicht, und diese Lage sollten Sie sehen: Der eine Rand der Stadt läuft über einer hohen Terrasse hin, von welcher man über die Bäume eines stundenlangen Parkes hinweg die entferntem Höhen und Bergzüge sieht; man ist himmelhoch über einem endlosen Abgrund von Grün. Die Abende sitzt man im sog. Felsenkeller, d. h. ein Teil der Terrasse ist ein mächtiges Bierlokal, wo auch ehrbares weibliches Cassel mit Strickstrumpf in Masse erscheint; alldort erwartete ich zwei Abende das Aufgehen des Vollmondes hoch über der gewaltigen nebligen Waldnacht. Und ausser dieser Herrlichkeit, die schon Cassel für Waldfreunde zum Aufenthalt der Wonne macht, dann erst noch die Wilhelmshöhe, auf welche ich einen Abend wandte. Dagegen hat das Bauwesen der landgräflichen Zeit etwas sehr Mässiges. Die Gebäude an dem dafür viel zu grossen Friedrichsplatz sind alle zu niedrig und könnten einen grossen Sockel mehr brauchen; man möchte ihnen zurufen: alleh hopp! macht euch aus dem Boden hervor! In der Mitte des Platzes steht gross von Marmor ein alter Landgraf, der einst zwölftausend Hessen an die Engländer in den amerikanischen Krieg verkauft hat, wo sie dem König von England Nordamerika verlieren halfen; der Schädelbau und der gebietende Ausdruck und die ursprüngliche klassische Form des Kopfes herrschen noch mächtig vor über etliche Verquollenheit und ein zweites Kinn, dagegen reicht es nicht mehr gegenüber einem Schmerbauch in römischer Tunika und einem einwärtstretenden Knie von der lächerlichsten Wirkung.

Von den bescheidenen landgräflichen Parkbauten würde die Orangerie Sie doch entzücken; sie ist für die aufgewandten Mittel doch ein malerisch treffliches Gebäude. – Das moderne reiche Cassel hat einige gute Sachen in derbem und schönem Backstein, dann etliche horribel riskierte Balkonfassaden neueren Berliner Stiles usw.; viel mehr Üppiges en somme als in Basel jemals wird erlaubt werden. – Bei der grässlichen Gasthofteuerung in Norddeutschland drängt sich in Cassel alles in das Hotel zum Ritter, wo die Handlungsreisenden hingehen und wo man noch erträglich geschunden wird; da habe ich aber fünfmal Table d'hôte ausstehen und dabei Ihrer gerechten Antipathie gedenken müssen! Es kam vor, dass ich mich hernach in den Park hinunterstürzen musste, um wenigstens keine dieser Menschen mehr zu sehen, um zwischen den Marmorstatuen der Barockzeit zu verkehren, wo die geraubte Proserpina alle fünf Finger in die Luft streckt und ruft: wo seid ihr denn, all ihr übrigen Götter? – Einen weisen Ausdruck hörte ich doch an der Table d'hôte; ein Commis voyageur von Jahren pflegte von seiner Lebensweise zu erzählen: »Ich tue das und das und gehe dahin und dahin, es ist so mein Gewohnheitsprinzip.« Diesen wunderschönen Wortzentauren habe ich mir gemerkt.

Das im Bau fertige, innen noch unvollendete neue Museum in Cassel ist endlich ein wirklich schönes und edles Gebäude – nur leider an der Tür hat der Architekt die gottverdammten Karyatiden wieder nicht verheben können. Vorgestern abend bei prächtigem Wetter fuhr ich nach Leipzig; es lag wieder Staub auf den Strassen. Etwas Ostwind war in der Luft, man hoffte auf gute Erntetage (was jetzt alles wieder zunichte geworden; die Flutregen haben von neuem angefangen). Auf der Fahrt, bei Rossla, zeigte man mir den Kyffhäuser, wo Kaiser Barbarossa schlafen soll, wenn es ihm nicht 1870/71 verleidet ist; davon wurden Erinnerungen, muffig verschimmelte Erinnerungen an meine romantische Zeit wach, dass ich lachen musste. – In Leipzig gestern früh etwas gebummelt; das Theater ist auf eine wirklich ganz wundervolle Weise in ein Stückchen Stadtpark hineingelehnt, und zwar unmittelbar über einem tief gelegenen Laghetto, mitten in Leipzig einer der stärkstphantastischen Bauaspekte von ganz Deutschland.

Gestern mittag im Regen hier angelangt – von zwei bis vier in der Galerie. O du gütiger Gott, wie soll ich's hier nur anfangen? Ich wollte auch wieder, wie ich es in Cassel und sonst anderswo getan, die Galerie rasch durchlaufen, was ich für eine treffliche Übung in meinem Fache halte – aber die Namen stehen doch über den Bildern, und ich wurde ob der Masse des Herrlichen so konfus, dass ich es bleiben liess. Aber die Sache sieht sich sehr ernst an; ich werde Nürnberg und überhaupt jede Erholung auf der Rückreise sakrifizieren müssen, ja sogar die übrigen hiesigen Sammlungen vernachlässigen, nur um in den Gemälden sattelfest zu werden.

Heut abend ist Postillon de Longjumeau, wo ich um jeden Preis hinzugehen entschlossen bin. Aber freilich das Interimstheater ist klein, und an dem nun fast vollendeten Aussenbau des grossen Sempertheaters bin ich hie und da etwas irre und fürchte, es wird trotz grösseren Umfangs und Reichtums das frühere nicht ersetzen.


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