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22.

Mantua, 8. Aug. 1878, abends nach 5.

Nachdem ich soeben volle zweieinhalb Stunden unablässig im Palazzo di Corte skizziert und hierauf zur Herstellung meiner Besinnung einen Caffè nero getrunken, will ich Ihnen nun melden, was seit Sonntag geschehen. In Brescia war ich im Gasthof gut und wohlfeil und ebenso dann in Cremona; es lässt sich bei mässigen Ansprüchen noch sehr leben in Italien. Cremona hat nicht den gleichmässigen Reichtum an grossen wohlerhaltenen Palästen wie Brescia, aber dafür einzelne, welche erstaunlicher sind als alle brescianischen. Palazzo Dati, welcher jetzt mit dem Hospital verschmolzen ist, von aussen stattlich früh-palladianisch, würde als Anlage wahrhaftig noch in Rom neben Palazzo Farnese usw. Figur machen. Denken Sie sich folgendes: Die Halle quer über den Hof führt in einen Garten, welcher hinten, wo das Gebäude noch einmal in mächtigen Flanken auseinander geht, noch eine zweite homogene Halle enthält! Das Treppenhaus ist erst aus dem Ende des 17. Jahrhunderts und vom Pomphaftesten, was ich kenne … Sehen Sie, mit solchen Geistern habe ich jetzt Verkehr!

Die Hitze ist sehr leidlich … Es ist jetzt das drittemal in meinem Leben, dass ich im Hochsommer in Mantua bin, jedesmal glücklicherweise bei bedecktem Himmel; da nur wenige wichtige Fresken hier sind und diese wenigen (Mantegna und die weniger wichtigen neben vieler Läusesalbe von Giulio Romano) vortreffliches Licht haben, so schaden mir die Wolken hier im Studium nicht.

Palazzo di Corte ist die hohe Schule für alle, welche Gewölbe und Plafonds der goldenen Zeit und Räume aller Art und Grösse studieren wollen. Ich war schon vormittags zwei Stunden dort und nachmittags noch länger, und da der alte Custode mich allgemach in Affektion nahm, sagte er mir am Ende: adesso le farò vedere tre stanzine, dove non si conducono i visitatori superficiali! und tat mir drei kleine Räume auf (wahrscheinlich alle von Giulio), wovon der eine zum Entzücken schön und die beiden andern noch immer herrlich waren. Hätte ich nicht den Mut zum Weiterskizzieren gänzlich verloren gehabt, ich hätte hier noch zeichnen müssen. Da das Haus Gonzaga weislich immer nur weiterbaute, wenn es Geld hatte, so sind in der enormen Baumasse, welche Palazzo di Corte heisst, eine Menge einzelner schöner Räume und Gruppen, lauter einzelne Ideen ausgesprochen, die einander gar nichts angehen, und die Verbindungswege, Treppen, Korridore sind so toll und unscheinbar als möglich, die echten auch wohl zum Teil zerstört oder vermauert. Man wird eine dunkle Hühnertreppe abwärts geführt und der Custode stösst eine Tür auf, die plötzlich in einen klassischen Prachtraum führt.

Apropos von Hühnern: heute war Markt hier in Mantua; da stand auf einem kleinen Nebenplätzchen mitten im Gewühl der Stadt das Marmorbild Dantes und rings aufgetürmt lauter quiekende Hühnerkörbe. Der Anblick war unsäglich komisch.

Ein anderes Denkmal für die Märtyrer und Kämpfer der Freiheit seit 1830, unmittelbar vor Palazzo di Corte, ist das erbärmlichste, was ich je gesehen. Über einem Obelisk tanzt oben ein marmorner Genius der Freiheit, der an sich nicht übel ist, aber die aus gewöhnlichen Porträts übertragenen Flachreliefköpfe an der Basis und ein Löwchen auf der Vorderseite sind ganz pitoyabel stillos; und nun ruht das Ganze, wie einst die Maratsbüsten in Frankreich, auf einem künstlichen Berglein mit den bekannten Gartenfelsen, alles von eisernen Gittern und Gattern umschlossen.

Was mich recht freut, ist, dass in der Halle, welche das Erdgeschoss der Croce verde (mein Logis) ausmacht, gerade unter meinem Zimmer, zwischen lauter Säulen der Renaissance zwei echte antike Säulen stehen, eine korinthische und eine Composita, beide kanneliert und mit den echten Basen. Die korinthische hat ein so eigenes gräzisierendes Kapitäl, dass ich sie für sehr alt halte, etwa aus der Zeit der römischen Republik; da könnte noch der junge Virgil daran vorübergegangen sein, der ja ein Mantuaner war.

Als ich am letzten Montag von Brescia nach Cremona fuhr, stieg unterwegs eine stattliche, geschmackvoll in schwarz gekleidete Wube Mundartlich für eine bestandene, behäbige Frau. ein, etwa fünfzigjährig und noch in ihrer Art schön; indem ich ihr die Hand zum Einsteigen reichen wollte, packte sie mit grösster Entschlossenheit statt dessen mein Knie und stieg rüstig ein, worauf wir uns bis Cremona lebhaftesten Gespräches beflissen, hauptsächlich über Landwirtschaft. Sie war eine Mantuanerin, und Mantua hat più bel sangue als Cremona, wie ich heut wieder inne wurde.

Es ist über sechs Uhr, und den zweiten grossen Hauptbrocken, den Palazzo del Te, verspare ich auf morgen. Ich gehe nun zum Abendessen und dann in die letzten Akte eines patriotischen Rührstückes, welches in dem netten runden Tagestheater auf Piazza Virgiliana, am Ufer des einen Sees von Mantua, gegeben wird.

Glücklicherweise ist hier das Wasser besser als in Mailand und Venedig; übrigens habe ich jetzt im Sinne, zur Cena den hiesigen Weisswein zu versuchen, der gar nicht übel sein soll.

Jetzt aber muss ich impostar la lettera e poi andar a cena.


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