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Paris, Dienstag, 9. Sept., nachts.
Während St. und G. in irgendein Theater gegangen sind, sammle ich gerne in der reinern Luft meines Eckzimmers bei offenen Fenstern meine Sinne wieder etwas von der Bummelei dieser Tage. Gestern abend im Théâtre du Palais Royal wurde ich trotz zweier Akte eines höchst pläsierlichen Stückes doch inne, dass diese mephitische Luft nicht mehr für mich passt und dass ich werde selig sterben können ohne Komödien. Das jüngere Volk überlasse ich seinem Jux, nachdem wir heute abend in einem luxuriösen Restaurant (bei Champeaux près de la Bourse) einige Ribotte gemacht haben.
Gestern, da der Louvre und auch der Luxembourg geschlossen war, führte ich G. nach St. Germain, wo wir mit Mühe die Besichtigung einer lokalen Kunstausstellung im Château vermieden und dafür die Aussicht von der Terrasse genossen, was G. eine gehauen hat. Hernach gingen wir hier in obbesagtes Theater. Heut früh per Nachtzug von Calais langte St. an, und nun gab's einen ganzen Tag Bummel und Louvre, wo wir nachmittags noch mit Prof. Rütimeyer Dem schon früher erwähnten Basler Zoologen. und Gattin einen Generalüberblick der niederländischen und französischen Abteilung machten. Ich erklärte u. a. die Galerie de Marie de Médicis auf meine Manier, wobei die Zuhörer sich zu ergötzen schienen.
Mit den Ankäufen beeile ich mich nicht mehr, seit 30 Franken an Photographien nach zwölf Louvregemälden draufgegangen sind; der Schwindel des Ankaufens beginnt mich zu verlassen, und ich denke wieder drüber nach, wie jener alte Weise sagte: wie vieles gibt es doch, das ich entbehren kann!
In den Pausen hockt man bald vor diesem, bald vor jenem Café und sieht Leute und Wagen vorüberpassieren, womöglich au cœur de Paris, beim Palais Royal, wo man jetzt die ganze Avenue de l'Opéra hinaufsieht. Ich kriege dabei einen rechten Heisshunger nach der Stille von Basel und nach meinem Schreibtisch, begreife aber ganz wohl, dass ein Bummler, welcher Geld und Zeit hat, dies Gewühl am Ende unentbehrlich findet. Es kommt alles darauf an, dass sich die Nerven gewöhnen. Ich weiss noch, wie glücklich ich vor sechsunddreissig Jahren war, nach viermonatlichem Aufenthalt wieder von Paris, das ich doch sehr liebte, wegzukommen, und seither jedesmal verreiste ich gerne, kam aber auch gerne wieder.
Morgen jedoch unter St.'s Ägide Muette de Portici in der Grossen Oper, ich schwöre es, rein als Pflicht und nicht als Vergnügen. Werde auch mit zwei Akten völlig zufrieden sein und dann allein heimschlendern. Musikalisch interessiert es mich, wieder einmal ein Prestissimo von diesem Orchester zu hören, wie die Ouvertüre es darbietet, und wie ich es 1874 im Wilhelm Tell hörte. Die Stimmen sollen lauter Mediokritäten sein.