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8.

Kempten, 29. Juli 1877.

Nachdem ich gestern abend an G. geschrieben, fahre ich heute vormittag einstweilen fort, um dann in München zu vollenden. Dies ist nicht ein Verdienst oder besonderer Herzensadel allein von meiner Seite, sondern zum Teil die Wirkung permanenten feinen Regens. Nun ist zwar Kempten als Stadt ziemlich brobber Propre, reinlich. und hat hie und da gute Zementtrottoirs, aber ich finde mich dennoch periodisch in den Gasthof zurückgescheucht. Glücklicherweise ist zwischen zwei Messen (welche dicht und kraglig Gedrängt voll. besucht waren, namentlich von Mannsleuten) ein Zwischenraum gewesen, da ich die Kirche genau noch einmal besehen konnte. Auf das Schiff mit seinen zwei Türmen (1600-1650) folgt ein nach aussen gewaltig scheinender achteckiger Kuppelbau mit grosser Lanterna; erst innen wird man gewahr, dass es zu einer echten Kuppel von diesem Volumen lange nicht gelangt hat, und dass ein griechisches Kreuz hineingebaut ist. Hätte ich nur an Ort und Stelle skizzieren können, jetzt im Gasthof ist das Gedächtnis schon zu dreiviertel entschwunden Der Brief gibt eine zum Teil mit Tinte ausgezogene Bleistiftskizze.. Einige Abtsdenkmäler gehören zum greulichsten, was ich in Barock kenne. – Aber das eigentliche Gebäude, aus der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts, mit seinen alten Stukkaturen ist sehr tüchtig und könnte von einem guten Italiener sein, vielleicht von Solari, der damals den Dom von Salzburg baute.

Das Volk hierzulande eher zart, aber offenbar sehr kräftig und intelligent, nur gibt ihnen der Bau des Augenknochens – oder ist es nur die Bildung der Augenbrauen Symboletwas Wildes und Gewaltsames.

Im übrigen lese ich Zeitungen, was nur das Hotel vermag. In der Kölnischen fand ich eine populäre Abhandlung über den Coloradokäfer ruhmvoll angezeigt. Also auch von diesem Ungetüm lebt gleich jemand.

Nicht weit von der Kirche ist eine Gartenpforte von Schmiedeeisen, datiert 1830, und doch noch vom allerzimperlichsten Louis XVI.; sie fingiert eine Treppe mit Balustraden, drüber die Türfüllung und Seitenkulissen von den zartesten Eisenstäbchen und oben als Bekrönung eine Kartusche mit zwei springenden Löwen, welche, aus fast drahtdünnen Eisenriemchen bestehend, Sonne, Mond und Sterne durchscheinen lassen. Da es Riemchen sind, wechselt je nach dem Stand des Beschauers die Schattierung.

Dass ich neun Photographien gekauft, schrieb ich schon an G. In demselben Laden gibt es auch ganz preiswürdige Zigarren. Dies zu wissen, hilft Euch armen Leuten aber nichts, und wenn Ihr sie hättet, würdet Ihr sie vielleicht erst noch schlecht finden.

Gestern nachts ging ich noch hinunter, um einen Schoppen Wein zu trinken; auf der Karte stand: Offener Adelsberger; ich liess mir einen Schoppen geben, fand einen trefflichen feurigen Ungarwein und las dann auf der Etikette: Ofener Adelsberger. Aha! jetzt war alles klar.

Aus den dreissiger und vierziger Jahren grassiert hie und da in diesen Gegenden ein grässlich-biederer Stil à la Gärtner. Mir graut vor München, wenn ich dergleichen sehe. Oper ist in München nicht, ich werde also manchen Abend auf dem Zimmer zubringen. Macht Euch auf Briefe gefasst. In beiden andern Theatern, wie ich aus den Münchner Zeitungen sehe, floriert nur Offenbach und Mme. Angot usw.


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