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33.

London, Mittwoch, 20. Aug. abends.

Das sollten Sie auch noch kennen lernen, wenn ich Ihnen Böses gönnte: bei feinem Regen halbe Stunden weit durch das bei hellem Tage novemberdunkle London zu waten und von den Cabs buchstäblich bis über die Ohren bespritzt zu werden; gibt man näher acht, so haben fast alle Fussgänger dieselben Dreckspritzer und man ästimiert es gar nicht mehr. Heute morgen erwachte ich davon, dass es in mein Zimmer regnete, weil auf dem Estrich ein Fenster offen geblieben war. Aber heut über vierzehn Tage darf ich fort und bin getröstet. In den vergangenen drei Wochen ist das Gröbste von Notizenmachen geleistet, ob nun das Feinere noch nachkommt, ist zu gewärtigen. Wie einem die ersten Notizen bisweilen später vorkommen, habe ich Ihnen, dünkt mich, schon geschrieben, und dennoch habe ich noch einen Aberglauben zugunsten der ersten Eindrücke, von dem ich nicht gerne lassen mag, zumal wenn es sich um Menschen und nicht um Gemälde und Skulpturen handelt.

Ich begreife jetzt, dass, wer es nur irgend vermag, auf dem Lande wohnt und täglich zu den Geschäften hinein- und abends wieder herausfährt. Sie sollten an den nächsten Stationen vor London die grossen weiten Kolonien von lauter (vielen tausend) kleinen Landhäusern sehen, so ganz verschieden von den Chalets und petits châteaux um Paris, welche ja meist nur Sommersitze sind. Nein, hier will man besonders im Winter ausserhalb der Stadt sein und möglicherweise klare Morgen und Abende geniessen, während London in selbstmörderischem Nebel liegt. Freilich, das Theater besteht schlecht dabei. Gestern sah ich endlich einen Akt von Offenbachs Princesse de Trébizonde – die Musik so erbärmlich als ein geschickter, aber erfindungslos und rein räuberisch gewordener Arrangeur etwas machen kann; das Dramatische eine Pariser stupidité, die den englischen Schauspielern als importierte Pariserei so kläglich übel zu Gesichte stand – die Ausstattung aber natürlich glänzend.

Was mir in London immer wieder auffällt, zum Unterschied von Paris, ist das gänzliche Verschwinden der Fremden; was nicht schwarz oder gelb oder kaffeebraun ist, oder Zöpfe trägt und bunte Kleider wie die Chinesen, die hier ganz unbeachtet herumbummeln, das ist Engländer oder sieht so aus. Wenn nicht die Italiener, NB. nur als Kellner in den von mir besuchten Restaurants und die abendlichen Franzosen im Erdgeschoss meines Hotels wären, so wüsste ich gar nicht, dass es andere Menschen als Engländer gibt. Allmählich bessert sich unter solchen Umständen auch mein Englisch-Mörden ein wenig, ja ich entamiere Diskurse, worin mir dann nicht selten das Alltäglichste zu fehlen pflegt. – Jene abendlichen Franzosen machen meist sehr lange Gesichter; sie sind nur für Geschäfte hier, oft für keine angenehmen und ersehnen den Augenblick, da sie wieder heim können. Der Franzose hier ist poisson hors l'eau. Wir eigentlich auch, aber wir wissen uns besser zu fügen. Ah, pour vous c'est autre chose, vous parlez l'anglais! Das Französische als Weltsprache hat nämlich exakt wie das Englische die Prätension, dass man es überall sprechen sollte, und diesen Gefallen tut ihm nun England so absolut nicht!

Oh, wie werden mir die Suppen daheim vorkommen, nachdem ich mich an lauter Oxtail und Mockturtle gewöhnt habe, von der stark gewürzten Mulligatawney nicht zu reden, denn diese habe ich bald beiseite liegen lassen. Es gibt hier nicht bloss Obelisken Aegypti, sondern Fleischtöpfe Aegypti, nach welchen sich ein Heimweh einstellen könnte. Kurz, wenn ihr einst gründlich und gut fressen wollt, so gibt es: a) Wien, b) London, bb) meinethalb Paris, aber nur für Reiche, c) Turin, d) einige Orte im Midi, und diese würde vielleicht ein Kenner (der ich nicht bin) allen andern vorziehen. Dixi et salvavi animam meam. Ich würde kein Gerühm davon machen, wenn ich nicht – für meinen Appetit – Mittag- und Abendessen zu viereinhalb bis höchstens fünf Shillings hätte, Trinkgeld inbegriffen. Man sagte sonst: lingua Toscana in bocca Romana – ich sage: cucina Italiana in paese, poetisch: suolo Britannico – und will damit nur schuldigen Dank abgestattet haben.

Bei den echten ägyptischen Sachen im British Museum kann ich nicht ohne Bewegung an dem riesigen granitenen Ramseskopf vorbeigehen mit der Inschrift: presented by H. Salt Esq. and L. Burckhardt. – Salt war der damalige englische Konsul in Kairo, und der, welcher ihm zu dem Kopf verhalf, war Scheik Ibrahim. Dies ist mein titre de noblesse im Britischen Museum, wenn es einmal darauf ankommt. Der Kopf hat etwas wie drei Fuss Durchmesser. Damit man die authentischen Gesichtszüge Ramses-Sesostris kennen lerne, hat ein Basler kommen müssen.

Dasjenige Souvenir im Southkensington-Museum, womit ich dem Freund St. Der nach langjährigem Aufenthalt in Mailand 1901 in Basel verstorbene feingebildete Kaufmann Gust. Stehelin, dessen Ankunft in London Burckhardt damals täglich erwartete und von dem dann später in den Londoner Briefen häufig die Rede ist. »eine zu hauen« gedenke, ist die in Leder gepresste, reiche Schwertscheide des Cesare Borgia – von dem berühmten Antonio Pollajuolo. Hievor muss er mir »in den Dreck knäuen«, worauf ich mich zum voraus freue. Das Schwert selber ist nicht mehr vorhanden, man kann sich's aber vorstellen. Der Dolch jenes Herrn wäre noch merkwürdiger, der, womit er seinen Schwager Alfonso und andere mehr umbrachte. Vielleicht steckt er in der Dolchsammlung des Southkensington-Museums und ich habe ihn nur übersehen? Denn vom Urschwert bis zur Miniaturtabaksdose ist dort alles.

An den dortigen Glaswaren wird man aber eines inne: je zierlicher das Gefäss, für desto nüchternere Trinker! Die venezianischen Hochfüssli werden zuletzt ganz ätherisch – zum Kneipen war das nun und nimmermehr!

Donnerstag morgen.

Pale Ale ist zwar sehr gut, ich habe aber das Prinzip oder eigentlich nur die Gewöhnung, Spirituosa nur des Abends zu mir zu nehmen. – Der versoffene Reverend hat neue Gesellschaft gefunden, offenbar ebenfalls etwas Halbgeistliches, und ich verzichte gern.

Ihr könnt dieser Tage in Basel kalt gehabt haben, aber Sonntags, bei beständigem Regen, war es wohl hier noch etwas kälter. Gestern, Gott sei Dank, war es wenigstens warm beim Regen. Heute wird es, so Gott will, trocken bleiben, ja ich hoffe im Southkensington-Museum auf etwas Sonnenschein, den ich dann sogleich wieder auf Rafaels Kartons und Madonna de'candelabri verwenden werde. Das kennen Sie auch noch nicht, die Londoner Sonnenökonomie, das Abpassen jedes halbwegs leuchtenden Strahles, um zu gewissen Kunstwerken zu eilen, ehe wieder der Himmel zupetschiert ist.


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