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Berlin, Donnerstag, 10. Aug. 1882,
Hotel zum deutschen Kaiser, Schadowstrasse Nr. 4.
Zum voraus: ich bleibe etwa bis zum 20. hier und bin also für weiteres, womit Sie mich hier erfreuen könnten, erreichbar. Von meiner Reise, welche ich rein geschäftlich nehme, melde ich nichts oder nur ein Weniges.
Vor allem schönsten Dank für den prächtig inspirierten Samariter. Vor einem Jahr hätten Sie solche Ideen noch nicht gehabt! – Im übrigen mögen Sie für Tapissiers und für den lebendigen Satan arbeiten, wenn es zu etwas führt, und panneaux décoratifs sind gar keine so geringe Vorschule für Höheres und verlangen auch ihre Sorte von Ernst und Hingebung. – Dass Sie an den zum Teil so deliziösen griechischen Tonfigurinen Freude haben würden, wusste ich zum voraus. Heute habe ich hier im neuen Museum la fleur du panier in dieser Beziehung, nämlich den Fund von Tanagra gesehen, wovon nach London nur die geringeren Sachen gekommen sind; einiges davon ist wahrhaft entzückend. Campana hatte auch sehr Schönes und Griechisches, aber eben doch nur aus italischen Fundorten, während die verfluchten Berliner allgemach alle Winkel von Hellas und Kleinasien ausstöbern.
Ihr gesunder Abscheu an der Sentimentalität des Greuze ist exakt auch mein Gefühl; wie ihn Diderot patronisierte, das charakterisiert beide.
Ich wüsste Ihnen jetzt ein pikantes Thema: Leutchen à la régence sich promenierend vor dem Riesenkampf von Pergamon, welcher gegenwärtig hier teils an provisorischen Wänden aufgestellt, teils in einer Halle des Museums schräg am Boden wie auf Pritschen so ausgelegt ist, dass die Lücken des Fehlenden offen gelassen und die Zusammenhänge des Vorhandenen ersichtlich sind. Diese ganz erstaunliche Darstellung von 8' hohen, zum Teil fast frei vortretenden Gestalten, jetzt schon reichlich 200' lang sich ausbreitend, in ihrem Gegensatz zu Mouches, Puder, grossblumigen Roben usw. müsste von zwingender Wirkung sein.
Oder im Ernst, etwas Erreichbares: Denken Sie sich eine Mauer, etwa unter einer Doppeltreppe in einem alten Park, mit einem völlig riesigen (d. h. minimum 20' hoch gedachten) Medusenhaupt en relief, und setzen Sie dagegen einige Luikäs-Menschen Louis XV.-Menschen., letztere im hellen Sonnenschein sich über weiland Medusa unterhaltend.
Joh. Bapt. Weenixe habe ich in Kassel und Braunschweig ganz interessante gesehen, hier ist auch ein Bild, aber ohne Kombination von Prachtruinen mit südlichem Menschtum. – Ausser Francisque Millet werden Ihnen mit der Zeit noch viele Landschaftsidealisten des siebzehnten Jahrhunderts wert und bedeutend werden.
Ich wäre begierig, zu sehen, was Sie zur jetzigen Bauphysiognomie von Berlin für Augen machen würden; einiges von der frechsten sog. deutschen Renaissance läuft auch mit, und zwar in allen echten Stoffen bis zu einem Mosaikfries oben! Im ganzen aber freut mich die Abwesenheit jeglichen Louis Napoleon-Stiles, den ich selbst in seinen guten Leistungen nicht recht mag und ausserhalb von Frankreich wahrhaft perhorresziere. Von den neuen Denkmälern sind Schiller, Goethe (Tiergarten), Königin Louise und noch eins oder das andere von grosser und sprechender Schönheit; nirgends wird der wüste pathetische Naturalismus (wie in Italien öfter) an Zahlung genommen, aber ebensowenig ein konventioneller Idealismus.
Ich muss hier beständig sehen und notieren und bin ein ziemlich geschundenes Wesen. Glücklicherweise hat seit meiner Ankunft das entsetzliche, oft völlig trostlose Regenwetter aufgehört, das mich seit Mainz verfolgt hatte.
Ich lese noch einmal Ihren Brief durch und treffe auf die Nike von Samothrake, welche ja wohl herrlich ist – aber denken Sie sich etwa zwanzig solcher 8' Weiber, darunter ganz gut erhaltene, im Fries von Pergamon! Alles voll der wütendsten Vehemenz und im allergrössten Stil, der ein gutes Stück Kunstgeschichte auf den Kopf stellt!
Nun wird's allgemach dunkel, und ich muss noch etwas bummeln, bevor ich in die Kneipe gehe.