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45.

Basel, Mittwoch, 1. Sept. 1880.

Ich habe einen Heidenrespekt vor Ihrer epistolographischen Force und muss nun zwei gewaltig reiche Briefe beantworten, während ich nichts weiss und niemanden sehe.

Die Militaria in Ihrem ersten Briefe lauten nicht erbaulich, ich höre aber aus sehr guter Quelle, dass sogar in Deutschland das Kriegswesen trotz all dem enormen Aufwand bedenkliche innere Mängel zeige. Dieselbe Quelle behauptet freilich, schon 1870 hätten mehrere deutsche Generale nur deshalb gesiegt, weil die französischen ihre Sache noch sehr viel verkehrter angefangen hatten. Übrigens stinkt es nach Pulver und wir könnten dem Ausbruch von etwas Neuem näher sein als man meint, weil England so weit unten ist und Russland einen baldigen Tigersprung auf Konstantinopel vorzubereiten scheint, wobei Österreich stark mit hineingezogen wäre und dem deutschen Reich nicht helfen könnte, anderseits aber Italien durch seinen tunesischen Verdruss von Frankreich tief und dauernd abgewendet ist. Frankreich und Deutschland können ungestört und ungeholfen die Ärmel zurückstreifen und die Boxpartie beginnen; B. aber sowohl als auch G. So im Original abgekürzt für Bismarck und Gambetta. sind im Frühling 81 in solcher Lage, dass sie nur durch auswärtige Siege im Sattel bleiben können. Sie sehen, ich liebe noch immer das Kannegiessern.

Saint Méry hat mir auch immer gefallen, es ist eine der geistreichsten spätgotischen Fassaden und auch das Innere gut. St. Louis habe ich, zu meinen Schanden gesagt, in meinem Leben nie gesehen, da mich meine Wege nie in den Faubourg St. Antoine führten. Das freut mich aber insbesondere, dass Sie den herrlichen Anblick von Paris entdeckt haben, den man sowohl vom Quai de Bercy als von gegenüber geniesst. Freuen Sie sich dessen noch, so lang es währt; seit der infamen Themsebrücke bei Charing-Cross ist alles möglich, sobald einmal zirka hunderttausend Philister die feste Marotte haben, wie eine Bombe in die Mitte einer grossen Stadt fallen zu wollen, und ich garantiere den Gutgeschmacksleuten in Paris nicht dafür, dass nicht binnen zehn Jahren ein ähnliches Scheusal von noch dazu hochgelegener Gitterbrücke die schönsten Anblicke oberhalb oder unterhalb der beiden Inseln verhunzen wird.

Inzwischen ist das St. Jacobsfest Zum jährlichen Gedächtnis der Schlacht bei St. Jakob an der Birs 26. August 1444., von welchem Ihr zweiter Brief datiert ist, unter einem wahren Wolkenbruch vor sich gegangen, Dr. G. predigte unter einem Regenschirm und sämtliche Vereine samt sonstigem Publico sind mausenass geworden. Des Abends rednerte man in der Burgvogtei.

Die Glorie des Pantheons habe auch ich immer etwas kalt gefunden, aber die Vorhalle ist eines der schönsten und geistvollsten Originale der Welt. Die äussern Säulen an beiden Enden haben gar kein Précédant in der ganzen Geschichte der Baukunst, und das herrliche Gewölbe der Vorhalle ist wenigstens schöner als irgend ein analoges. Im Innern wird all der Glanz der vier lichten Kreuzarme sehr gedämpft durch die vier undurchsichtigen Pfeiler, welche um der gewaltigen Kuppel willen nicht zu umgehen waren. Denken Sie sich dies Interieur so, wie es hätte werden können, wenn man nur eine leichte niedrige Kuppel in der Mitte angebracht hätte! Aber das Innere von St. Etienne du Mont, das ist d'un seul jet! ich habe glücklicherweise eine herrliche Photographie davon – natürlich über Mailand, durch Crippa – erwischt, und zu 50 Centimes – statt c'est trois francs, monsieur! – Ich glaube immer, es geht den Franzosen zu gut, als dass sie sich beim Photographieren von Kunstsachen auf die Spekulation du bon marché legen möchten. Ich danke Gott dafür, dass ich voriges Jahr in Paris nur wenige Photographien nach Gemälden kaufte; Crippa lieferte mir etwa dreissig Stück aus Louvre usw., lauter Braun, Ziegler usw., die dort zu 2.50 bis 3.50 verkauft werden, – und die ich nun zu 50 Cents per Blatt besitze, freilich indem ich viel anderes mitkaufe.

2. Sept.

Das Wetter ist und bleibt schön und warm, und das Weinlaub ist überall vom herrlichsten Reichtum – aber so wenig Trauben!

Und wird Er (der Wynen) diesmal noch so gut,
Er geht in einen Fingerhut.

Italien soll einen sehr reichlichen Herbst bekommen, Ungarn mittel. Sie sehen, dass mich schon von früh an, da ich dieses schreibe, Gedanken verfolgen über das: was werden wir trinken? In Wyhlen hat der Gemeinderat beschlossen, diesmal das Rebhütergeld zu sparen, weil es sich nicht lohne, zu hüten, wo nichts sei!


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