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Lieber Herr und Freund!
Basel, 7. Juli 1870.
Seit Ihrem Sonnenuntergangsbrief vom Februar, der mich wieder in beträchtliche Sehnsucht nach Rom versetzte, bin ich in Ihrer Schuld; nun kommt Ihr dritter Brief mit der Übersicht des seither Geschehenen und Ihrer weitern Pläne, und jetzt ist es die höchste Zeit, wieder einmal mit Ihnen zu konversieren. – Rechnen Sie den relativ langen Aufenthalt in Pompeji geradezu zum dauerndsten Glück Ihrer Laufbahn; so weniges von dem Dortigen auch bei uns direkt anwendbar sein mag, so lernt man doch enorm beim Studium der unglaublichen Sicherheit des Dekorierens und Arrangierens, welches den alten Pompejanern eigen gewesen sein muss. Man macht dort Bekanntschaft mit einem ganz absonderlichen Stück des grossen antiken Kunstkapitals. – Auch die Erfahrung kenne ich, dass die Antike ein stets grösseres Vorrecht über alles übrige in Anspruch nimmt, und dass man sich auf Impietäten gegen die Renaissance ertappt; haben Sie aber Geduld: in Basel, in der verklärenden Erinnerung wird sich alles wieder in die völligste Harmonie setzen. – Von Aquila weiss ich schlechterdings nur, dass S. Bernardino eine prächtige Fassade der Frührenaissance haben soll; wo aber so was ist, da ist in Italien immer noch mehr, und Sie haben gewiss recht, dort noch Paläste u. dgl. zu vermuten. Und wo täte man in Italien eine völlige Fehlreise? Sicheres weiss ich allerdings nichts; Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie schwer zur Zeit meiner Reisen etwas über eine entlegenere Stadt zu erfahren war; Renaissance sehen viele ohnehin nicht an, als ob es eine Schande wäre. Unter allen Bedingungen haben Sie sehr recht, auf die Route zwischen Rom und Florenz zwei Monate zu rechnen – denn das tun Sie nur in Ihrem jetzigen Alter, während Sie immer wieder einmal nach Florenz und Oberitalien kommen können. Lassen Sie sich nur nicht von den Briganten aufheben.
Skizzieren Sie Anordnungen, lieber Freund, Anordnungen! Sobald das bescheidenste Motiv eines Treppenansatzes, Lichteinfalles, Korridors, Einteilungsmotivs u. dgl. Sie trifft, als etwas Geniales, so skizzieren Sie gleich und verlassen Sie sich nie auf Ihr Gedächtnis. – Dann wäre es mir erwünscht zu wissen, woran Sie jetzt am meisten herumsinnen; in den ruhigem Stunden der Reise, zumal wenn die Abende länger werden, knuspern Sie ohne Zweifel an einer Aufgabe. Vergessen Sie nicht, dass wir hier eine permanente Ausstellung haben und dass z. B. ein nobles kleines Landhaus in Ansichten, Durchschnitten und Plänen den Blick auf Sie ziehen müsste, oder eine schön aquarellierte Fassade eines eleganten Stadthauses von drei Fenstern Breite. Dies sind solche Gedanken, die leichter zu sagen als auszuführen sind, ich bin aber in solchen Dingen ohne Rückhalt und meine, ich dürfe schwatzen.