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Basel, Montag nachts, 12. März 1883.
Ich war gestern nach dem Konzert in der Halle, ich musste mich erquicken nach dem grässlichen »Vorspiel der Meistersinger«, welches sich teilweise anhörte wie Katzengeheul. Der Maestro defunto hatte enorm viel orchestrales Wissen, auch verrät er (unwillkürlich, versteht sich) tiefe Kunde von Weber, Beethoven und hier namentlich von des geschmähten Mendelssohns Marsch aus dem Sommernachtstraum; was er aber gar nicht verrät, ist irgendein Funke von eigenem Schönheitssinn. In der Osterwoche führt Angelo Neumann mit kolossalem Orchester und eigenen Dekorationen hier an vier Abenden die Nibelungen auf, natürlich weniger für Basel als für Oberelsass, das badische Oberland und die ganze Schweiz, indem deren sonstige Theater zu klein sind. Es soll schon sehr stark abonniert sein.
Donc vous avez le sentiment de vous débrouiller, wie Sie unrespektierlich von Ihnen selber schreiben. Ich kann mir natürlich gar kein Bild machen von dem innern Prozess, der beim Aktstudium allgemach über den Kunstjünger kommt, und von den Lichtern, die einem dabei aufgehen. Aber dass dabei tröstlich das Ziel der wachsenden Naturtreue winkt und dass diese in der ganzen neuern Kunst die unumgängliche Vorbedingung alles Heiles ist, das verstehe ich wohl. Die bisherige Überlegenheit der Pariser Malerei hing wohl noch an einigen andern Sachen, hauptsächlich aber an dem unerbittlichen Aktstudium; durch Mode und Chic und Kulturbeziehungen konnte sie ihre Kunden glänzender, durch das Studium aber zugleich auch solider und ehrlicher bedienen, und ich will ihr gerne gönnen, dass es auch ferner so bleibe. – Betrüben Sie sich nicht über die Änderung Ihrer Laufbahn und über die vermeintlich verlorene Zeit; wenn ich so rechnen und all die Stiefel aufzählen wollte, in welche ich schon contre coeur habe passen müssen, es gäbe auch eine Litanei. Es ist schon etwas, durch diese kuriose und allgemach ziemlich furchtbare Welt nur unbeschrieen durchzukommen, und ich verwundere mich täglich mehr über jüngere Leute, welche so patzig in dieselbe hineinstürmen und sich »etablieren«, ganz als wären es Zeiten wie alben. Ehemals. Danken Sie Gott, dass Sie aus der Architektur heraus sind, ich habe die Ahnung, dass in Paris Baustillstand im Anzug sein möchte, wobei die Fleissigsten und Fähigsten in diesem Fach aufs Pflaster gesetzt werden können.
Ihre Philosophie über dauerhafte, schnell trocknende Farben gegenüber dem Nassmalen und dem Asphalt hat mich im höchsten Grade interessiert; so wenig ich von der Sache verstehe, hat mir doch Ihre Aussage eingeleuchtet, dass beim langsamen Trocknen die Farben chemisch aufeinander einwirken, dass sie sich zurückziehen und Sprünge entstehen lassen (welche man uns seinerzeit dadurch erklären wollte, dass solche Bilder der Sonne ausgesetzt gewesen). Was Paolo Veronese betrifft, so ist er in den verschiedenen Zeiten seines Lebens in weit abweichenden koloristischen Systemen herumgefahren, und der Louvre enthält – abgesehen von den zwei Riesenbildern – Belege für das Allerabweichendste. Die Van Eyck sind mir bis heute ein Rätsel. En voilà de la couleur qui ne bouge pas! Selbst die Mörderhände der Restauratoren haben Mühe, ein braves altflandrisches Bild zu ruinieren.
Was Politik betrifft, so möchte ich dringend mahnen, in Frankreich kaum auf eine Monarchie und keinenfalls auf eine haltbare zu hoffen. Die Dinge gehen diesmal anders als früher. Meine Meinung von jener Soldatenherrschaft kennen Sie, und leider kann ich mich immer weniger von diesen Bildern losmachen. Der Umschlag aus der Demokratie geschieht nicht mehr in die Herrschaft eines einzelnen, denn diesen würde man ja mit Dynamit usw. aus der Welt schaffen, sondern in die Herrschaft einer militärischen Korporation; auch wird dabei vielleicht zu Mitteln gegriffen werden, welche auch der furchtbarste Despot nicht übers Herz brächte. Und unserer Klasse zuliebe oder auch nur zum Vorteil geschieht dabei nichts.
Meine Vorlesungen vor dem Publikum sind diesmal, Gott Lob und Dank, nicht stenographiert worden wie im letzten Winter, da mir der Stenograph burschikose Ausdrücke und namentlich geschmacklose und übertriebene Adjektiva in den Mund legte. Ich litt dabei wie ein armer Sünder und mochte doch öffentlich nicht protestieren, da es ein armer Student war. – Im übrigen haben Sie an meinen diesjährigen Oraisons nichts verloren. – Kläglicherweise werde ich, wenn ich nächsten Winter noch lebe und gesund bin, statt nur zweimal viermal auftreten müssen, weil mich eine Ehrenpflicht an die öffentliche Bibliothek zwingt.
Dass X. mit Frau und zwei ältesten Töchtern samt Hrn. Z. mit Frau nach Italien gereist sind, wissen Sie vielleicht aus Familienberichten. Summa für fünf Wochen, in der unsichersten Jahreszeit. Vor acht Tagen sind sie in Rom angelangt, haben dann schnell Neapel vorweggenommen, sind im Regen in Pompeji herumgepflotzt und werden nun vielleicht schon wieder in Rom sein. So der Herr will, werden sie sich nun dort einige Ruhe gönnen! Es ist mir aber niemand gut dafür, dass sie nicht schon in vierzehn Tagen wieder hier einrücken. Das nennt man heute eine Vergnügungstour, und insofern man sich zu sechst unter jungen und halbjungen Leuten immer vergnügt, mag es denn beim Namen sein Bewenden haben. Es ist freilich ungefähr das Gegenteil meiner Methode, Italien zu geniessen.