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Basel, 20. März 1885.
Nach fast zwei Monaten komme ich endlich dazu, um Ihnen zu danken für den schönen Brief und die Beilagen! Der Frauenkopf ist höchst intim und lebendig aufgefasst und herrlich wiedergegeben, wobei ich kaum zu fragen wage: ist es Crayon oder was sonst? Es muss unendlich leise gezeichnet sein, sonst schiene nicht überall das Korn des Papieres durch. Die drei Radierungen zeigen wieder einen merkwürdigen Fortschritt ins Freie und Sichere. Die meiste Gunst wird wohl die Dame mit dem Bukett finden, aber am meisten Poesie hat der Hohlweg, an welchem ich nur die nächste Baumgruppe unten im Mittelgrund noch würde mit ins Licht gezogen wünschen. Ich wiederhole: Sie wären schon jetzt eine wahre Akquisition für einen Luxusediteur.
Die zwei »Weiber, welche Sie zusammengeknorzt« haben, werden sich nicht so übel zusammen ausnehmen, denke ich. Dass die Szene im landschaftlichen Freien, im offenen Licht vor sich geht, kann dem Bilde Gunst schaffen, denn am renfermé, an Prachtzimmern, deren Mobiliar man längst kennt, bekommt der Beschauer geschwinder genug. Ich bin nun begierig, ob die Vorlesende lacht oder die andere eher trauert? – Ob sie stehen, gehen oder sitzen? – Ob der Fond eine hellbeschienene Spaliermauer oder ein ferner Park ist oder ein Wald mit einer Villa in der Ferne? Ob es ein Breitbild oder ein Hochbild wird? Verraten Sie gelegentlich etwas hierüber.
Das Souper bei X., zu dessen Fortsetzung als Weingelage ich mich einfand, war recht gemütlich, und da es Freitag war und ich Samstags nicht lese, konnte ich mir auch dessen Verlängerung bis 2 Uhr gefallen lassen. An gewöhnlichen Tagen aber liebe ich es sehr, halbzwölf in den Federn zu sein.
Unsere hiesigen Angelegenheiten sind und bleiben in den Händen, die Sie wissen. In den letzten Tagen ist es guter Ton im Volksfreund und Basler Nachrichten, der Universität Tritte unter dem Tisch zu geben. Hierin bin ich aber ein hartgesottener Fatalist: wenn unsere Universität dem Untergang bestimmt ist, so kommt dies von einem höhern Ratschluss her als aus jenen Zeitungsartikeln, und wenn wir fortdauern sollen, so steht geschrieben, dass solche Finken uns nicht schaden sollen. Ein kleiner Zug zum Bessern ist, dass auch Radikale anfangen, über die hiesige Verschwendung resp. Steuernaussicht zu heulen. In solchem Anflug von Katzenjammer hat neuerlich, wie Sie wissen werden, der Grosse Rat einen Schulbau wenigstens um ein Jahr verschoben, und das war schon viel.
An Ihrer Vergötterung der Pariserinnen habe ich immer von neuem etwas zu nörgeln. Es ist doch mit aller Grazie ein grossstädtisch verlebtes Volk, und wenn Sie sich hievon überzeugen wollen, so merken Sie nur einmal unparteiisch auf die Kleinheit ihrer Stimmen und schliessen Sie daraus auf die physische Gesamtbedürftigkeit der Rasse. Denn an Ihre Augen (welche Ihnen sofort die Mangelhaftigkeit der Schultern etc. verraten müssten) appelliere ich jetzt absichtlich nicht. Der Schluss hieraus ist: irgendwo Studien zu machen, wo gesunde Bauernmädchen in einiger Anzahl leben. Dass Sie zwischen hinein in Paris sehr vorzüglich gewachsene Modelle beständig studieren, welche aus der halben Welt dorthin kommen, genügt nicht, um Sie vor dem allzugrossen Kultus der femme parisienne zu bewahren. Es könnte ohnehin sein, dass die Verehrung der Völker für Paris im ganzen bald auf dem letzten Loche pfiffe. Dies ist eine Lästerung, ich weiss es, aber ich kann sie nicht unterdrücken.
21. März.
Auch heute morgen kann ich mich in dieser Hinsicht noch nicht bessern. Man macht dem Pariser Chik zuviel den Hof. Für eine künftige Kunstgeschichte (wenn in dem bevorstehenden Barbarenzeitalter noch eine möglich wäre) würde es eine anregende Aufgabe sein, diese ganze Erscheinung als eine vergangene, historisch gewordene in beschreibende Worte und verdeutlichende Illustrationen zu fassen.
Seit Monaten habe ich Rheumatismus in der linken Ferse und muss nun abwarten, was der Doktor mir für die Ferien verschreibt. Letztere beginnen für mich nächsten Freitag und dauern drei Wochen, dann geht der Tanz wieder an.