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Strassburg, 20. Sept. 1880.
Heute habe ich einen zehn- oder vierzehntägigen Bummel angetreten und benütze nun das frühe Nachtwerden, um Ihnen zu schreiben. Ihre Versailler Ideen hätten vielleicht einst bei Louis XIV. Anklang gefunden, der jetzigen Welt aber würden die Haare zu Berge steigen ob solcher Grossartigkeit. Es ist ewig schade um alles das, was das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert nicht riskiert haben, denn wir riskieren es nicht mehr. – In Sachen des Palais de Justice bin ich völlig Ihrer Ansicht, und am Tribunal de Commerce schätze ich nur die Rundtreppe. Einst sah ich dort unter einer der Bogennischen, die in die Treppe schauen, eine hübsche junge Dame (oder Person) lehnen, die ihren feuerroten Überwurf über die Balustrade sinken liess, und seitdem macht mir die Treppe Effekt.
Seit heut nachmittag bin ich in Strassburg und habe laut lachen müssen, als ich wieder einmal die Gutenbergstatue von David d' Angers nebst den Piedestalreliefs sah. Das alles ist gar nichts als Naturalismus, mit affektiertem Pathos gemischt, eine odiöse Mixtur.
Bei diesem Anlass noch etwas über den kruden Naturalismus, womit unsere Kunst und Romanschreiberei Geschäfte macht. Ein deutscher Skribent hat neulich von Zola geschrieben: wenn die Hunde lesen könnten, würden sie Zola zu ihrem Shakespeare erklären! – was seine Richtigkeit haben könnte.
Das Münster allhier sehe ich mit ganz neuen Augen, da ich seit dreizehn Jahren nicht hier gewesen. Die ursprünglichen Teile der Fassade sind doch das schönste und geistvollste Gotisch, was auf Erden existiert, und wenn man bedenkt, welche deliziöse Feinheit des Gefühls im Architekten und welcher Entschluss in dem Bauherrn dazu gehörte, so wird einem ganz ehrfürchtig zumute.
Morgen geht's nach Speyer, wo ich ebenfalls einen grossen alten Tumb wiederzusehen habe. Dann vielleicht Schwetzingen und Mannheim, wenn ich dort einen guten Theaterabend erwischen kann. Beiläufig eine schöne Geschichte von einem ehemaligen Mannheimer Theaterdirektor, zur Zeit als dort die verwitwete Grossherzogin Stephanie residierte: er hatte den Freischütz neu montiert, mit einer schönen neuen Wolfsschlucht, in welcher diesmal der Wasserfall nicht mehr mit gedrehtem Silberpapier, sondern mit wirklichem Wasser gegeben werden sollte, und sagte nun zur Grossherzogin: aujourd'hui je lâcherai mon eau naturelle. Hernach will ich die Galerie in Darmstadt sehen, dann drei Tage in Frankfurt a. M. vor Anker liegen – dann vielleicht noch ein paar Tage Cassel, dann Heimweg.